40 Jahre „Emma“
„Wir sind keine Frauenzeitschrift!“

Alice Schwarzer (Mitte) mit Mitarbeiterinnen der „Emma“
Alice Schwarzer (Mitte) mit Mitarbeiterinnen der „Emma“ | Foto (Ausschnitt): © Flitner

Am 26. Januar 1977 erschien mit „Emma“ eine der ersten deutschen feministischen Zeitschriften. Seitdem macht das Magazin auf unbequeme Themen aufmerksam. 40 Jahre nach der Erstausgabe zeigt sich die Gründerin, Herausgeberin und Chefredakteurin Alice Schwarzer kämpferisch wie eh und je. Ein Interview.

Frau Schwarzer, „Emma“ ist und war Ihnen ein Herzensprojekt – so sehr, dass Sie die erste Ausgabe sogar selbst finanzierten!

Ich war damals nicht die einzige, die zu der Überzeugung kam, dass wir engagierten Journalistinnen eine eigene, unabhängige Stimme brauchen. Denn in den Medien, in denen wir bis dahin auch kritische Themen erfolgreich veröffentlicht hatten, stoppten uns die Redaktionen plötzlich bei den sogenannten „Frauenthemen“: Abtreibung, Gewalt, Sexualität etcetera. Mit Aufbruch der Frauenbewegungen im Westen Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre waren Frauenfragen politisch und brisant geworden, und die Männer zogen die Themen an sich. Ihr Frauen seid nicht objektiv, hieß es. Wir Journalistinnen stießen zunehmend auf verschlossene Türen mit unseren Themenangeboten. Eine eigene Stimme musste her! Den ersten Schritt machte Gloria Steinem in den USA mit Ms. – das war ganz klar eine Ermutigung für Emma. Kurz nach der Emma erschien das F-Magazine in Frankreich. Und es gab noch La Vie en Rose in Kanada. Von diesen professionellen Magazinen in Feministinnen-Hand ist Emma heute leider die letzte, die durchgehalten hat. Wir finanzieren uns aus dem Verkauf des Heftes und sind total unabhängig.

„EMMA hat das gesellschaftliche Bewusstsein verändert“

Seit 40 Jahren sind Sie Herausgeberin, Chefredakteurin und Autorin von „Emma“. Welche Themen waren Ihnen in dieser Zeit besonders wichtig?

Alice Schwarzer, Verlegerin und Chefredakteurin der „Emma“ Alice Schwarzer, Verlegerin und Chefredakteurin der „Emma“ | Foto (Ausschnitt): © Flitner Emma informiert ja nicht nur über die Verhältnisse und analysiert sie, sondern zettelt auch Kampagnen an: zum Beispiel gegen die Akzeptanz von Pornografie und Prostitution oder für den Frauenfußball und den Girls Day. Wir haben bereits 1978 zum ersten Mal über den sexuellen Missbrauch von Kindern berichtet und 1979 erstmals vor dem politisierten Islam gewarnt – nach meiner Reise kurz nach der Machtergreifung von Khomeini in den Iran. Diesem Thema sind wir gezwungenermaßen treu geblieben. Emma war über dreißig Jahre tatsächlich das einzige Blatt im deutschsprachigen Raum, das die vom islamischen Fundamentalismus drohende Gefahr erkannt und darüber berichtet hat: über Afghanistan, Tschetschenien (wo 1993 die Scharia eingeführt wurde) oder die „schwarzen Jahre“ in Algerien in den 1990er-Jahren, in denen hunderttausende Menschen Opfer des von Islamisten angezettelten Bürgerkrieges wurden – was der Westen total ignoriert hat. Und natürlich über die Agitation der Islamisten mitten in den europäischen Metropolen. Und wir porträtieren systematisch sehr unterschiedliche Vorbilder, starke Frauen, die Mut machen.

