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Seval Şahin
Das Haus: Ein Monolith

Über Şule Gürbüz und "Mit Begeisterung Sterben"...

Von Seval Şahin

In den Werken von Şule Gürbüz ist das Leben ein Abenteuer, ein Nest der Probleme, es ist wie ein Haus, in dem man sich seiner selbst bewusst wird, in dem man ruhelos ist. Zu leben beinhaltet hier auch die Unzufriedenheit mit dem Umstand, überhaupt am Leben zu sein, und ein auf sich selbst gerichteter Blick macht es unmöglich, das Leben zu verstehen. Leben ist die Vorbereitung auf das Sterben.

Jeder einzelne der Hauptfiguren von Şule Gürbüz ist eine Marionette, die vor sich hin tanzt, während sie mitten im Leben in der Schwebe hängt. In diesem Sinne nimmt das Zuhause für sie die Gestalt einer Welt mit einer Bühne und einem Schattenspielvorhang an. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Hauptfiguren sich selbst hinterfragen. Das Wort Zustand [auf Türkisch: "Hal"] wird in den Werken von Gürbüz, wie viele andere Worte auch, doppeldeutig benutzt. Der Begriff wird sowohl für die Gegenwart als auch für eine bereits bestehende Situation genutzt, d. h. das Sein und die Zeit gehören zusammen.

Die Zustände der Menschen auf der ganzen Welt, eine stets gegenwärtige Kulisse für etwas, das man beinahe als "Menschheitskomödie" bezeichnen könnte, machen das Monolithische überhaupt erst möglich. Die Helden hinterfragen ständig ihre Existenz. Im Zuge dieses Hinterfragens sind Lebensabschnitte wie die Jugend und das Heranwachsen, das Scheitern am Heranwachsen und das Reifen ausschlaggebend. Zweifelsohne ist das Zuhause für Gürbüz ein Monolith, der erst dann an Sinn gewinnt, wenn er wie eine Landschaft betrachtet wird. Infolgedessen trägt das Haus eine monolithische Einheit in sich, die man beobachten kann und die alles umschließt, was das Leben betrifft.

Mit Begeisterung Sterben, das dritte Buch von Gürbüz, thematisiert diese monolithische Einheit, die den Kern ihrer Literatur darstellt. In diesem vierteiligen Werk sind die einzelnen Geschichten in sich selbst geschlossen, bilden in ihrer Komposition aber auch ein Ganzes, wie es in all ihren bisherigen Werken der Fall ist. Was in dem Buch insgesamt und auch in den einzelnen Geschichten als Gemeinsamkeit hervortritt, sind die Beschreibungen der Zustände der Menschen, ihrer Handlungen, ihres Nachdenkens über sich selbst, mit dem Ergebnis, dass all das Nachdenken vergebens ist.

In allen vier Teilen finden sich Verwirrung und Unmut darüber, dass anstelle eines aufregenden und exzessiven Lebensstils ein routiniertes, gar mittelmäßiges, ordinäres Leben geführt wird. Dieser Unmut wird in auffälliger Weise von einem Schlüsselthema begleitet, das daraus besteht, dass die Helden Zuschauer ihrer eigenen Routine sind, dass sie ihr Leben aus der Entfernung betrachten, als wäre es eine Art Landschaft. Aus diesem Grund ist es notwendig, von diesem Hauptmotiv der Werke von Gürbüz, das aus Zuschauen und Beobachten besteht und sich von der Distanz zwischen dem Geschehenden und der Erwartung darauf speist, als "Verlandschaftlichung" zu reden.

