Podiumsdiskussion
Politkrimi – auch Literatur mit Niveau!

Politkrimi – auch Literatur mit Niveau!
Politkrimi – auch Literatur mit Niveau! | © Mehmet Arslan Güven

Das Goethe-Institut Ankara hat eine Podiumsdiskussion zum politischen Krimi veranstaltet, bei der Beispiele aus der Türkei und Deutschland miteinander verglichen wurden. Der Krimiautor Wolfgang Schorlau und die Literaturkritikerin Sevin Okyay führten eine inspirierende Diskussion.

Von Tanıl Bora, Schriftsteller, Übersetzer und Verleger

Lange sind die Zeiten vorbei, in denen der Krimi nicht zur “hohen” Literatur zählte. Heutzutage können auch Krimiautorinnen und Krimiautoren ohne Weiteres nicht nur zu den Bestsellern, sondern auch zu den geachteten Literaten und Literatinnen zählen. Mehr noch: Die Literaturgattung Kriminalroman hat selbst begonnen, sich in Untergattungen auszudifferenzieren, die jeweils einen spezifischen Leserkreis haben. In der deutschsprachigen Kriminalliteratur können zum Beispiel Nischenserien wie der Ruhr-Krimi oder der Fußballkrimi problemlos existieren.
 
Auch der Politkrimi ist eine solche Untergattung, die immer mehr gedeiht. Man kann sogar sagen, dass sie zu weit verbreitet und populär ist, um sie noch als Nische zu bezeichnen. Der große Erfolg von Wolfgang Schorlau, dessen Themen und “Fälle” eindeutig politisch sind, reicht hierfür schon als Nachweis aus.
 
Wolfgang Schorlau sieht die Kriminalliteratur als eine Möglichkeit, politische und soziale Probleme zu thematisieren, für diese zu sensibilisieren und hierzu eine Diskussion zu führen. Selbstverständlich unter Voraussetzung, dass hierunter nicht der literarische Anspruch leidet. Vielleicht können wir sogar sagen: Für diejenigen, die Politik “langweilig” oder “zu ernst” finden, kann der Krimi, als vergleichsweise gut lesbare Literatur, ein einfacherer und attraktiverer Weg sein, sich mit ernsten und “schwer verdaulichen” Problemen zu beschäftigen. Im spannungsgeladenen Kosmos des Krimis können einige politische Machtspiele und Interessenskonflikte mit lebendigen Bildern konkretisiert werden. 
 
Ein klares Zeichen dafür, dass der Krimi auch in der türkischen Literatur seine Reife unter Beweis gestellt hat, ist die Tatsache, dass einer der meistgelesensten und hochgeschätzten Autoren, Ahmet Ümit, ein Kriminalschriftsteller ist. Und hatte nicht auch Emrah Serbes, einer der spannendsten Literaten der jüngeren Generation, mit Kriminalromanen angefangen (“Behzat Ç.”, der auch für eine lange TV-Serie Pate stand)? Und es gibt noch eine Reihe anderer Autorinnen und Autoren, die sich in dieser Gattung haben durchsetzen können oder Hoffnungsträger sind.
 
Selbstverständlich gibt es Romane – auch der genannten Autoren –, die sich mit politischen Problemen beschäftigen oder in denen politische Strukturen den Hintergrund bilden. Doch lässt sich nicht davon sprechen, dass sich eine Untergattung des, lassen Sie es uns so nennen: “Hardcore”-Politkrimis entwickelt hätte, der sich unmittelbar mit politischen Problemen befasste und diese fokussierte. Die Kritikerin Sevin Okyay, ihres Zeichens selbst Krimifan, macht darauf aufmerksam, dass in solchen Werken, die als Politkrimi bezeichnet werden können, die “Helden” zumeist aus der Nähe des Geheimdienstes oder der Polizei stammen. Bei einem der produktivsten Krimiautoren, Osman Aysu, ist die Staatsmacht stets auf der “richtigen” Seite. Auf solch für den Politkrimi lebensnotwendigen Themen wie die geheimen Beziehungen zwischen staatlichen Behörden, politischen Organisationen oder kriminellen Mächten, die Korruption in der Sicherheitsbürokratie oder die illegalen Operationen der Polizei und des Geheimdienstes wird im Allgemeinen nicht eingegangen, und wenn sie thematisiert werden, dann in einer entlastenden, legitimierenden und bisweilen sogar “epischen” Form.
 
Weshalb ist das so? Um Reaktionen und Druck zu vermeiden, die zu gewahren sind? Oder handelt es sich hier um die Macht einer politischen Kultur, die den Staat heilig spricht? Ohne Zweifel ist dieses Problem mit Fragen der Gedanken-, Meinungs- und Publikationsfreiheit verknüpft. Sevin Okyay beschwert sich, neben den Beschränkungen dieser Freiheiten, und in Verbindung mit ihnen, über die Dominaz der Selbstzensur in der Türkei.
 