Nun wurde Ihre kompromisslose Haltung und Berichterstattung oft als einseitig kritisiert. Zugleich trug sie dazu bei, "Emma" als feministisches Leitmedium zu etablieren. Wo sehen Sie die größten Errungenschaften Ihres Magazins? 

Emma hat das Bewusstsein der Gesellschaft verändert und das Selbstbewusstsein der Frauen gestärkt. Emma hat Gesetze beeinflusst und Tabus gebrochen – und so auch die anderen Medien gezwungen, lange verschwiegene Themen aufzugreifen. Wie die Gewalt in Beziehungen oder den sexuellen Missbrauch von Kindern.

„Allerhand zu tun!“

Seit der ersten Veröffentlichung der „Emma“ am 26. Januar 1977 hat sich die Situation der Frauen in Deutschland in puncto Gleichberechtigung entschieden verbessert. Brauchen wir heute noch eine feministische Zeitschrift?

Die Frage ist berechtigt. Niemals hätte ich mir früher träumen lassen, dass Frauen im Jahr 2017 so die Welt offen steht und wir sogar eine sehr erfolgreiche Kanzlerin haben. Andererseits gibt es noch so manches alte Problem und neue dazu. Eines der alten Probleme ist die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen. 47 Prozent aller berufstätigen Frauen in Deutschland arbeiten Teilzeit. Das bedeutet: ökonomische Unselbstständigkeit und, bei Trennung, dramatische Altersarmut. Und dann ist da der Jugend- und Schönheitswahn… Also: allerhand zu tun!

Die US-amerikanische, feministische Aktivistin Ti-Grace Atkinson hat über den Feminismus der 1970er- und 1980er-Jahre gesagt: „Sisterhood is powerful. It kills mostly sisters.“ Trifft das auch auf die aktuelle Feminismusdebatte zu?

Da berühren Sie ein schmerzliches Thema. Die US-Feministin Robin Morgan hat mal in den Siebzigerjahren gesagt: Der erste Schritt des Feminismus ist nicht die Versöhnung mit den Männern, sondern die Versöhnung unter Frauen. Die Tragik von Frauen ist, dass sie zwar als Gruppe betroffen sind, sich aber nicht als Gruppe verstehen. Traditionell sind sie Feindinnen. In der Vergangenheit, in der das Wohl und Wehe jeder Frau von der Gunst eines Mannes abhing, war jede andere Frau für sie eine lebensbedrohliche Konkurrenz. Das steckt den Frauen noch immer in den Knochen. Ich persönlich kenne beide Seiten: die herzliche Solidarität und Zuwendung von Frauen, gerade auch von jungen Frauen – aber auch Aggressivität, Neid, Rivalität. Und leider lassen sich Frauen dafür immer wieder instrumentalisieren, vor allem in den Medien. Obwohl sie bei dem Spiel letztendlich selbst die Verliererinnen sind.

„Das letzte politische Magazin in Feministinnenhand in Europa“

Mittlerweile konkurriert das Magazin mit zahlreichen jüngeren Formaten wie dem Missy Magazine oder Kleinerdrei.org. Wie positioniert sich „Emma“ innerhalb der nationalen und internationalen feministischen Medienlandschaft?

Emma ist in der Tat weiterhin das feministische Leitmedium, weit über Deutschland hinaus. Die genannten Blätter sind zum Teil interessant, aber eben Spartenblätter: für Popkultur oder Netzfeminismus etcetera. Soweit ich das überblicken kann, ist Emma das letzte politische Magazin in Feministinnenhand in Europa. Wir sind keine Frauenzeitschrift! Wir machen die Emma für alle – weit über den Feminismus im engeren Sinne hinaus. 
 

Die deutsche Journalistin und Publizistin Alice Schwarzer (Jahrgang 1942) ist die bekannteste deutsche Feministin. Seit Januar 1977 erscheint die von ihr gegründete Zeitschrift Emma, deren Verlegerin und Chefredakteurin sie bis heute ist. Alice Schwarzer hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und wurde mehrfach für ihr politisches Engagement ausgezeichnet.