Europeana Collections 1914–1918
Digitalisierungsprojekt zur Alltagskultur

„Die Ermordung des Großherzogs Franz Ferdinand von Österreich“, Frankreich 1914
„Die Ermordung des Großherzogs Franz Ferdinand von Österreich“, Frankreich 1914 | Foto (Ausschnitt): © Jugoslovenska Kinoteka (JK)

In einem Projekt zur Alltagskultur im Ersten Weltkrieg wurden 400.000 Objekte aus europäischen Nationalbibliotheken und Archiven digitalisiert. Sie sind nun Teil der virtuellen Sammlung in einem Themenportal der Europeana.

Zum hundertsten Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs werden über Europeana.eu rund 400.000 herausragende Zeitdokumente aus Bibliotheken und Archiven acht europäischer Länder online verfügbar sein. Das ist das beeindruckende Ergebnis des internationalen Digitalisierungsprojekts Europeana Collections 1914–1918, das von der Europäischen Kommission finanziert wurde.

Das ehrgeizige Projekt ist 2011 mit zwölf Partnern – überwiegend Nationalbibliotheken – und einem klaren inhaltlichen Fokus gestartet: „Unser Projekt stellt das Alltagsleben zu Kriegszeiten dar – sowohl im Schützengraben als auch an der sogenannten Heimatfront“, erklärt der Projektkoordinator Thorsten Siegmann von der Staatsbibliothek zu Berlin. „Es geht also vor allem um Objekte, mit denen ein normaler Bürger zwischen 1914 bis 1918 in Kontakt gekommen ist: etwa Schützengraben-Zeitungen und Flugblätter, aber auch Erbauungsliteratur und Kochbücher.“

Über die Grenzen von Archivierungstraditionen hinweg

Trailer: Europeana 1914–1918 Filmsammlung

Die Brüder George Brain, 10. Batallion, Sherwood Foresters und Harry Brain, Queens Own Oxfordshire Hussars in Havrincourt, Frankreich. Die Brüder George Brain, 10. Batallion, Sherwood Foresters und Harry Brain, Queens Own Oxfordshire Hussars in Havrincourt, Frankreich. | © Keith Brain Bei einem internationalen Projekt dieses Umfangs steht die Kommunikation deutlich im Vordergrund. „Es handelt sich um komplexe Prozesse, an denen eine Vielzahl von Personen beteiligt sind: vom Bibliothekar über technische Dienstleister bis hin zu den Plattformbetreibern. Zu erreichen, dass alle beteiligten Partner die gleichen Kategorien verwenden – und die Inhalte damit für den Nutzer leicht auffindbar werden – war wohl die größte Herausforderung in diesem Projekt“, meint Thorsten Siegmann. „Schließlich arbeitet man nicht nur in verschiedenen Sprachen, sondern auch mit verschiedenen Archivierungstraditionen und damit anderen Sichtweisen auf Bestände.“

Zunächst musste man sich auf ein Metadatenformat und auf Kriterien für die Auswahl der Dokumente einigen. Es wurden zum einen die wirklich herausragenden Objekte in den Beständen identifiziert, zum anderen ging es auch darum, besonders fragile oder von Zerstörung bedrohte Werke zu sichern.

Sprachenvielfalt auch bei den Metadaten

Kriegsannalen Nr. 85, Frankreich, | © Deutsches Filminstitut – DIF

Ein wesentliches Auswahlkriterium war auch die Frage nach dem Urheberrecht. „Wir dürfen ohne Genehmigung nur rechtefreie Werke digitalisieren, also Werke, deren Urheber schon mindestens 70 Jahre verstorben ist. Das ist für den Zeitraum 1914 bis 1918 bei weitem nicht für alle Materialien der Fall“, sagt Siegmann. „Bei ganz herausragenden Dokumenten kann man sich natürlich um eine Genehmigung aller an einem Werk beteiligten Urheber bemühen. Aber das ist bei mehr als 400.000 Dokumenten nur in Einzelfällen möglich.“

Eine weitere Herausforderung war die Sprachenvielfalt: „Die Metadaten unserer Projekt-Partner liegen in unterschiedlichen Sprachen vor. Die beteiligten Bibliotheken haben in der Regel einsprachige Kataloge.“ Damit die Digitalisate dennoch sprachübergreifend nutzbar sind, hat man 50 zentrale Themen identifiziert, die dann mit einer mehrsprachigen Klassifikation ausgezeichnet wurden. „Wer nun im Themenportal auf Deutsch nach ‚Schützengraben‘ sucht, findet auch Objekte in anderen Sprachen zu diesem Thema.“

Drei Projekte in einem Portal

Chloe Coules mit den Auszeichnungen ihres Ururgroßvaters und seinem 'Death or Glory' Abzeichen. Chloe Coules mit den Auszeichnungen ihres Ururgroßvaters und seinem 'Death or Glory' Abzeichen. | © Giles Davies Die Ergebnisse des Digitalisierungsprojektes sind in die Europeana – die virtuelle Bibliothek Europas – eingebunden. Das Themenportal Europeana.eu vereint gleich drei große Projekte zum Thema. Dazu gehört auch das European Film Gateway 1914, in dessen Rahmen über 660 Stunden Filmmaterial aus 21 europäischen Archiven digitalisiert wurden.

Zudem werden hier die Erträge der Europeana-1914–1918-Aktionstage gesammelt, die bereits in zwölf Ländern stattgefunden haben. An bestimmten Tagen werden Privatpersonen eingeladen, ihre persönlichen Erinnerungsstücke – etwa Briefe, Postkarten, Tagebücher – in Bibliotheken zu bringen, um sie direkt vor Ort digitalisieren zu lassen. 90.000 Abbildungen von privaten Erinnerungsstücken und persönlichen Dokumenten sind bereits online. Und in fünf weiteren Ländern sind noch solche Aktionstage geplant.

Auch der Inhalt, den die Bibliotheken zu Europeana.eu beisteuern, wird noch weiter wachsen. „Zurzeit sind erst zwei Drittel unserer Bestände sichtbar“, sagt Thorsten Siegmann. Auch technisch sei die Entwicklung des Portals noch nicht abgeschlossen. Bislang sind die Inhalte nach Dokumentenarten, Themen und Kriegsschauplätzen geordnet. „Wir arbeiten daran, deutlich mehr Kategorien anzubieten und die Suche damit noch komfortabler zu machen. Das Portal soll ja nicht nur für Forscher von Nutzen sein; wir wollen erreichen, dass jeder interessierte Laie hier leicht Einstiege in das Thema Alltagskultur im Ersten Weltkrieg findet.“