Ukrainische Comicszene
Comiczeichner Ihor Barnko im Interview

Comiczeichner Ihor Baranko
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In der Ukraine steckt das Comics-Genre noch in den Kinderschuhen. Im Rest der Welt sind aber grafische Romane schon zu einer richtigen Industrie herangewachsen. Einer ihrer bedeutenden Vertreter ist Ihor Baranko, der schon seit mehreren Jahren in diesem Bereich mit führenden Weltverlagen zusammenarbeitet: angefangen vom amerikanischen „DC Comics“ bis zum französischen „Les Humanoïdes Associés“. Er zeichnete die „Simpsons“, das zerbrechliche Weltall, Lamaisten, Dakota-Indianer, Ägypterinnen zu Zeiten von Ramses III., aber auch eine phantasmagorische Ukraine.

Dem Online-Magazin PLATFORMA erzählte Ihor Baranko, wie er mit dem Zeichnen begann, warum ukrainische Künstler eher im Ausland geschätzt werden und wie er an seinen Werken arbeitet.

Aus «L'Humanité» habe ich erfahren, dass es Comics gab

Wie kam es dazu, dass du Comiczeichner geworden bist?
 
In der Sowjetunion gab es keine Comics, aber als ich sieben war, kam ich irgendwie an die Zeitung der Französischen Kommunistischen Partei «L'Humanité». Sie lag irgendwo unter einer dicken Schicht Staub, zusammen mit anderen Zeitungen wie „Rabotniza“ („Die Arbeiterin“). Auf der letzten Seite der französischen Zeitung gab es immer einen Comic. So habe ich erfahren, dass es Comics gab.
 
Wenn Zeichner bzw. Maler ihr Handwerk lernen, kommt kaum einer daran vorbei, etwas bei einem anderen abzugucken. Ich habe auch meine Götter, die ich schon als Kind nachgeahmt habe, indem ich versuchte so zu zeichnen, wie sie das taten. So war und bleibt unter solchen Europa- und Weltmeistern Hugo Pratt. Anfangs habe ich nicht gewusst, wer das ist, aber ich sah, wie er seine atmosphärischen Abenteuergeschichten kreierte. Und das hat mich voll erwischt. 
 
Ich habe verstanden, dass es möglich ist, Geschichten in Bildern zu erzählen. Und ich wollte nichts anderes als eben das in meinem Leben tun. Als ich meiner Oma erzählte, dass ich Comics zeichnen werde, nannte sie mich einen Verrückten und Comics – völligen Blödsinn. Aber ich war ein sehr stures Kind. Ich habe immer Comics in meinen Heften gezeichnet – sowohl zu Hause als auch im Unterricht. Bis jetzt leide ich unter dieser Krankheit.
 
Als ich erwachsen wurde, habe ich verstanden, dass ich mit Comics in der Sowjetunion nichts verdienen werde. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte niemand Geld, was bedeutete, dass keiner was brauchte. Dann bin ich in Richtung Amerika aufgebrochen. Um mich eben mit Comics zu beschäftigen. Ich wollte danach nach Frankreich umsiedeln, hatte sogar alle Papiere fertig, aber die Firma, für die ich arbeiten wollte, ging total unerwartet pleite. So bin ich geblieben – schließlich hatte ich es auch satt ständig ins nirgendwohin aufzubrechen. 

Am besten gelingt mir der europäische Stil

Du bist ja in gewisser Weise der ukrainische Comicpionier. Spürst du deinen Einfluss auf die ukrainischen Comics?
 
Da es ukrainische Comics so gut wie gar nicht gibt, gibt es auch nichts, worauf ich Einfluss nehmen könnte. Mich kennen Menschen, die sich dafür interessieren. Mindestens hat einer von ihnen gehört, dass es so einen komischen Baranko gibt. Ich bin mir sicher, dass auch einige Comics-Fans aus Russland und Polen mich auch kennen. Aber das sind alles sehr kleine Märkte.
 
Warum hast du dich für bande dessinée (BD), den europäischen Comics-Stil ent­schie­­­­den?
 
