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Transparenz und Wettbewerbsfähigkeit
Kann ein undurchsichtiger Staat demokratisch sein?

Undurchsichtigkeit auf staatlicher Ebene ist nicht nur konkret, sondern äußert sich auch in komplexen Normen, verkünstelter Sprache oder verschachtelten Organisationsstrukturen. Doch kann ein gewisses Maß an Undurchsichtigkeit nicht auch notwendig sein für den Schutz und den Wettbewerbsvorteil des Staates gegenüber anderen Organisationen?

Von Wesley Matheus

Für demokratische Staaten wird das Prinzip der Transparenz als unerlässlich erachtet, insofern als sie  sich zumeist als eine der notwendigen Bedingungen für das Verständnis und die Kontrolle der Handlungen derer erweist, die sich an den Schalthebeln der  staatlichen Maschinerie befinden. Ein Staat implementiert Transparenz unter anderem durch Planung und Ausführung einer Reihe von iterierten und agilen Praktiken der Offenheit und Veröffentlichung von für sein Handeln relevanten Daten und Methoden sowie im Hinblick auf die Verwendung von Mitteln vonseiten der Handelnden und der Institutionen des Staates.

Praktiken der Transparenz, verbunden mit internen und externen Mechanismen der Kontrolle, des Monitorings und der Evaluation, können unter Umständen die Effizienz, Effektivität und Wirksamkeit politischer Maßnahmen stärken, indem sie öffentlich Handelnde für ihre Handlungen in die Pflicht nehmen: 1. was den rechtlichen Rahmen angeht, in dem sie sich bewegen und 2. im Hinblick auf die sozialen, politischen, ökologischen und ökonomischen Folgen eben dieses Handelns. Transparenz kann darüber hinaus als notwendige Bedingung für die Kritik, Bewertung und Beurteilung von staatlich geplanten und/oder durchgeführten Maßnahmen durch die Zivilgesellschaft erachtet werden — ein Ablauf von zentraler Bedeutung, um das öffentliche Interesse an diesen Maßnahmen zu steigern und die Bekundung dieses Interesses zu gewährleisten.

Im Hinblick auf diese wichtige Funktion der Transparenz für die Gestaltung und Konsolidierung von Demokratien, stellen sich einige Fragen, was intransparente Staaten anbelangt, die sich trotzdem als demokratisch bezeichnen. Vertragen sich intransparente oder wenig transparente Staaten mit Idealen der Demokratie? Falls nicht oder kaum, welche Formen der Intransparenz verhindern Demokratie in einem solchen Zusammenhang?

Materielle und symbolische Barrieren

Als Barrieren werden hier Dinge und Prozesse benannt, die einer Sichtbarkeit staatlicher Inhalte entgegenstehen, indem sie sie undurchdringlich oder intransparent gestalten und vor dem Blick derer, die sich für ihre Überwachung interessieren, verschleiern oder verkomplizieren. Oft sind diese Barrieren durchaus konkret, in Gestalt von Mauern, (Dreh)-Türen, Drehkreuzen, Türstehern, Sicherheitsleuten, Treppen, Anschlagtafeln, verspiegeltem Glas, Schlangen und Wartenummern, endlosen Gängen, unübersichtlichen Webdomains, Tokens, Kameras, etc. Auch städtebauliche Maßnahmen gehören in diesen Zusammenhang, die wahrhaftige Bürokratie-Inseln entstehen lassen — Bürokratiestädte weit jenseits von dem, was eine Zivilgesellschaft möglicherweise noch überblicken kann. Das Design und die Architektur undurchsichtiger Staaten bestehen aus einer breiten Palette ästhetischer Möglichkeiten.

Allerdings sind, was den Staat anbelangt, Undurchsichtigkeit und Transparenz nicht unbedingt immer konkreter und greifbarer Natur. Undurchsichtigkeit kann sich auch als eine Reihe von umfangreichen und komplexen Normen und Prozessen erweisen, die das Erfassen der Dynamik von staatlichem Handeln durch jene erschwert, die sich außerhalb und manchmal auch innerhalb dessen befinden. Hinzu kommt, dass Undurchsichtigkeit sich in komplizierter und dichter Sprache äußert, die das Verständnis der Phänomene, auf die sich die Worte beziehen, zumindest erschwert, in einer Anhäufung von aneinandergereihten Abkürzungen, die zusammengenommen wahrhaftige Rätsel der Gegenwartssprache ergeben.

