Interview mit der Übersetzerin und Schriftstellerin Isabel Fargo Cole

literatür Interview mit Isabel Fargo Cole © Goethe-Institut | Graphiker: Çağın Kaya, Fotografin: Simona Lexau

Du hast vor einigen Jahren einen scharfsinnigen und provokanten Essay veröffentlicht; „Das Gespenst der Nichtfeministin.“ Du schreibst, der Feminismus rühre an einen „empfindlichen Kern“, u.a. nämlich auch an einen „alten Kampf, in dem jeder, ohne es zu wollen, sich eingereiht findet – an das Unbehagen, etwas zu sein und gleichzeitig die Rolle dessen zu spielen.“ In welchem Moment wird es eine „Rolle“?

Ich muss dabei an die Beobachtung einer Freundin denken, die zu mir meinte: Wo man heute das Wort "Identität" (im Sinne einer "Gruppenidentität") benutzt, hätte man früher vielmehr von einer "sozialen Rolle" gesprochen. Sie fand den alten Begriff treffender. Es geht mir damit ähnlich. Ich stoße mich dauernd an der Vorstellung einer "Gruppenidentität", empfinde sie als paradox. Das Wort "Identität" impliziert für mich die Einzigartigkeit eines jeden Individuums, das ja nur mit sich selbst identisch sein kann, nicht aber mit einer Gruppe, egal, wie groß die Gemeinsamkeiten sind. Insofern kommt für mich die Rolle ins Spiel, sobald von der (Gruppen)identität die Rede ist. Diese erscheint mir fast als massengefertigte Maske, die man vor sich herträgt. Freilich: Man will unter ihrem Schutz eine Welt erkämpfen, in der die Masken fallen können. Freilich: Vielen wird diese Maske von außen aufgezwungen. Aber ich fürchte, wer so mit den Mitteln der Identität und der Identifikation kämpft (oder zu kämpfen gezwungen ist), wird vielleicht immer weniger in der Lage sein, die Maske abzulegen.

Du sagst, es sind die universalen Werte wie Selbstachtung und Selbstbestimmung, die in Konfliktsituationen helfen. Ich würde einwenden: Der Feminismus bekämpft aber auch Ungleichheiten, die auschließlich durch das spezifische Machtgefälle der Geschlechterverhältnisse entstehen – oder siehst du es anders?

Das muss kein Widerspruch sein. Es gibt die Makro- und die Mikroebene, gesellschaftliche Strukturen und zwischenmenschliche Dynamiken. Das Makromachtgefälle spiegelt sich nicht unbedingt in jedem Mikrokonflikt wider. Wenn ich in jedem Meinungs- oder Interessenskonflikt mit einem Mann automatisch "als Frau" auftrete – vor allem wenn ich ihm "als Mann" gleich die Machtposition zuschreibe – habe ich erst recht das Gefühl, die schiefen Verhältnisse fortzuschreiben. Es gibt natürlich Männer, die sich ganz klar sexistisch benehmen, aber gerade sie scheinen mit einer feministischen Retourkutsche zu rechnen oder sie sogar provozieren zu wollen – wieder ein ödes Rollenspiel, das kann man doch aufzubrechen versuchen.

In deiner Kritik am Feminismus räumst du ein, dass du aus einer privilegierten Position heraus sprichst und diese dem Feminismus letztlich verdankst. Warum ist das für dich kein Widerspruch?

Erstens: Ich kritisiere nicht den Feminismus an sich (schon weil es den Feminismus nicht gibt), sondern den Druck, sich als Feministin zu identifizieren, wenn man nicht als Antifeministin gelten will. Zweitens würde ich vom Begriff des "Privilegs" Abstand nehmen. Ich bin inzwischen auf eine interessante Kritik des Wortes, z. B. durch die Philosophin Naomi Zack, gestoßen: Mit ihm stellt sich etwas, das doch ein Menschenrecht ist und eine Selbstverständlichkeit sein sollte, quasi als Extrawurst dar. Diese Vorstellung ist problematisch – sie löst bei "Privilegierten" tendenziell eine Verteidigungshaltung aus: Man will uns die Wurst wegnehmen! Diese Angst, gerade bei Menschen, die selbst mit existentiellen Unsicherheiten zu kämpfen haben – und das sind heutzutage die allermeisten –, wird von Reaktionären gekonnt ausgenutzt, und man sollte sich hüten, sie rhetorisch zu bestätigen. Vor allem aber wertet diese Perspektive die Würde und die Rechte, die allen zustehen, zum schnöden Gegenstand eines Nullsummenkonflikts um Status und Ressourcen herab. 