Hier ist alles sehr einfach – ich mag diesen Stil. Aber genauso stark interessierte ich mich als Kind für Superhelden – zeichnete Superman oder Captain America. Auf irgendwelchen Wegen konnte ich mich immer über Bekannte mit amerikanischen Comics versorgen, ich konnte sie zumindest mal sehen. Das waren Comics, die im damaligen Jugoslawien in zig Auflagen herausgegeben wurden. An original amerikanische konnten wir zu der Zeit nicht herankommen. Damals waren Spiderman und Batman eine unglaubliche Rarität, ich habe sie richtig geliebt und versuchte, sie zu zeichnen. Eine Zeit lang interessierte ich mich für Japan und für die Manga-Kunst. Später stilisierte ich auch einige meiner Bilder wie Mangas. Aber am besten gelingt mir der europäische Stil. Er ist auch am nächsten zur Literatur. Der amerikanische Stil ist halt naiv und ist meistens Action.

Die Menschen kennen bei uns keine Comics

In der Ukraine kennt man dich in erster Linie als den Autor von „Maxym Ossa“. Interessant ist aber, dass die Bestellung für die Geschichte, deren Handlung in der Ukraine im ХVII. Jahrhundert spielt, aus Belgien kam. Wieso kamen eigentlich ukrainische  Herausgeber nicht auf so eine Idee? Ist für uns unsere eigene Kultur in neuen Interpretationen uninteressant?
 
Zum einen stimmt es, wir interessieren uns nicht so sehr dafür. Niemand hat je dafür Geld ausgegeben. Zum anderen kommt es hier wirklich auf das Genre an. Die Menschen bei uns kennen den Film, Literatur, aber sie kennen keine Comics.
 
In Frankreich oder in Belgien gelten Comics als eine richtige Kunstgattung. In jeder Buchhandlung gibt es Regale voll nur mit Comics. Ein erwachsener intelligenter Mensch braucht sich nicht dafür zu schämen, dass er bande dessinée (BD), also europäische Art von Comics, liest, weil sie eben klug und interessant sind.
 
Uns fehlt dieses Genre als solches, was auch bedeutet, dass niemand bereit ist, Geld dafür auszugeben. Bloß um das zu machen, was du willst, musst du daran verdienen können, schließlich muss man sich ja parallel von etwas ernähren können.
 
Während du an die Türen ukrainischer Verlage geklopft hast, hat die Comic-Welt für dich ihre geöffnet. Als du aus den USA in die Ukraine zurückgekehrt bist - in manchen Kreisen schon ziemlich bekannt - kamen da neue Angebote?
 
Es war so, wie am Anfang – keiner hat bei mir angeklopft. Außer Max Prassolow, Autor von Daogopak, der schon vor 15 Jahren die Comic-Idee mit sich herumgetragen hat. Er ist der einzige Verleger, der sich mit Comics ernsthaft beschäftigt und die Künstler für ihre Arbeit bezahlt.
 
„Maxym Ossa“ wurde von einem sehr engagierten jungen Mann aus Odessa herausgegeben. Er hatte einfach die Möglichkeit zu drucken und hat allen ukrainischen Comiczeichnern angeboten: „Lasst mich eure Werke drucken!“ Die Künstler haben ihm, ohne viel nachzudenken, geantwortet: „Warum nicht?“ Er erzielt dabei aber kaum Gewinne -  er druckt und verkauft, aber auf diese Weise kann er gerade mal das wieder einspielen, was er ausgegeben hat. 

Mantel und Degen im ukrainischen Stil

Wie entstand eigentlich „Maxym Ossa“?
 
In Frankreich gibt es ein Genre nach der Art von „Drei Musketieren“, also mit Mantel und Degen und so. Man wollte etwas Ähnliches für die Ukraine schaffen, bloß im ukrainischen Stil.
 
Sehr stark beeinflusst hat den „Ossa“ Akunin, seine Serie über Fandorin. Ich habe sie gelesen und mochte die Bücher sehr! So habe ich mich entschieden, etwas Ähnliches auszudenken. Davor hatte ich noch nie Kriminalgeschichten geschrieben, das war mein erster Versuch. Idealerweise, um dem Genre gerecht zu werden, hätte man so handelt müssen: einen geheimnisvollen Mord ausdenken, entsprechende Verdächtige, Überlegungen, Zweifel und zum Schluss – „aha, das ist also das Miststück!“.
 
