Gute Bildungsideen
„Es gibt eine Verwandtschaft im Gelingen“

Ferienprogramm „Mini-München“
Ferienprogramm „Mini-München“ | Foto (Ausschnitt): © Kultur & Spielraum e.V.

Wie lässt sich Bildung verbessern? Der Pädagoge und Filmemacher Reinhard Kahl hat ein „Archiv der Zukunft“ aufgebaut. Darin stellt er wegweisende Beispiele vor.
 

Patentrezepte gibt es nicht, aber „Bilder des Gelingens“, sagt Reinhard Kahl. Der Pädagoge und Filmemacher ist ein Streiter für eine bessere Bildungswelt. In seinen Dokumentationen und einem „Archiv der Zukunft“ stellt er Orte vor, an denen Wissen, Ideen und Fähigkeiten gedeihen. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Reinhard Kahl Reinhard Kahl | Foto: © privat Herr Kahl, womit beschäftigen Sie sich gerade?
 
Wir haben das Ferienprogramm der Stadt München in der Spielstadt „Mini-München“ drei Wochen lang mit der Kamera begleitet. An der Freude und Hingabe, mit der die Kinder bei der Sache sind, konnten wir uns gar nicht sattsehen! Lernen entsteht in der Konzentration auf eine Sache, die fasziniert, und dann, wenn man diese Sache und damit auch sich selbst ausprobieren kann. Es kommt eine Freude auf, die ansteckend ist. Die Kinder, die in ihren Ferien bauten, backten oder kochten, die Filme oder Zeitung machten, sagten: „Das ist echtes Leben.“

„Freude und gute Leistungen passen zusammen“

Seit 2004 gibt es das „Archiv der Zukunft“. Welche Idee steckt dahinter?
 
Die Intensität und deshalb auch die Wirksamkeit des Lernens, wie wir sie in „Mini-München“ erlebt haben, ist seit jeher unser Thema. Ein weiterer Impuls war 2001 der „Pisa-Schock“ mit den vergleichsweise schlechten Ergebnissen deutscher Schüler bei der Studie der OECD. Ganztagsschulen kamen ins Gespräch und die Erkenntnis setzte sich durch, dass Freude und gute Leistungen vielleicht doch zusammenpassen. Ich drehte den Film Treibhäuser der Zukunft – Wie Schulen in Deutschland gelingen. Darin sieht man Kinder mit leuchtenden Augen, die in der Schule beste Leistungen bringen. Das gehört zusammen, wie auch das „Archiv der Zukunft“ zeigt.
 
Was findet man darin?
 
Wir sammeln Geschichten und Ideen zur Erneuerung und zeigen Schulen und andere Projekte, die moderne Wege gehen. Wir geben die Dokumentationen einer interessierten Fachöffentlichkeit als Werkzeug an die Hand. Auf unserem YouTube-Kanal finden Nutzer darüber hinaus Aufzeichnungen von Gesprächen mit Bildungsexperten.
 

Vor zehn Jahren ist das Archiv um ein Netzwerk erweitert worden. Wie kam es dazu?
 
Zum einen gab es eine große Resonanz auf den Film Treibhäuser der Zukunft – rund 60.000 DVDs wurden verkauft. Außerdem stellten wir fest, dass viele Schulen oder Bildungseinrichtungen spannende Projekte machten, ohne voneinander zu wissen. Diese teils sehr unterschiedlichen Akteure wollten wir miteinander verbinden. So entstand der Plan, das „Archiv der Zukunft“ zum gleichnamigen Netzwerk auszubauen. Unsere Bildungskongresse in Hamburg und am Bodensee waren auf Anhieb ausgebucht, ebenso wie unsere Veranstaltungen „Theater träumt Schule“ mit verschiedenen Schauspielhäusern in Deutschland. Das Interesse war groß, viele neue Ideen wurden begeistert aufgenommen und es entstanden Regionalgruppen. Diese Dynamik ist in der jüngsten Zeit etwas zurückgegangen. Es zeigt sich, wie unglaublich schwer es ist, ein System wie Schule zu ändern.

„Jede Geschichte ist unverwechselbar“

Wo liegen die größten Herausforderungen?
 
Wir beobachten bei vielen Pädagogen eine gewisse Erlösungsbedürftigkeit. Viele wollen Rezepte, die ihnen sagen, wie es geht. Doch das funktioniert nicht. Jede Geschichte ist einzigartig. Deshalb greift der Glaube an „die eine gute Schule“ zu kurz. Nehmen Sie zum Beispiel die fantastische Wohngemeinschaft einer Bremer Schule mit einem Weltklasseorchester, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Sie gestalten gemeinsam musikalische Projekte, zum Beispiel jedes Jahr eine Stadtteiloper. Das ist grandios – aber lässt sich nicht kopieren. Wenn eine gute Sache zum Rezept gemacht wird, vertut man die Chance, etwas Eigenes, ebenfalls Einmaliges, entstehen zu lassen. Doch es gibt natürlich eine Verwandtschaft im Gelingen.
 
Wie sehen Ihre Pläne für die kommenden Jahre aus?
 
Neben den Verantwortlichen in den Schulen selbst wollen wir die Gesellschaft, also die Umgebung der Schulen, ins Spiel bringen. Unternehmen beispielsweise haben ein vitales Interesse daran, intelligente und kreative Mitarbeiter zu gewinnen. Die Digitalisierung verstärkt diese Entwicklung. Mit Unternehmen wollen wir, ebenso wie mit Künstlern und Intellektuellen, ungewöhnliche Bündnisse schließen. Eine übergreifende Frage wird sein, ob Schulen junge Menschen bilden, die vor allem zu konsumieren gelernt haben, oder die zum Denken und Erneuern angeregt werden. Um etwas Neues zu wagen, muss man auch sich selbst wagen, man muss Fehler machen und mal scheitern dürfen.