Mein "Privileg" besteht darin, dass ich eine emanzipierte Erziehung hatte und dass Diskriminierung meinen Lebensweg nicht bestimmt hat. Das sollte für alle selbstverständlich sein – ist es längst nicht, das weiß ich sehr wohl. Aber gerade als so "Privilegierte" kann ich nicht ohne weiteres in die Opferrolle schlüpfen. Ich kann nur versuchen, selbst emanzipiert zu leben und andere darin zu unterstützen – so gut ich das auf meiner Weise kann. Emanzipation kann gerade bedeuten, möglichst viele Entwürfe friedlich koexistieren zu lassen, Schnittmengen zu suchen, anstatt Anderen die eigenen Lösungen pauschal aufzudrängen. Es könnte das allgemeine Engagement sogar stärken, wenn man sich weniger in Grabenkämpfen um z. B. "richtige" Schreibweisen aufreiben würde und stattdessen mehr Lockerheit und Vielfalt zuließe – so gäbe es auch mehr "Andockmöglichkeiten" für Menschen (wie ich), die den ihnen passenden Zugang noch nicht finden konnten oder die vor der Unerbittlichkeit der Kämpfe zurückschrecken.

Wie kann man sich vom „lästigen“ Feminismus abgrenzen, ohne von konservativen Strömungen vereinnahmt zu werden, die Feminismus nicht aus Gründen der Freiheit, sondern aus Gründen eines reaktionären Frauenbildes ablehnen?

Indem man differenziert kritisiert, billige Provokationen vermeidet und kein reaktionäres Frauenbild vermittelt.

Hast du den Eindruck, dass die Bewegung Metoo für mehr Aufklärung und Verständnis gesorgt hat, oder auch, wie Kritiker der Bewegung vorwerfen, für „moralischen Totalitarismus“ und eine Vertiefung des Grabens zwischen den Geschlechtern?

Die Debatte hat zwar viele finsteren Ecken ausgeleuchtet, die es dringend nötig hatten, aber ich fürchte, sie hat im Großen und Ganzen "mehr Hitze als Licht erzeugt", wie es auf Englisch so schön heißt.

Zurück zur Literatur: Sollte Literatur den aktuellen Stand der Debatten auf irgendeine Art wiederspiegeln – etwa zu Feminismus, metoo usw. – oder ist Literatur zeitlos und jenseits davon?

"Sollte" sollte es bei der Literatur nicht geben! Sie kann auf jeden Fall aktuelle Debatten widerspiegeln – aber wenn sie deren Zuspitzungen und Klischees lediglich umverpackt, dann ist die Chance verschenkt, finde ich. Im Idealfall schafft es die Literatur, so tief in die Aktualität zu dringen und zugleich so weit über ihr zu stehen, dass sie über die Zeit hinausgeht.

Spielen aktuelle Debatten beim Schreiben deiner Texte eine Rolle, also prüfst du zb. die darin vorkommenden Mann-Frau-Beziehungen noch eigens daraufhin, inwiefern sie Machtverhältnisse fortschreiben, aufheben - oder ist das keine für dein Schreiben relevante Kategorie?

Ich wüsste gar nicht erst, die Machtverhältnisse zwischen meinen Figuren so eindeutig zu bestimmen – wie gesagt, diese sind im zwischenmenschlichen Bereich nicht immer das Ausschlaggebende, oder sie sind komplex und schillernd. In meinem neuen Roman "Das Gift der Biene" zum Beispiel zieht die Erzählerin, eine bürgerlich-behütete Amerikanerin, in das Nachwendeberlin. Sie verliebt sich in einen Mann, der von seiner DDR-Vergangenheit traumatisiert ist und sich im Westen nicht zurechtfindet. Er wiederum kümmert sich um eine geniale aber depressive Malerin aus privilegierten DDR-Kreisen, die sich mit Alkohol zugrunde richtet. Die Malerin schließlich wird quasi zum Projekt einer zu DDR-Zeiten verfolgten Lebenkünstlerin, die in der neuen Gesellschaft aufblüht – deren ungestüme Energie und Durchsetzungskraft aber eine Katastrophe mit auslöst. Wer in diesem Freundschafts- und Beziehungsgeflecht hat mehr "Macht" oder "Privilegien"? Wer ist hier die "starke Frau" oder die "schwache Frau"? Wenn sich das so einfach sagen ließe, hätte ich die Geschichte nicht erzählt. 

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