Do-it-yourself-Kultur
Hackathons und Makerspaces

Kultur-Hackathon Coding da Vinci 2014 im Jüdischen Museum Berlin
Kultur-Hackathon Coding da Vinci 2014 im Jüdischen Museum Berlin | Foto (Ausschnitt): © Volker Agueras Gäng, via flickr.com, Lizenz: CC BY 2.0

Mit Hackathons oder Makerspaces etabliert sich eine neue Mitmachkultur in der Bibliotheksszene. Beispielhaft sind Projekte wie das von der Deutschen Digitalen Bibliothek mitgetragene „Coding da Vinci“ oder die digitalen Angebote der Stadtbibliothek Köln.

Es ist heute kein Problem mehr, sich die Erstausgabe von Friedrich Schillers Die Räuber oder die Handschrift von Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem auf das Smartphone zu laden. Die meisten Kulturschätze der großen Bibliotheken und Museen sind digitalisiert und jederzeit verfügbar. Das mag praktisch sein – ist aber möglicherweise erst der Beginn einer Entwicklung, die zu weit spektakuläreren Neuerungen führen könnte.

Natürlich sei es für Bibliotheken von Vorteil, ihre Bestände digitalzugänglich zu machen, sagt Stephan Bartholmei, Koordinator für Innovation an der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB). Allerdings sollte das Zugänglichmachen in seinen Augen nur der Anfang sein. „Digitalisate“, sagt er, „sind Treibstoff für Kultur- und Wissensproduktion“. Aus den Daten, die bei einer Institution wie der DDB gesammelt sind, lasse sich weit mehr machen als nur die Bereitstellung auf einem Online-Portal, so seine Überzeugung.

Digitale Archive

Aus diesem Geist heraus hat die DDB – zusammen mit Wikimedia Deutschland, der Open Knowledge Foundation (OKFN) und der Servicestelle Digitalisierung Berlin (digis) – im Jahr 2015 bereits zum zweiten Mal den sogenannten Kultur-Hackathon Coding da Vinci veranstaltet. Die Idee hinter dem Projekt: Kultureinrichtungen stellen Datensätze zur Verfügung, die von Teams aus Programmierern, Grafikern und Designern in neue Zusammenhänge gebracht werden. Mit Cyberkriminalität hat dieses Hacking nichts zu tun, wie Bartholmei besorgten Bibliotheks- und Museumsleitern anfangs noch erklären musste. Inzwischen ist der kreative Anspruch des Projekts weithin verstanden worden. „Man kann als Museum vor vielen Sachen Angst haben, aber nicht vor Coding da Vinci“, betonte 2015 stellvertretend für viele Sebastian Ruff von der Stiftung Stadtmuseum Berlin.

Die DDB hat schon 2014 bedenkenfrei ihre Programmierschnittstelle freigegeben, um den Datenbastlern Zugriff auf ihre Artefakte und Archive zu ermöglichen. Entstanden ist dabei die Anwendung Mnemosyne, benannt nach der griechischen Göttin der Erinnerung. Mit ihr lassen sich in digitalen Archiven Dinge aufspüren, nach denen man gar nicht explizit gesucht hat. Als würde man in einer Bibliothek drei Reihen über dem gesuchten Buch zufällig auf ein ebenfalls interessantes stoßen. Mit Kulturchronologie wurde zudem ein Programm konzipiert, mit der sich die Historie von Ausstellungsobjekten – etwa per Zeitstrahl – anschaulich aufbereiten lässt.

Lehren und Lernen im Makerspace

„Bei Coding da Vinci geht es darum, Begegnungsräume zu schaffen“, sagt Stephan Bartholmei. Den gleichen Anspruch – freilich mit anderer Gestalt – hat auch der Makerspace der Stadtbibliothek Köln. Der offene Kreativraum für Do-it-yourself-Projekte wurde 2013 nach US-amerikanischem Vorbild als Pionierprojekt ins Leben gerufen. In Köln gab es anfänglich für Bibliotheksnutzer beispielsweise die Möglichkeit, an der sogenannten Vinylbar alte Schallplatten zu digitalisieren. In einem nächsten Schritt schaffte die Bibliothek 3-D-Drucker an, um diese „revolutionäre Technik“ – so Bibliotheksdirektorin Hannelore Vogt – im öffentlichen Raum zugänglich machen zu können. Der Makerspace entspräche in zeitgemäßem Gewand den althergebrachten Kernaufgaben der Bibliothek: „Information und Wissenserwerb.“

Inzwischen hat sich die Makerspace-Idee über die Räumlichkeiten der Bibliothek hinaus in die Stadt verbreitet. Zum Beispiel ist in Kooperation mit der Kölner Kaiserin-Augusta-Schule das Projekt Junior Experts entstanden. Schülerinnen und Schüler geben dabei in Workshops im Rahmen des Makerspace-Programms ihr Wissen im Bereich der digitalen Medien weiter, zumeist an die älteren, technisch nicht so versierten Generationen. „Schüler werden zu Lehrern“, freut sich Vogt. Durch Angebote wie den Makerspace oder die Veranstaltungsreihe für Technik-Interessierte geek@cologne habe die Bibliothek „ein völlig neues Image gewonnen“, so die Direktorin.

Noten stricken

Um das Generieren neuer Perspektiven geht es auch bei Coding da Vinci. Mit Erfolg: 2014 beteiligten sich 16 Institutionen an dem Hackathon, 2015 waren es schon 33. Die Projektteams rekrutierten sich aus 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. „Das Schönste ist, wenn dabei Ideen entstehen, auf die man selbst nie gekommen wäre“, erläutert Stephan Bartholmei. Zum Beispiel nahmen sich zwei Design-Studenten aus Trier Lochkartenrollen des Deutschen Museums vor, mit denen früher elektrische Klaviere betrieben wurden. Da vormals auch Webstühle auf diese Art funktionierten, ersannen die Studenten eine Strickmaschine, die aus einer Notenrolle einen Schal fertigte.

Das Projekt Coding da Vinci befindet sich dabei nach wie vor im Entwicklungsstadium. Im Jahr 2016 wird es eine Auszeit nehmen und mit einer Reihe von Regionalausgaben „programmatisch weiterentwickelt werden“, beschreibt Bartholmei. Er räumt zwar ein, dass längst nicht alle entstehenden Ideen ausgereift oder zukunftstauglich seien. Aber einige Projekte gewinnen durchaus an Dynamik. Die Anwendung Mnemosyne etwa hat nach ihrer Präsentation bei Coding da Vinci einen Hackathon gewonnen, den das Portal Europeana veranstaltet hat.

Auf konkrete Ergebnisse zielt Coding da Vinci in erster Linie gar nicht, sagt Bartholmei, sondern vielmehr auf einen Lernprozess, der sowohl für die Institutionen als auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereichernd sei. Das gilt auch für den Makerspace. „Es findet ein Rollenwechsel statt“, beschreibt Hannelore Vogt. „Die Bibliothek wandelt sich vom Wissensarchiv zur Umsetzungsplattform. Der Benutzer wird vom Rezipienten zum Produzenten“. Wobei sich dieser Denkansatz „nicht auf das Digitale beschränken muss“.