Haus-Kino Havarie

Menschen in Schlauchboot auf hoher See © pong Film GmbH 2016

Di, 19.10.2021 –
Fr, 22.10.2021

19:00 Uhr

Online

Die Goethe-Institute in Argentinien und Uruguay, zusammen mit dem Goethe-Zentrum in Paraguay, launchen am 1. Juni eine eigene Film-Streamingplattform: Goethe on Demand. Im Zentrum dieser Drei-Länder-Kooperation steht ein festes Kinoprogramm namens HAUS-KINO. Am ersten und dritten Dienstag im Monat werden gratis aktuelle Filme und Klassiker aus Deutschland mit spanischen Untertiteln gezeigt.

Havarie

Regie: Philip Scheffner, 2016, 97 min. 

Dienstag, 19. bis Freitag 22. Oktober
Nach der Reservierung im genannten Zeitraum steht der Film 48 Stunden zur Verfügung.



Am 14. September 2012 um 14:56 Uhr meldete das Kreuzfahrtschiff Adventure of the Seas die Sichtung eines havarierten Schlauchbootes mit 13 Personen an Bord an die spanische Seenotrettung. Aus einem YouTube-Clip und biografischen Hör-Szenen entsteht eine Choreografie, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Reisenden auf dem Boot und auf dem Kreuzfahrtschiff auf dem Mittelmeer spiegeln.

Positionsbestimmung: 37º 28.6´N 0º3.8´E.

Ein Schlauchboot voller Menschen, einer winkt. Die Kamera schwenkt langsam nach rechts und zeigt Touristen, die von einem Kreuzfahrtschiff aufs Meer blicken. Schwenk wieder zurück. Im Bildfenster erscheint erneut das Boot. Die Kamera schwenkt weiter zur anderen Seite des Schiffes. Das gebrochene Sonnenlicht taucht es in Farben, ein vertikaler Lichtstrahl trennt das Schiff vom Boot, zu dem der Kameraausschnitt nun zurückkehrt. Grausam entschleunigt treibt es auf dem Meer. Was zu sehen ist, erscheint wie eine 'Einbildung' oder eine Fata Morgana oder eine geisterhafte Spiegelung.
Währenddessen ist ein vielstimmiger, multiperspektivischer Text, ein akustisches Geflecht zu hören. Es kommt aus dem Jenseits der Bilder. Es spannt und wölbt den uferlosen Raum. Funksprüche: Die Seenotrettung bittet das Kreuzfahrtschiff Position zu halten, bis ein Hubschrauber kommt. Telefonate zwischen algerischen Eheleuten - sie lebt in Frankreich, er muss noch übers Meer - , das Einschenken von Kaffee, die Stimme eines irischen Touristen namens Terry Diamond, der an einem Septembertag des Jahres 2012 als Tourist auf dem Kreuzfahrtschiff Adventure of the Seas an Bord war und mit seinem Smartphone die Bewegtbild-Aufnahme des Schlauchbootes machte und später auf You-Tube stellte, wo sie der Regisseur Philip Scheffner fand. (Die Länge der Aufnahme von Terry Diamond dauerte drei Minuten 36 Sekunden. Scheffner dehnte das Material auf 90 Minuten. So lange dauerte die 'Begegnung' der beiden Schiffe wohl auch in der unmittelbaren Wirklichkeit jenes Tages.) Weiterhin zu hören: Schiffsangestellte, russische und ukrainische Frachtarbeiter erzählen von Begegnungen mit diesem (oder einem anderen) Flüchtlingsboot. Und aus ihrer Welt.

Während der Arbeit an diesem Film, so Philip Scheffner in einem Interview haben Bilder die Realität überrollt. Als Antwort erzeugt HAVARIE durch die Verdichtung und Trennung vom Ton einen Wahrnehmungsraum, der die eigene Position erfahrbar macht, ohne das Thema aus dem Blick zu verlieren: ein radikaler Befreiungsschlag des Kinos.

Pressestimmen

"HAVARIE sucht nach einem Bild für die europäische Flüchtlingspolitik."(Der Freitag)
 
"Wir sehen pro Sekunde etwa einen Frame des Handyvideos. Hoch und runter tanzt ein grobpixeliges winziges Schiff auf dem endlos blauen Mittelmeer, verschwindet mal kurz aus dem Bild, ist mitunter unscharf oder geisterhaft doppelt zu sehen. Die ersten rund 50 Minuten des Films passiert nichts anderes, dann kommt der Schwenk auf die hochhaushohe Glanzfassade des Kreuzfahrtschiffs, auf dem auch wir stehen könnten: weit weg, in Sicherheit – und hilflos." (Fluter [Bundeszentrale für politische Bildung])
 
"In einer fast anderthalbstündigen Superzeitlupe verfremdet Scheffner den kaum dreieinhalbminütigen Film, deutet das vermeintlich Bekannte – halt ein weiteres Flüchtlingsboot – zu einem Projektions- und Erzählraum um." (Die Zeit)
 
Ralph Eue, 05.01.2017

Preise

  • 2016 Duisburger Filmwoche, ARTE-Dokumentarfilmpreis
  • 2017 Verband der deutschen Filmkritik, Bester Experimentalfilm

Regisseur: PHILIP SCHEFFNER

Regisseur Philip Scheffner © Philip Scheffner Philip Scheffner, geboren 1966 in Homburg/Saar, lebt und arbeitet als Klang- und Videokünstler und als Dokumentarfilmemacher. Seit 1986 lebt er in Berlin. Von 1991 bis 1999 war er Mitglied der Schriftstellergruppe und Produktionsfirma dogfilm. Gemeinsam mit Merle Kröger leitet er die Produktionsplattform pong. Seine Filme Havarie (2016), And-Ek Ghes... (2016), Revision (2012), Der Tag des Spatzen (2010), The Halfmoon Files (2007) liefen beim Forum der Berlinale.

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