Andrea Naica-Loebell
Da geht's nur um die Wahrheit

Am Anfang steht kein Verbrechen, sondern zwei Personen auf der Straße: "Sie standen vor der Kirche und warteten auf nichts." Der Privatermittler Robert Fallner und seine Pflegetochter Nadine. Er war Polizist und will es nun nicht mehr sein, er hat im Dienst in Notwehr einen jugendlichen Dealer erschossen - der ihn seither als Geist verfolgt.
In Franz Doblers drittem Krimi geht der Ex-Polizist Fallner wieder seine ganz eigenen und krummen Wege, um dem Bösen auf die Spur zu kommen.

Für die ersten beiden Bände mit dem ungewöhnlichen Ermittler Fallner Ein Bulle im Zug (2014) und Ein Schlag ins Gesicht (2016 - unter dem Titel Nicht tot zu kriegen für das ZDF verfilmt) gab es jeweils den Deutschen Krimipreis. In Ein Schuss ins Blaue erweist sich Franz Dobler erneut als Sprengmeister der Grenzen des Genres.
Alles beginnt vor und in einer Kirche, aber eigentlich geht es um einen islamistischen Terroristen, der vielleicht in München auftauchen wird und auf dessen Kopf zwei Millionen ausgesetzt sind - wobei unklar ist, wer dieses Kopfgeld zahlen will, sind es die Amerikaner, oder steckt jemand anderes dahinter? Trotz einiger Zweifel hat sich die Sicherheitsfirma mit dem schönen Namen "Safety International Security" von Robert Fallners Bruder zum Ziel gesetzt ihn aufzuspüren.
Wobei das alles nur so etwas wie ein roter Faden ist, der im Verlauf der Geschichte immer mal wieder fast verschwindet. Fallner ist ein Skeptiker, der nicht an Gott glaubt und hinter die Fassaden schaut, ein hartgesottener und dennoch feinfühliger Ermittler, der eigentlich gar nicht mehr für die Firma seines Bruders arbeiten will und den Sinn des Auftrags ständig infrage stellt - zumal er nicht aufhören kann, sich misstrauisch zu fragen, wer die Strippenzieher hinter dieser Jagd sind.
Dennoch gibt es natürlich wirklich gute Gründe einen islamistischen Killer aus dem Verkehr zu ziehen, also macht er sich mit seinem jüdischen Partner Landmann auf die Suche.
 
Mindestens so wichtig wie der Attentäter sind die vielen anderen Menschen, denen Fallner begegnet. Er hört ihnen zu, sie regen seine Gedanken an, lassen ihn abschweifen und  damit den Fragen näher kommen, die er sich stellen muss, um die anstehenden Rätsel zu lösen. Er durchstreift die Wohlstandsstadt München, in der die Flaschensammler unterwegs sind und nachts  im Bahnhof-Tiefgeschoß ein Saxophonist aufspielt - eine Stadt wie aus einem Film noir, in der viele befürchten, sich das Leben hier bald nicht mehr leisten zu können.
Der melancholische Ermittler, der zwanzig Jahre lang Polizist war, hat ungewöhnliche Freunde, prekär lebende, ein wenig schräge Vögel, authentische Figuren mit gutem Humor wie der alternde Punk Armin, der kommunistische Wirt seiner Lieblingskneipe Bertls Eck oder ein anarchistischer griechischer Schallplattenhändler. Fallner ist einer der wenigen Käufer der Vinyl-Scheiben und bedauert sehr, dass sie ansonsten nur noch "die Modelleisenbahn von heute für den distinguierten Schwanzträger" sind.

Der Kriminalroman Ein Schuss ins Blaue ist durchzogen von Musik, der Text hat einen ganz eigenen Beat, der typisch ist für die Bücher von Franz Dobler. Er ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch DJ und Herausgeber mehrerer CDs mit Perlen deutschsprachiger Popmusik, sowie einem Tribute-Album für Johnny Cash - über den er zudem eine Biographie schrieb (The Beast in me, 2002).
Franz Dobler lässt sich nicht auf eine Kunstform eingrenzen, auch innerhalb der Literatur hat er seine ganz eigene musikalische Sprache für seine Gedichte, Erzählungen, Romane und Musikbücher gefunden. Eine oft rauhe, kratzige, manchmal anstößige Sprache - immer wieder poetisch verdichtet.


Da ist Robert Fallner mal wieder unterwegs, auf einem seiner Streifzüge, ganz in Gedanken: "Dann ging er neben sich - ein ruhiger Mann, der über den Mann lachte, der neben ihm ging und Gespenster sah." Und dann kommt der Moment, wo er eine gewaltige Leere spürt. "Eine Leere wie das leere Haus, das dir Angst macht. Und die Stumme, die auf die Tür deutet. Und die Stille, die vom Tod erzählt."
 
Der Ermittler bewegt sich durch ein düsteres Labyrinth, eines in dem man sich schnell eine  Kugel einfangen kann. Denn er sucht nicht nur nach einem gefährlichen islamistischen Attentäter, sondern bekommt auch noch ganz persönlich ein zweifelhaftes Angebot, Ku-Klux-Klan-Polizisten spielen eine Rolle und deren Verstrickung in rechtsextrem Terror - wem kann man überhaupt noch trauen?
Er vertraut seiner Familie, seiner Frau, die noch bei der Polizei ist, und seiner Pflegetochter, mit der zusammen er nach Hause zu seinem Vater reist. Aber das bringt nur die schlechten alten Geschichten hervor, denn "Heimat ist da, wo man sich aufhängt."
Zu viele undurchsichtige Verstrickungen vernebeln die Gegenwart und sarkastischer Humor hilft immer nur für einen Augenblick. Je näher Fallner dem Ziel kommt, desto mehr ist Geduld und Konzentration gefragt, aber das ist schwer, wie der Autor mit einem kurzen Gedicht erklärt:
 
"Du rennst gegen den Feind
weil du das Abwarten nicht mehr erträgst.
Darauf hat er gewartet."
 
Am Ende wird gar nichts gut und die Liebhaber traditioneller Kriminalromane werden garantiert enttäuscht sein. Für alle anderen ist Ein Schuss ins Blaue ein spannendes Buch mit literarischem Tiefgang.

 
Franz Dobler: Ein Schuss ins Blaue, Stuttgart: Tropen 2019, 288 Seiten, 20 Euro
 

Autorin
Andrea Naica-Loebell © © Andrea Naica-Loebell Andrea Naica-Loebell © Andrea Naica-Loebell

 

Andrea Naica-Loebell, Autorin und Kuratorin, als freie Journalistin für verschiedene Medien tätig, seit 2001 konstant für Telepolis (ständige Mitarbeiterin). Viele Buch- und Katalogbeiträge, darunter das "Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945".
Festivals und Veranstaltungsreihen organisiert und geleitet, unter anderen mehrmals die "Internationale Frühjahrsbuchwoche München", vier Jahre lang das "Comicfest München" und die Veranstaltungsreihe "Hommage an Friedrich Glauser".


 

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