Umnutzung von Industriebauten im Ruhrgebiet
Kunst statt Kohle

Das ehemalige Bergwerk Zeche Zollverein im Sommer 2015;
Das ehemalige Bergwerk Zeche Zollverein im Sommer 2015; | © Jochen Tack / Stiftung Zollverein

Über 200 Jahre lang war die Region im Westen Deutschlands das industrielle Zentrum des Landes. Inzwischen werden viele Industrieruinen als Kulturstätten genutzt.

Wenn Ende 2018 mit dem Bergwerk Prosper-Haniel das letzte Bergwerk des Ruhrgebiets schließt, geht in Deutschland auch die Ära des Kohlebergbaus zu Ende. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts, fast 200 Jahre lang, war das Ruhrgebiet im Bundesland Nordrhein-Westfalen das industrielle Zentrum Deutschlands und eine der wichtigsten Industrieregionen der Welt.

Hier wurde Stahl produziert, es wurden Maschinen, Waffen und Lokomotiven gebaut und in hunderten Zechen, wie die Bergwerke auch genannt werden, der Stoff gefördert, der die Industrialisierung erst ermöglichte: Steinkohle. 1956 waren im Ruhrgebiet fast eine halbe Million Menschen im Bergbau beschäftigt. 2019, nach der Schließung der letzten Zeche, werden es nur noch gut 300 sein – um den Bergbau abzuwickeln.

Industrieanlagen werden zu soziokulturellen Zentren

Dennoch spielen Zechen und andere Industriebauten nach wie vor eine wichtige Rolle in der Region. Ob sogenannte Gasometer – große Erdgasbehälter –, ob Hochhöfen zur Stahlherstellung oder Kohlefördertürme – seit Ende der 1970er-Jahre wurden viele der ehemaligen Industrieanlagen, darunter 296 Bergwerke, zu Kulturstätten umgenutzt.

Bereits 1978 wurde die 1929 stillgelegte Zeche Carl in Essen als eine der ersten Industriebauten zu einem soziokulturellen Zentrum umgewandelt, in dem die Bürgerinnen und Bürger kulturelle und politische Veranstaltungen organisierten. Solche Zentren entstanden in den 1970er-Jahren in Deutschland als Teil der sogenannten neuen sozialen Bewegung, die für die Schaffung einer Alternativkultur und den Ausstieg aus dem bürgerlichen, wohlstandsorientierten Leben eintrat. In der Zeche Carl konnten sich Senioren zu Tanztees treffen, eine Hausaufgabenbetreuung für Schulkinder wurde eingerichtet. Zudem etablierte sich das ehemalige Bergwerk schnell als ein wichtiger Veranstaltungsort für Rockkonzerte in der Region.

Einzigartige Industriekultur

 
  • Heute: Landschaftspark Duisburg Nord (Duisburg) © Horst Neuendorf
    Heute: Landschaftspark Duisburg Nord (Duisburg)

    Im April 1985 wurde der Betrieb am Thyssen-Hochofenwerk in Duisburg-Meiderich eingestellt. Vier Jahre später, zu Beginn der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, wurde entschieden, das 200 Hektar große Gelände in eine Natur- und Kulturlandschaft zu verwandeln. In umfunktionierten Bauten wie der „Kraftzentrale“, einer 175 mal 35 Meter großen Halle, in der früher Maschinen den sogenannten Hochofenwind produzierten, finden heute Konzerte und Veranstaltungen statt. An alten Türmen wird geklettert, im früheren Gasometer getaucht.
  • Damals: Hüttenwerk der Rheinischen Stahlwerke © Jürgen Dreide
    Damals: Hüttenwerk der Rheinischen Stahlwerke

    Das frühere Werk wurde 1901 von dem Konzern Rheinische Stahlwerke zu Meiderich bei Ruhrort gegründet, der später zur Thyssen-Gruppe gehörte. Bis der Betrieb 84 Jahre später eingestellt wurde, produzierten die insgesamt fünf Hochöfen 37 Millionen Tonnen Spezialroheisen – in der Regel als Vorprodukt für die Weiterverarbeitung in den Stahlwerken. Die Aufnahme zeigt den Hochofen 5 mit Kran und Erzbunkeranlagen im Jahr 1991. Er wurde 1985 als letzter Teil der Anlage stillgelegt.
  • Heute: Maximilianpark (Hamm) © Frank Bruse
    Heute: Maximilianpark (Hamm)

    Im Jahr 1984 bekam die Stadt Hamm den Zuschlag, die Landesgartenschau Nordrhein-Westfalen auf dem brachliegenden Gelände der ehemaligen Zeche Maximilian auszurichten. Es wurde ein Park angelegt, bestehend aus Zonen mit Teich-, Wald- und Wiesenlandschaften, Themengärten sowie einem Freizeitbereich. Bekanntestes Objekt des Parks und Wahrzeichen der Stadt Hamm ist die zur Eröffnung der Gartenschau umgebaute ehemalige Kohlenwäsche der Zeche: der sogenannte Gläserne Elefant, eine begehbare Plastik. Wer im gläsernen Rüssel nach oben fährt, kann den gesamten Park überblicken.
  • Damals: Zeche Maximilian (Hamm) © Frank Bruse
    Damals: Zeche Maximilian (Hamm)

