Sharing
Wir sind nicht für Dinge da - Sharing in der Ukraine

Die Gründer des Startups "GiveMeALift" für die Suche nach Mitfahrgelegenheiten
Die Gründer des Startups "GiveMeALift" für die Suche nach Mitfahrgelegenheiten | Foto: facebook.com/GiveMeALift.Net

Funktioniert das gemeinschaftliche Nutzen in der Ukraine und wollen wir mit anderen teilen?

Sharing Economy als Gegenstück zur Konsumkultur

Dinge kann man leicht ausleihen oder sie jemandem abkaufen, der sie nicht mehr braucht. Das gleiche gilt für Dienstleistungen: anstatt sich an traditionelle Anbieter zu wenden, macht es Sinn, zu kooperieren und Bekannte, vielleicht auch Unbekannte, um Hilfe zu bitten. Das ist günstiger und kostet in vielen Fällen nur ein „Danke“.

Die Sharing Economy ist ein Gegenstück zur Konsumkultur und ihr Kontrahent. Weniger ausgeben, bewusster nutzen, Sachen und Dienstleistungen mit anderen teilen – das sind Slogans dieses neuen Wirtschaftsmodells.

Kein Wunder, dass mit steigender Beliebtheit dieser praktischen Idee Online-Dienste auf den Plan treten, die den Tausch von Gütern und Dienstleistungen schnell und sicher ermöglichen und zugleich das Vertrauen in die Gesellschaft erneuern.

Freundschaft unter Nachbarn - Wohlbefinden für Gemeinschaft

Mit ihrer Nutzerfreundlichkeit haben diese Services die Idee des Tauschens populärer gemacht. Es ist wieder normal geworden, nicht nur im Geschäft, sonder auch beim Nachbarn nachzufragen.

„Freundschaftliche Beziehungen unter Nachbarn waren und sind eine Garantie für Sicherheit und Wohlbefinden sowohl für das einzelne Mitglied der Gemeinschaft als auch für die Gemeinschaft als Ganzes“, sagen Gründer des Start-Ups Dywowyschni (ukr. für Ausgeflippte). Dieses ukrainische Projekt zum Tauschen oder Teilen zwischen Nachbarn hat sich ein Team des zivilgesellschaftlichen Vereins  ausgedacht.

Schon davor organisierten sie Programme für die Bewohner von Wohnblocks. Während der Veranstaltungen bemerkten sie, wie eingeschränkt die Kommunikation zwischen den Nachbarn war, sogar wenn es um alltägliche Dinge ging.

Um die nachbarschaftlichen Beziehungen zu verbessern, hat das Projektteam einen speziellen Aushang und Stickers entworfen, die die Bewohner solcher Wohnblocks ausdrucken und in ihren Stiegenhäusern aufhängen können. Der Aushang kündigt den Projektstart im Haus an und die auf den Briefkästen klebenden Sticker zeigen den Nachbarn, welche Dinge konkret mit anderen geteilt werden wollen – eine Leiter, einen WLAN-Zugang oder ein Manometer. Die Nachbarn sollen sehen, dass man in ihrem Haus teilen und einander helfen will. Darum geht es, ganz gleich, welchen Aufkleber man auf dem Briefkasten hat.

Dywowyschni sagen, dass sie etwas schon Vergessenes, aber für jeden Wichtiges in Erinnerung rufen wollen – den guten Nachbarn. Immerhin ist eine gute Nachbarschaft eine wirksame Möglichkeit, gemeinsame Probleme effektiv zu lösen. „Alleine die Bereitschaft, Beziehungen untereinander auszubauen und Dinge zu teilen, begeistert viele“.

Eine Projektteilnehmerin sagte beispielsweise, dass sie mit einigen Nachbarn über 10 Jahre kaum Kontakt hatte, aber eigenartigerweise ausgerechnet mit ihnen begann, Dinge zu tauschen. Der Zugang zum WLAN-Netzwerk gegen ein Wirtschaftsbuch.

Die Idee hat also nicht nur im Alltag geholfen, sondern die Nachbarschaft verbessert – das eigentliche Ziel dieses Projekts.

Nachhaltige Benutzung durch Tauschen

Die Idee der nachhaltigen Benutzung und des effektiven Tausches von Dingen steht hinter der Neugründung Der Hamsterer Pljuschkin.

Der Name dieses Services spricht für sich: seine Benutzer können unnötige Dinge loswerden, indem sie sie mit anderen tauschen, die auch zu viel Zeug haben. Wenn durch diesen Tausch zu Hause auch nicht unbedingt mehr Platz entsteht, hat man am Ende zumindest brauchbarere Sachen.