Ein weiteres bestimmendes Merkmal in Mit Begeisterung Sterben ist das Sehen bzw. die Veranschaulichung. Hierbei tritt die Verlandschaftlichung in den Vordergrund. Der Grund dafür, warum ich das Wort Verlandschaftlichung an Stelle des Ausdrucks die Gestalt einer Landschaft annehmen benutze, ist, dass die Autorin die Veranschaulichung selbst zu einem Gegenstand macht, der betrachtet werden kann, beinahe so als würde sie ein Bild umrahmen, um es dann an einer Wand oder dergleichen zur Betrachtung anzubringen. Ab dem zweiten Teil des Buches gewinnt dies an Intensität, denn die Hauptperson des ersten Teils erlangt erst in seinen Fünfzigern einen Zustand der Reife. Auch wenn dies in Bezug auf das physische Alter des Sadullah Efendi im zweiten Teil des Romans nicht zutreffen mag, entspricht es doch dem Alter seines Geistes, und da er sehr viel über die Jugend nachdenkt, muss er diese von Zeit zu Zeit betrachten, braucht er eine Aussicht darauf. Die Zeit ist an einem Ort festgefroren und es scheint fast, als sei sie eingesperrt. Infolgedessen wecken die Bilder, die der Roman zeichnet, den Anschein, in ihren Rahmen festgefroren zu sein – ein Umstand, der bestätigt, dass die Helden in einer Zeit leben, die in der Schwebe hängt. Auf diese Weise wird das Leben als ein schwebendes Bild dargestellt.

Für jede der Hauptpersonen ist der Blick auf die Landschaft von enormer Bedeutung. Wie im dritten Teil für den aus der Sicht seines Sohnes beschriebenen Refik İyisoy, der die Welt lediglich als einen Ort des Zuschauens und Beobachtens wahrnimmt.

Die Zeit verharrt festgefroren, eingesperrt in einem Blick, was aber gleichzeitig auch ein Geheimnis ist. Der Blick scheint etwas zu sein, das dieses Geheimnis lüften kann. Aus diesem Grund muss alles Wesenhafte aufs Genaueste beobachtet werden:

Es gibt eine Zeit, die Spuren trägt, die von der Vergangenheit in die Gegenwart übergeht, die sich vergegenständlicht und sich sogar in eine Ansicht verwandeln lässt. Das Beobachten und das Sehen machen nur Sinn, wenn man dem Geheimnis auf die Spur gekommen ist. Abseits davon bedeutet die Beobachtung lediglich Tatenlosigkeit. Das Leben fließt vor unseren Augen ab, wird bloß von diesem Blick gefangen und scheint im Grunde genommen wie ein Traum, in dem sich der Mangel spiegelt.

Die Hauptfiguren in Mit Begeisterung Sterben streben danach, den Zustand des Existierens mit der Zeit zusammenzuführen. Deshalb ist für sie das bewusste Leben von hoher Bedeutung. Dies stellt sich jedoch nicht von Anfang an ein, sondern die Figuren entdecken und bemerken dies ganz plötzlich. Gürbüz beschrieb dies in einem ihrer Interviews folgendermaßen: "Ich kann nicht sagen, dass die Erkenntnis, dass man sich als Mensch in einer wirklichen Unendlichkeit aufhält, und die damit verbundenen Wahrnehmungen aus einer intensiven gedanklichen Auseinandersetzung mit der Zeit resultieren, sie dringen vielmehr urplötzlich ins Bewusstsein und führen zu einem Schwindelgefühl."

Ein wichtiger Aspekt der Texte von Şule Gürbüz und eine der Besonderheiten, die den Stil der Autorin prägen, ist die Tradition. Das Verlangen, das Leben wie eine Religion zu leben – wie es bei Autoren wie Yahya Kemal und Ahmet Hamdi Tanpınar der Fall ist –, der Wunsch, die Religion gleichzeitig wie eine Empfindung und eine Kultur in einer Ecke des Lebens aufzubewahren, ist auch in den Werken von Gürbüz vorhanden. Mit Geschichten wie "Der dumme Mann" und "Sadullah Efendi, der Sohn des dummen Mannes" in Mit Begeisterung Sterben bezieht sich Gürbüz auf Literaten wie Tanpınar und Yahya Kemal. Sie folgt bei diesen Verweisen nicht nur ihrem Gefühl oder ihrer Intuition, sondern bindet die Bezüge in ihren Stil ein und verwendet sie als ein übertragbares Element im Text: "Die Welt ist die Konsequenz des auf ihr geführten Lebens oder die Konsequenz, die folgt, wenn man den Spuren dieses Lebens nachgeht." [Aus dem Türkischen: “Dünya, üzerinde sürülen bir hayat ya da bu sürülmüş olanın izinden gitme serencamıydı.” Coşkuyla Ölmek , S. 48 ("Serencam" ist ein Begriff aus dem Altpersischen, das u. a. in den Werken von Yahya Kemal vorkommt.)]