    Die Geschichte des ehemaligen Steinkohle-Bergwerks begann 1899 mit Tiefenbohrungen, die reichhaltige Fettkohlereserven belegten. 1902 wurden erste Schächte angelegt. Trotz Problemen mit Wassereinbrüchen entstand eine Kokerei. Ab 1911 wurde Kohle gefördert, allerdings nur bis zu einem erneuten starken Wassereinbruch 1914. Bis in die 1980er-Jahre hinein lag das Gelände brach. Die Aufnahme zeigt die Kohlenwäsche im Jahr 1980, vier Jahre vor dem Umbau für die Landesgartenschau.
  • Heute: Industriedenkmal Zeche Zollverein (Essen) © Jochen Tack
    Heute: Industriedenkmal Zeche Zollverein (Essen)

    Der Förderturm des Weltkulturerbes Zeche Zollverein hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Wahrzeichen des Ruhrgebiets entwickelt. Als die Stadt Essen stellvertretend für das Ruhrgebiet im Jahr 2010 Kulturhauptstadt Europas war, stand Zollverein im Zentrum. Die 100 Hektar große Anlage ist Standort für das Ruhr-Museum und das Tanzzentrum PACT, darüber hinaus sollen auf dem Gelände nach und nach Unternehmen angesiedelt werden. Ab 2017 wird die Ruhrkohle AG (RAG) von Zollverein aus die Reste des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet abwickeln.
  • Damals: Steinkohlebergwerk Zeche Zollverein (Essen) © Stiftung Zollverein
    Damals: Steinkohlebergwerk Zeche Zollverein (Essen)

    Die Zeche wurde 1847 mit Schachtanlagen in mehreren Stadtteilen von Essen gegründet und begann 1851 mit der Förderung von Steinkohle. In den 1920er-Jahren wurde der Gebäudekomplex im funktionalen Bauhaus-Stil neu gebaut. Eingestellt wurde der Betrieb im Jahr 1986, die Kokerei wurden noch bis 1993 getrieben. Das Foto zeigt Bergleute auf dem Weg zur letzten Schicht. Die Förderleistung des wahrscheinlich bekanntesten Bergwerks des Ruhrgebietes betrug zuletzt 3,2 Millionen Tonnen jährlich.
  • Heute: Industriemuseum Zeche Zollern (Dortmund) © LWL-Industriemuseum, Annette Hudemann
    Heute: Industriemuseum Zeche Zollern (Dortmund)

    Das ehemalige Bergwerk Zollern zählt zu den architektonisch interessantesten Zechenanlagen des Ruhrgebietes. Der vordere Teil erinnert an eine barocke Schlossanlage im Stil des Historismus der Jahrhundertwende. Zeche Zollern ist Teil des auf acht Standorte verteilten Industriemuseums des Landschaftverbandes Westfalen Lippe. Neben einer Dauerausstellung gibt es hier einen Arbeitergarten, in dem die Besucher sehen können, wie Bergleute zur Zeit der Industrialisierung Gemüse zogen und Kleintiere hielten.
  • Damals: Steinkohlebergwerk Zeche Zollern (Dortmund) © LWL-Industriemuseum
    Damals: Steinkohlebergwerk Zeche Zollern (Dortmund)

    Das Bergwerk entstand 1898 als Vorzeige-Anlage der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (GBAG). Die Architektur sollte wirtschaftliche Potenz und Modernität zum Ausdruck bringen. Dennoch zeigten sich Unzulänglichkeiten: In der kurzen Schachthalle war kein Wagenumlauf möglich, die Aufbereitungsanlagen für die Trennung und Aufbereitung der Kohlen waren mangelhaft. Die Kohleförderung endete 1955. Das historische Motiv der Zeche Zollern ist aus dem Jahr 1905.
  • Heute: Jahrhunderthalle Bochum © Jahrhunderthalle
    Heute: Jahrhunderthalle Bochum

    Seit ihrem Umbau und ihrer Sanierung im Jahr 2003 ist die Jahrhunderthalle einer der Hauptspielorte für das Kunstfestival Ruhrtriennale sowie Veranstaltungsort für Messen und Konzerte. Die Halle liegt auf dem etwa 40 Hektar großen ehemaligen Gelände der Krupp-Stahl AG in Bochum, dem heutigen Westpark. Das Gelände erstreckt sich terrassenartig auf verschiedenen Höhenstufen, die durch zahlreiche Wege, Rampen und Brücken miteinander verbunden sind. Teile der Jahrhunderthalle, der Wasserturm und zwei Kühltürme, werden nachts farbig beleuchtet.
  • Damals: Jahrhunderthalle inmitten des Industrieareals (Bochum) © Stadtarchiv - Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte
    Damals: Jahrhunderthalle inmitten des Industrieareals (Bochum)