Zwei Tauschoptionen stehen auf der Webseite zur Verfügung: eine Sache anbieten und entweder angeben, gegen was man sie tauschen möchte, oder auf einen Vorschlag eines anderen Nutzers warten. Über die Details des Tauschgeschäfts sprechen sich die Besitzer dann selbst ab, nachdem sie die Kontaktdaten des anderen erhalten haben.

Ein anderes ukrainisches Sharing Economy Start-up Dressboom hat sich daran gemacht, das ewige Problem „Ich hab nichts zum Anziehen“ zu lösen. Auf dieser Dresscrossing-Seite kann man überflüssige, nicht mehr benötigte oder einfach langweilig gewordene Kleidungstücke posten, um ihnen ein neues Leben bei einer neuen Besitzerin zu schenken.

Während man bei Dressboom anderen Mädels mit ordentlichen und modernen Sachen Freude machen muss, um Dresspunkte zu sammeln, betont Der Hamsterer Pljuschkin seine ökologische Mission: ein Gebrauchsgegenstand liegt nicht unangetastet daheim herum und wandert nicht in den Mülleimer.

„Die Krise ändert die Einstellung zu vielen Dingen“

„Im Unterschied zum Westen sind wir in der Ukraine für Dinge da und nicht die Dinge für uns. Ein Investor hat uns auf einer Konferenz gesagt: „Euer Angebot ist eigentlich echt zynisch – je schlimmer der Zustand im Land, desto besser geht es euch“, sagt Anton Mojsejenko, Mitgründer von GiveMeALift.

Die Idee für diesen Service zur Suche nach Mitfahrgelegenheiten hatten die Gründer schon während der Majdan-Proteste, als es darum ging, Leute zum Kiewer Hauptplatz zu bringen. Im Dezember 2013 entwickelten sie im IT-Zelt am Majdan einen Prototyp und Anfang 2014 war der Service schließlich vollständig verfügbar.

GiveMeALift ist einfach zu nutzen: als Fahrer oder Mitfahrer stellt man seine Route online, wartet auf eine Übereinstimmung und setzt sich mit der Person, mit der man dann unterwegs sein wird, in Kontakt.

Über die Fahrtkosten einigt man sich selbst. Oft nehmen Fahrer kostenlos Mitfahrer mit, und selbst wenn eine Bezahlung gewünscht wird, ist der Betrag deutlich geringer als Sprit- oder Taxikosten.

Und mit dem Service Nachbarn bleiben Immobilienmakler erspart. Ihre Funktion erfüllen die sozialen Netzwerke. Auf der Seite des Start-Ups kann man eine ansprechende personalisierte Infografik zum Suchen oder Anbieten von Unterkünften erstellen und sie dann posten. Shares und Likes helfen dabei, die Anzeige zu verbreiten und mögliche Interessenten anzusprechen.

„Alleine im letzten Jahr waren in der Ukraine eine Million Menschen gezwungen, umzuziehen. Für sie ist es in erster Linie wichtig, die Wohnungsfrage zu klären. Und wenn man die schwierige ökonomische Situation bedenkt, ist das gemeinsame Mieten ein guter Ausweg“, sagt Dmytro Mostowljuk, Manager des Projekts.

Anton Mojsejenko glaubt, dass das Benutzen und nicht das Besitzen ansteigen werde. „Die Krise ändert die Einstellung zu vielen Dingen. Die Leute werden Autos, Wohnungen, Häuser, Büros, Haushalts- und Bürotechnik, Bücher und vieles andere gemeinsam verwenden. Das ist nur eine Frage der Zeit, wenn sie mich fragen. Die heutige Jugend lebt bereits so“.

Im ersten Jahr hat sein Service GiveMeALift einen kleinen, aber beständigen Nutzerkreis aufgebaut. Heute gibt es 1944 registrierte User, die schon 4235 Fahrten mit einer Gesamtlänge von 35.000 km zurückgelegt haben.

Mehr als 20.000 Infografiken haben die Nutzer von Nachbarn seit Beginn des Projekts vor einem Jahr erstellt. Es waren überwiegend ukrainische Großstädte gefragt, aber sogar für eine Wohnungssuche in Singapur wurde der Infografik-Service schon genutzt.

Projektmanager Dmytro Mostowljuk sagt: „In der Ukraine hat die Idee der Sharing Economy eine wirkliche Perspektive“.

Im Rahmen des Projektes „Zeitgeist“ mit dem Magazin „Platfor.ma“.