Literarische Gattungen
Autoren zwischen Drama und Prosa

Doppeltalent: der Autor Dirk Laucke;
Doppeltalent: der Autor Dirk Laucke; | Foto (Ausschnitt): © Thorsten Wulff

Nicht wenige deutsche Autoren haben eine Begabung für mehrere Gattungen. Diejenigen, die mit Lyrik, Epik und Dramatik jonglieren, werden von der Kritik gefeiert.

Als „feines, etwas dünnes Seelchen“ bezeichnete 1905 der Theaterkritiker Alfred Kerr in seinem Totalverriss den Autor des Dramas Fiorenza. Dieser war kein Geringerer als Thomas Mann, der deutsche Romandichter par excellence. Dabei hatte Thomas Mann in seinem 1901 erschienenen Roman Buddenbrooks überaus plastische, sich für die Bühne und den Film eignende Szenen und Figuren geschaffen. Fiorenza blieb sein einziges vollendetes Bühnenwerk. Ganz verwunden hat er die Schmach nie, denn traditionell gehörte es zu einem vollwertigen Dichter, in allen drei Gattungen – Lyrik, Epik, Dramatik – Werke hervorbringen zu können. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein waren Doppel-, wenn nicht Dreifachbegabungen keineswegs die Ausnahme. Der Bühnenrevolutionär Bertolt Brecht brillierte auch als Lyriker; Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, Hermann Hesse oder Arthur Schnitzler waren ebenfalls in mindestens zwei Gattungen erfolgreich.

Doppeltalente gibt es auch heute noch

Dies war auch in der deutschen Nachkriegsliteratur ab 1945 der Fall. Alle maßgeblichen Autoren etwa der Gruppe 47, die sich ab 1947 um den Schriftsteller Hans Werner Richter bildete, schrieben neben Lyrik und Prosa auch Theaterstücke, für viele wurde das damals seine Blütezeit erlebende Radiohörspiel zu einer wichtigen Publikationsform und Einnahmequelle. Zu diesen Autoren zählen Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt oder Thomas Bernhard. Auch heute gibt es bemerkenswerte Doppelbegabungen, etwa die 1983 im georgischen Tiflis geborene Nino Haratischwili. Bereits als Jugendliche gründete sie eine deutsch-georgische Theatergruppe, für die sie von 1998 bis 2003 regelmäßig Stücke schrieb und zur Aufführung brachte. Später studierte sie Filmregie in Tiflis und Theaterregie in Hamburg und inszenierte an zahlreichen deutschen Bühnen. Ihre Dramen wurden vielfach ausgezeichnet. Umso größer war die Überraschung, als Nino Haratischwili es 2010 mit ihrem Romandebüt Juja aus dem Stand auf die Longlist des Deutschen Buchpreises sowie auf die Shortlist des vom Fernsehsender ZDF vergebenen aspekte-Literaturpreises schaffte und 2011 den Debütpreis des Buddenbrookhauses Lübeck erhielt. 2014 erschien Nino Haratischwilis dritter Roman Das achte Leben (Für Brilka). Mit der voluminösen und von der Kritik hochgelobten Familiensaga hat sie sich endgültig als eine der wichtigsten epischen Stimmen in deutscher Sprache etabliert.

Durchaus Nähe zum szenischen Schreiben zeigt Dirk Laucke, 1982 im sächsischen Schkeuditz geboren, in seinem Romandebüt Mit sozialistischem Grusz. Die Geschichte eines ostdeutschen Vaters, der sich ausgerechnet bei Margot Honecker, der Ehefrau des ehemaligen DDR-Staatschefs Erich Honecker, Erziehungsratschläge holen möchte, basiert auf einem witzigen Grundeinfall, der satirisch durchdekliniert wird. Epische Breite ist in Lauckes Roman eher nicht zu finden: Der „Underdog-Spezialist des deutschen Theaters“ – so bezeichnete ihn einmal das Magazin Der Spiegel – schreibt sehr erfolgreich Jugendstücke sowie aktuelle Zeitstücke und zeigt zudem in seiner Prosa einen provokativ-kabarettistischen Ansatz.

Eine der erfolgreichsten deutschen Dramatikerinnen der Gegenwart ist die 1964 geborene Dea Loher. Nach ihrem vielfach gelobten Erzählungsband Hundskopf (2005) legte sie 2012 mit Bugatti taucht auf ihren ersten Roman vor, der für den Deutschen Buchpreis 2012 nominiert wurde. Die Schülerin des Dramatikers und Regisseurs Heiner Müller und des Schriftstellers und Schauspielers Yaak Karsunke hat für ihr Schaffen zahlreiche Preise erhalten, darunter 2009 den mit 30.000 Euro dotierten Berliner Literaturpreis. Dea Lohers Roman rekonstruiert den Tod eines jungen Mannes im Schweizer Locarno und verknüpft auf Grundlage realer Geschehnisse den Kreis der Täter und der Opfer. Die Kritik lobte vor allem die sehr eindringlichen Bilder, wozu nicht zuletzt auch der auf den Grund des Lago Maggiore gesunkene Bugatti zählt.

Im Spannungsfeld der Gattungen

Neben Dea Loher und Nino Haratschwili zählt John von Düffel zu den wichtigen jüngeren deutschen Erzählern, die auch Dramen verfassen. Das gesamte Schaffen des 1966 geborenen Autors steht im Spannungsfeld von Prosa und Dramatik. So arbeitete er nach seiner Dissertation über Erkenntnistheorie als Filmjournalist und Theaterkritiker, war Dramaturg in Oldenburg, Basel und Bonn, ehe er von 2000 bis 2009 ans Thalia-Theater in Hamburg ging. Dort schuf er die Bühnenfassung der Buddenbrooks, die erfolgreich an zahlreichen deutschen Theatern gespielt wird. Auch Thomas Manns Tetralogie Joseph und seine Brüder hat er für die Bühne bearbeitet. In seinen Romanen Vom Wasser, Ego oder Houweland zeigt John von Düffel, dass er zu jenen Autoren zählt, denen der Stoff die Form diktiert: Während er in seinen Theaterwerken sehr bühnenwirksam formuliert, überwiegt bei seinem Roman ein eher essayistischer, reflektierender Stil, der weniger aus der Szene als vielmehr aus der Sprache lebt. Bei John von Düffel ist längst nicht mehr auszumachen, ob er ein Dramatiker ist, der auch Romane schreibt, oder ein Romancier mit einer Bühnen-Vorgeschichte.