Das schlichte Ausmaß eines Staats, gepaart mit komplexen Organisationsstrukturen, kann auch als Spielart der Undurchsichtigkeit gesehen werden, welche das Verständnis davon, wer sich innerhalb dessen befinden und was sich darin wirklich abspielt, erschwert. Zugangsbeschränkungen, finanzielle Hürden, Verzögerungen, und ja, auch die Angst, die den neugierigen Blick trübt und Interessierte am Durchdringen des „unbekannten“ Staats  lähmt. Diese Barrieren erschweren oder unterdrücken die Möglichkeit Außenstehender, den Zusammenhang von Beamten, Diensten und Organen zu verstehen und zu begleiten.

Rechtfertigungen und Risiken

Doch wie können Staaten in einer Zeit, die von demokratischen Werten geprägt ist und insofern auch einem Verlangen nach Transparenz, diese Barrieren rechtfertigen und dem Druck nach ihrer Beseitigung widerstehen? Staatlich Handelnde bringen in der Regel drei Begründungen für die Aufrechterhaltung solcher Hindernisse: Sicherheit und Schutz von Angelegenheiten, die als strategisch für die Nation gegenüber äußeren Bedrohungen eingestuft werden, Angelegenheiten der Nationalen Sicherheit also; die Aufrechterhaltung der Kontrolle und der Ordnung durch die Nichtveröffentlichung von Informationen, welche die öffentliche Ruhe beeinträchtigen oder  Angst innerhalb der Gesellschaft steigern könnten; Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen möglichen Handelnden auf den auch vom Staat beanspruchten Märkten.

Diese Rechtfertigungen bergen jedoch einige Risiken: Misstrauen  von (national und international) Außenstehenden aufgrund mangelnden Verständnisses dessen, was im Staat tatsächlich geschieht; wirtschaftliche Ungleichheit infolge informationeller Asymmetrie von Bürokratie und Zivilgesellschaft, Bürokratinnen und Bürokraten mit Zugang zu strategischer Information, die zum eigenen Vorteil verwendet werden kann; Korruption aufgrund einer geringen Möglichkeit, öffentlich Handelnde zur Verantwortung zu ziehen; Ineffizienz infolge einer geringeren Möglichkeit zum Verständnis des staatlichen Handelns und eines sich daraus ergebenden geringeren Drucks und Anregungen für Verbesserungen; Tyrannei als Resultat dessen, dass die Zivilgesellschaft Versuche der Implementierung einer solchen nicht rechtzeitig sieht und entsprechende Vorkehrungen nicht treffen kann.

Dem gesellschaftlichen Leben innewohnende Undurchsichtigkeit

Obwohl für die Gesundheit und Stabilität von Demokratien unabdingbar, hat Transparenz auch eine kuriose Eigenschaft, die sie wiederum der Undurchsichtigkeit annähert: Ihre vollkommene Anwesenheit über den gesamten Verlauf aller Angelegenheit des Staates kann zu Unsichtbarkeit/Unterdrückung von Strukturen führen, die wenigstens gesehen und bemerkt werden sollen und tatsächlich mit einem gewissen Ausmaß an Schutz, gesellschaftlicher Harmonie und/oder Wettbewerbsvorteil des Staates gegenüber anderen Organisationen einhergehen könnten. Allerdings kann der übertriebene Ausdruck von Undurchsichtigkeit in allen Belangen vonseiten des Staats eine Bedrohung für Äußerungen und den Bestand der Demokratie sein, sie unter Umständen sogar verunmöglichen.

Vielleicht geht es in diesem Fall eher darum, zu begreifen, welche „Barrieren“ den Blick externer Akteure auf den Staat am meisten trüben und/oder ablenken, und so zumindest in gewisser Hinsicht zu verstehen, dass ein bestimmtes Maß an Undurchsichtigkeit in der Natur nicht nur des Staats, sondern des gesellschaftlichen Lebens an sich liegt. Eben die Transparenz, die das Erkennen von etwas ermöglicht, macht, wenn falsch definiert, unsichtbar, was doch sichtbar gemacht werden soll.

 

Tramas Democráticas verbindet Initiativen und Institutionen in Südamerika und Deutschland, die demokratische Praktiken und Werte stärken. Das Netzwerk an beteiligten Institutionen wird stetig weiter ausgebaut

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