Lässt sich nicht sagen, dass zum Teil die englische Literatur, zum Teil aber auch die Erfahrungen in der Türkei dazu geführt haben, dass der Terminus “tiefer Staat” ins Deutsche übernommen worden ist? Als in der Türkei die Beziehungen im Dreieck von Politik, Unterwelt und Geheimdiensten heftig diskutiert wurden, fand der Begriff des “tiefen Staates” auch in der deutschen Öffentlichkeit Beachtung. Diese Diskussion führte auch dazu, dass man sich der antikommunistischen, halblegalen und geheimen Operationseinheiten erinnerte, die in den Zeiten des Kalten Krieges in den europäischen NATO-Staaten gegründet wurden und auch unter dem Namen “Stay behind” bekannt waren. Eben dieser “tiefe Staat” in Deutschland ist ein beliebtes Thema von Wolfgang Schorlau – man könnte auch sagen, er sei besessen hiervon. Die drei Romane, die ins Türkische übersetzt wurden (Die blaue Liste, Das München-Komplott und Die schützende Hand), beschäftigen sich unmittelbar mit den Verbindungen zwischen dem politischen Establishment und dem irregulären Kriegsapparat. Die beiden letztgenannten zeigen innerhalb dieses Beziehungsgeflechts auch die Bedeutung von Neonazi-Organisationen auf.
 
Hat denn Schorlau keine Probleme bekommen, als er den “tiefen Staat” problematisierte? Er selbst sagt, die einzige Drohung, die er bekommen habe, stamme von einer bewaffneten linken Untergrundorganisation, die in seinem ersten Buch Die blauen Liste vorkomme. Aber er werde ständig dafür kritisiert, dass seine Beschäftigung mit dem “tiefen Staat” “unangemessen”, dass das Ausgraben dieser Dinge “unpatriotisch” sei und “das Vertrauen in den Staat untergrabe”. Er hat eine klare Meinung hierzu: “Dass ist selbstverständlich eine Kritik, die ein Schriftsteller sich niemals zu Herzen nehmen darf.”
 
Muss es nicht die zentrale Aufgabe des demokratischen Rechtsstaats sein, keinerlei Machtgebrauch außerhalb des Rechts und der Kontrolle zuzulassen? Das Gegenteil wäre “unangemessen” und würde “das Vertrauen in den Staat untergraben”!
  
In der Kriminalliteratur gibt es ein Übergewicht der skandinavischen Autoren und Autorinnen. Wenn wir noch die nordamerikanischen, britischen, belgischen und französischen Schriftsteller und Schriftstellerinnen hinzufügen, scheint es geradezu eine “nordische” Gattung zu sein. Sevin Okyays Bemerkung, dass der Krimi in städtischen Gesellschaften aufgekommen sei und dort seine Leserschaft finde, mag dies erklären. Doch Wolfgang Schorlau gibt zu Bedenken, dass auch die südländischen Autorinnen und Autoren immer mehr an Gewicht gewinnen. Aus dem Süden können glänzende Beispiele kommen, wie etwa die Werke von Manuel Vázquez Montalbán, die auch Schorlau mag. Sevin Okyay fügt dem als ein weiteres starkes Beispiel Petros Markaris aus Griechenland hinzu. Bietet der Süden mit der – wenn wir es höflich sagen – Fragilität der Mechanismen seines demokratischen Rechtsstaats nicht gerade einen fruchtbaren Boden für den Politkrimi? 
Lassen Sie uns an einen Kriminalautoren aus dem Norden erinnern, der den Süden thematisiert: Jonathan Holt, der sich in seiner “Carnivia Trilogie” mit der Gladio in Italien (dem italienischen “tiefen Staat”) beschäftigt. Dies ist eine Gemeinsamkeit von Holt und Schorlau: Beide sind unglaublich investigative Autoren. Grundlage ihrer Romane ist eine Erkundungsarbeit, wie sie sonst nur meisterhafte Journalisten und Journalistinnen an den Tag legen. Am Ende ihrer Bücher veröffentlichen sie Informationen und Quellen zu den jeweiligen Themen und weisen damit nicht nur der interessierten Leserschaft den Weg, sondern unterstreichen damit auch, dass ihre Schilderungen auf “wahren Begebenheiten beruhen”. Dass die Untersuchungskommission, die das Parlament von Baden-Württemberg zum “Nationalsozialistischen Untergrund” eingesetzt hat, Schorlau eingeladen hat, damit er seine Informationen weitergebe, dürfte einen Eindruck davon vermitteln, wie ernsthaft seine dokumentaristische Tätigkeit ist.
 
Nun, könnte der “radikale Dokumentarismus” Risiken in sich bergen, könnte die Dramaturgie auf der Strecke bleiben? Die Leserschaft vermittelt den Eindruck, dass sie sehr damit zufrieden ist, wenn “wahre Begebenheiten” durchgestochen werden. Sevin Okyay sieht das Geheimnis des Erfolgs in der Balance und Harmonie. Wenn man den Roman mit Freude lese, sei er gelungen. So können wir den berühmten Slogan auf unser Thema beziehen: “Ein guter Politkrimi ist gute Literatur”!

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