Dass die Tradition in den Texten auf diese Weise vorkommt, lässt den Erzähler mit den genannten Autoren und ihren Werken kommunizieren. Wie aus dem vorherigen Zitat deutlich wird, schreibt Gürbüz in dem gleichen Wortlaut wie die Autoren, auf die sie verweist, ahmt sie jedoch nicht nach. Da dies ein Dialog ist, fügt sie ihre eigenen Worte hinzu. In Mit Begeisterung Sterben wird auf Behçet Necatigils und Yahya Kemals Gedichte sowie auf die Autoren, Philosophen und Dichter Nabi, Muallim Naci, Ahmet Haşim, Ziya Osman Saba, Butor, Foucault und Balzac Bezug genommen.

Auf die literarischen Texte unterschiedlicher Zeitabschnitte in einem anderen Werk zu verweisen, mit diesen Texten in den Dialog zu treten, ist ein eigener Weg, um diese neu zu interpretieren. Ganz gleich in welcher Form das geschieht: dadurch dass man einen Text aus der Zeit und dem Zusammenhang nimmt und in ein anderes Werk überführt, verleiht man ihm eine neue Bedeutung. Seine Einzigartigkeit und sein Anliegen gewinnen so wieder an Aktualität. Das zeigt gleichsam auf, dass nicht nur Individuen ein Gedächtnis besitzen, sondern auch Texte. Das ist wie die Fortsetzung einer Geisteshaltung, die in den Texten von Gürbüz konkretisiert, veranschaulicht und auch konfrontativ verhandelt wird. An den Stellen, an denen sich die erzählende Hauptfigur mit den eigenen Gedanken und Empfindungen auseinandersetzt und sich zeitweise auch davon distanziert, geht die Autorin als Erzählerin auf die Werke ein, die sie gelesen hat, und auf ihre Beziehung zu ihnen. Dadurch erzeugt die Konkretisierung, die sie in ihren Texten vornimmt, eine parallele Sichtweise, um zu veranschaulichen. Hier spielt auch eine gewisse Handwerklichkeit eine enorme Rolle. Gürbüz führt die Texte in Mit Begeisterung Sterben, die auf ältere Werke verweisen, zusammen, macht sie dadurch zum Gegenstand und baut sie behutsam in ihr eigenes Werk ein.

Durch diese Bewunderung und das Bestaunen wird der Weg dafür geebnet, dass das Betrachtete, das Gesehene, objektiviert wird. In einer Form, in der die Fiktion in den Hintergrund gedrängt wird, lässt sich der Zustand des Seins, der sich aus einem Fluss von Wiederholungen ergibt, am besten dadurch beschreiben, dass man diesen Umstand nochmal und nochmal mit unterschiedlichen Ausdrucksweisen schildert. Dies bewirkt, dass in dem Werk mehr als bloß eine Sichtweise vorhanden ist. Mit Begeisterung Sterben ist meines Erachtens nach ein Haus, das all diese Texte beherbergt. Dieses Haus wird von der Autorin mit Texten eingekreist, hier hebt sie die Zeit auf, hier vereint sie ihre eigenen Worte mit denen anderer und bringt sie wie das Gemälde einer Landschaft an der kostbarsten Stelle des Hauses an.

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