    Die Aufnahme zeigt das riesige Areal der Krupp-Stahl AG in Bochum im Jahr 1938. Im hinteren Bildbereich ist die Jahrhunderthalle mit beigestelltem Wasserturm zu erkennen. Errichtet wurde sie 1902 als Ausstellungshalle des Bochumer Vereins auf dem Gelände der Gewerbeausstellung in Düsseldorf. Dabei wurde sie so konstruiert, dass es möglich war, sie komplett zu demontieren und zu transportieren. Das geschah 1903, als das Gebäude auf das Gelände der Krupp-Stahl AG „umzog“.
  • Heute: Maschinenhalle Gladbeck © Bande für Gestaltung und Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur
    Heute: Maschinenhalle Gladbeck

    Lange Zeit gab es kein Nutzungskonzept für die Maschinenhalle Zweckel. Ein benachbartes Chemieunternehmen wandte sich aus Gründen der Sicherheit gegen eine publikumsintensive Nutzung der Halle. Seit 1997 ist die Maschinenhalle ein Standort der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur und ein Veranstaltungsort für Kunst und Kultur der Stadt Gladbeck, unter anderem für die Ruhrtriennale.
  • Damals: Steinkohlebergwerk Zeche Zweckel (Gladbeck) © Archiv Fördergemeinschaft für Bergmannstradition linker Niederrhein e.V.
    Damals: Steinkohlebergwerk Zeche Zweckel (Gladbeck)

    Das Bergwerk wurde 1908 in Betrieb genommen. 1909 wurden Fördermaschinen in die fertiggestellte Maschinenhalle eingebaut. 1963 wurde die Steinkohlen-Förderung eingestellt. Seit 1988 steht die Anlage als Industriedenkmal unter Denkmalschutz. Die endgültige Stilllegung der Schächte erfolgte 1995. Die Aufnahme zeigt die Zeche Zweckel im Jahr 1942.
1989 startete die Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA Emscher Park), eine Initiative des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, mit dem Ziel, der unter den Folgen des wirtschaftlichen Niedergangs leidenden Region zu neuem Selbstbewusstsein zu verhelfen. Einerseits wollte man die Ruinen der Berg- und Stahlwerke als Zeugnisse einer in dieser Dimension einzigartigen Industriekultur aufwerten. An kaum einem anderen Ort in der Welt hat die Kohle- und Stahlindustrie ein ähnlich dichtes Netz aus industriellen Bauten, Verkehrswegen und Siedlungen hervorgebracht. Andererseits sollte das architektonische Erbe weiterhin eine wichtige Rolle in der Region spielen. Für zahlreiche ehemalige Industriebauten entwickelte man in der zehnjährigen Laufzeit der IBA bis 1999 neue Nutzungskonzepte.

Die bekanntesten Beispiele hierfür sind Zeche Zollverein, die Jahrhunderthalle Bochum und der Landschaftspark Duisburg-Nord. Die 1847 gegründete und bis 1986 als Bergwerk genutzte Zeche Zollverein wurde 2001 zum UNESCO-Welterbe ernannt, nicht zuletzt aufgrund ihrer beeindruckenden Architektur. 1932 begann der Betrieb der Zentralschachtanlage Zollverein XII, gebaut im funktional-schlichten Stil der Neuen Sachlichkeit. Heute haben zahlreiche Kulturinstitutionen darunter das Ruhr Museum und das Tanzzentrum PACT Zollveren dort ihren Sitz. Regelmäßig finden in den Hallen und auf dem Außengelände Veranstaltungen, etwa Konzerte und Kongresse, statt.

Die Jahrhunderthalle in Bochum ist vor allem als zentrale Spielstätte der Ruhrtriennale bekannt, einem internationalen Kunstfestival. Viele Projekte und Aufführungen sind auf die spektakuläre Architektur der Industriedenkmäler abgestimmt. Der Gasometer Oberhausen beispielsweise, mit 117,5 Metern Höhe und einem Durchmesser von 67,5 Metern Europas größter Gasbehälter, wurde von 1993 bis 1994 im Rahmen der IBA zu Europas größter Ausstellungshalle umgebaut. Heute dient der Gasometer ebenso als Spielstätte der Ruhrtriennale wie der Landschaftspark Duisburg-Nord, ein weitläufiges ehemaliges Stahlwerksgelände, das darüber hinaus vor allem als Freizeit- und Erholungspark genutzt wird.

Stärkung des regionalen Selbstbewusstseins

Die Bewohnerinnen und Bewohner des Ruhrgebiets schätzen die kulturellen Nutzungskonzepte für die alten Industrie- und Zechenanlagen – auch wenn sie an den Problemen der Region nichts ändern: Mit einer Arbeitslosenquote von rund 11 Prozent (Dezember 2015) liegt das Ruhrgebiet weiterhin deutlich über dem Wert von 6,5 Prozent für das gesamte Bundesgebiet. Doch zweifellos kann die Auf- und Umwertung der eigenen wirtschaftlichen Vergangenheit im Sinne einer einzigartigen Industriekultur das regionale Selbstbewusstsein stärken.