In der Mitte der Geschichte habe ich aber schon gewusst, wer das Miststück sein wird.
 
Sicher? Aus meinem Bekanntenkreis haben das nur einige erraten, als ich zur Hälfte fertig war. Der Knackpunkt war, dass ich, da ich ja davor noch nie Kriminalgeschichten geschrieben haben, nicht darüber nachgedacht habe, wie man so eine Geschichte richtig schreibt. Alle normalen Autoren denken sich erstmals den Mörder aus, den Verlauf der Geschichte und erst dann suchen sie nach Wegen, die Geschichte zu spinnen. So habe ich das aber nicht gemacht. Ich habe mir ein Geheimnis ausgedacht, habe es auch schon zu einem Drittel gezeichnet und wurde dann mit der Frage konfrontiert - „Wer ist eigentlich der Mörder?“. Darauf konnte ich nur antworten: „Ich weiß es nicht“. Damit habe ich auch nicht gelogen.
 
Würdest Du behaupten, dass die Figur des Kosaken Ossa deine Vorstellung über die Kultur des Kosakentums widerspiegelt?
 
Kosaken waren sehr verschieden – mit unterschiedlichen Charakteren und Status: es gab sowohl reiche als auch arme unter ihnen. Ossa entspricht eher einer Gestalt aus den amerikanischen Hardboiled Crime Storys aus den 30-er Jahren, wo es Hüte, Mäntel und Pistolen gab. Er ist wie ein Cowboy – draufgängerisch, entspannt, etwas eingebildet, dabei aber auch positiv und herzlich.  Er ist ein Held und Schlaufuchs. Einerseits ist er faul, andererseits aber richtig cool und entschlossen. Dann wiederum ist er ein Trinker. Alles, was dazugehört halt.

Keine patriotischen Comics, sondern Abenteuergeschichten

Die ersten Versuche der ukrainischen Künstler waren patriotische Motive mit einem eindeutigen Hang zum nationalen Kolorit. Wie meinst du, geht die Entwicklung in die richtige Richtung für Comics im Land, wo Menschen nur eine ungefähre Ahnung von diesem Genre haben?
 
Es gibt solchen und solchen Patriotismus. Zum Beispiel ist „Maxym Ossa“ kein patriotischer Comic, obwohl viele das auch anders denken. Er ist eine Abenteuergeschichte zu ukrainischen Themen. Ich kann patriotische Literatur eigentlich nicht leiden – egal, ob Bücher, Comics oder sogar Filme. Ich bevorzuge einfach gut gemachte Sachen.
 
Welche Figuren, welche Helden braucht eigentlich die heutige Ukraine?
 
Alle! Wir brauchen komische und tragische Figuren, Helden, aber auch Parodien, in allen Genres. Wenn wir ein leichtes Genre nehmen, zum Beispiel Kriminalgeschichte, so wurden in Frankreich, England oder in Amerika tonnenweise Bücher dazu geschrieben. Der historische Roman ist bei uns ganz auf dem Niveau des Trachtenkitsches. Da sind nur Aufrufe, Appelle, der Wunsch, alle von irgendetwas zu überzeugen. Ein historischer Roman braucht aber eine unabhängige Herangehensweise, wie „Der Name der Rose“ von Umberto Eco beispielsweise.
 

Ihor Baranko wurde 1970 in Kiew geboren. Seit Jahren reist er aber durch die ganze Welt: von Tuwa und Burjatien bis nach Korea und Mexiko. Comics zu zeichnen war Ihors Kindheitstraum, der in Erfüllung ging. In der Ukraine ist er hauptsächlich als Autor und Zeichner der grafischen Novelle über den Kosaken Maksym Ossa bekannt. Auf der Grundlage dieser mystischen Kriminalgeschichte wurde sogar ein Film gedreht.

Das volle Interview auf Russisch finden Sie hier: PLATFORMA

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