Kulturförderung in Deutschland
„Klassische Hochkultur verliert ihre Relevanz“

Galerie der Stadtbibliothek Stuttgart
Galerie der Stadtbibliothek Stuttgart | Foto (Ausschnitt): © Stadtbibliothek Stuttgart (yi architects)/Martin Lorenz

Nirgendwo auf der Welt gibt es im Vergleich zur Einwohnerzahl so viele Theater, Museen und Konzerthäusern wie in Deutschland. Das liegt auch an einem einzigartigen Fördersystem. Die Daten belegen: Kulturförderung wird groß geschrieben in Deutschland. Im Gespräch erklärt Birgit Mandel, Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement der Universität Hildesheim, warum sich die Förderung dennoch ändern sollte.

Frau Mandel, im Januar 2017 eröffnete die Elbphilharmonie in Hamburg. Allein der Bau hat etwa 800 Millionen Euro gekostet, der Betrieb wird weitere Milliarden verschlingen. In Deutschland werden solche großen Kulturinstitutionen sehr stark staatlich gefördert. Ist das eigentlich sinnvoll?

Zumindest ist es Ausdruck der Art und Weise, wie wir in Deutschland Kultur fördern: Mit hohem finanziellen Einsatz und einer Vorliebe für klassische bürgerliche Hochkulturinstitutionen.
 

Bei den Fördersummen für einzelne Kulturbereiche im Jahr 2013 wird nicht nach Bund, Ländern oder Gemeinden unterschieden. Der mit Abstand größte Anteil öffentlicher Gelder (35 Prozent) floss in den Bereich „Theater und Musik“ – so viel, wie die zwei nächstgrößten Kategorien, „Bibliotheken“ und „Museen und Ausstellungen“ zusammen. Insgesamt erhielten diese drei mehr als zwei Drittel der öffentlichen Kulturfördermittel.
Das sieht man auch an der Verteilung der Fördergelder. Theater, Musik und Museen erhalten mehr als die Hälfte der Mittel.

Ja, das ist richtig. Und auch in absoluten Zahlen sind die Summen beeindruckend. Mit insgesamt rund 9,9 Milliarden Euro staatlicher Kulturförderleistungen sind wir absoluter Spitzenreiter weltweit – auch wenn dies nur 1,7 Prozent des Gesamtetats der öffentlichen Haushalte ausmacht. Abgesehen davon gibt es noch eine weitere Besonderheit des deutschen Fördersystems, das den hohen Stellenwert der Hochkultur in der Fördermittelvergabe erklärt.

Welche Besonderheit ist das?

Es ist die dezentrale Organisation. Jedes der 16 Bundesländer ist hauptverantwortlich für die Kulturförderung. Hinzu kommt das Subsidiaritätsprinzip, das besagt, dass immer zuerst die kleinste Verwaltungseinheit eine entsprechende Aufgabe übernimmt, bevor die jeweils übergeordnete Institution übernimmt. Im Falle der Kulturförderung sind die kleinsten Einheiten die Städte und Kommunen, sie tragen 45 Prozent der Kulturförderung. Die Länder übernehmen rund 40 und der Bund rund 15 Prozent. Und diese Konstellation wiederum führt zu einer sehr hohen Dichte an kulturellen Angeboten, die so wahrscheinlich auch weltweit einzigartig ist.

Könnten Sie das bitte erklären.

Wenn jedes Bundesland eigenverantwortlich für das Kulturangebot ist, entsteht der Anspruch, jeweils eigene repräsentative Kulturstätten anbieten zu können. Dabei stehen die Bundesländer auch in Konkurrenz zueinander. Insgesamt haben wir in Deutschland über 150 öffentliche Theater, oftmals Drei-Sparten-Häuser mit Repertoirebetrieb, 130 öffentliche Symphonie- und Kammerorchester, rund 6.000 Museen, davon ungefähr die Hälfte öffentlich gefördert, 40 Festspielhallen und zirka 7.000 Festivals. Ein Viertel aller professionellen Musikorchester und 14 Prozent aller permanenten Opernhäuser weltweit befinden sich in Deutschland; hinzu kommen zirka 8.000 Bibliotheken.
 
Länder und Gemeinden bestritten 2013 den Großteil der Kulturförderung. Bei den Bereichen „Theater und Musik“, „Museen und Ausstellungen“ sowie „Bibliotheken“ stellen die Gemeinden jeweils mindestens die Hälfte der Finanzmittel. Der Bund dagegen ist besonders aktiv bei Kultureinrichtungen in der Bundeshauptstadt Berlin sowie bei kulturellen Auslandsaktivitäten.
Lassen Sie uns etwas näher auf die Rolle des Bundes in diesem System eingehen. Auffällig ist, dass dieser nur wenig zur Förderung etwa von Theater und Musik beiträgt; den Bereich Kulturelle Förderung im Ausland übernimmt der Bund jedoch fast ganz alleine. Warum ist das so?

Grundsätzlich hat der Bund im deutschen föderalistischen Fördersystem sehr eingeschränkte Zuständigkeiten; er ist im Prinzip nur für Förderung gesamtstaatlicher Angelegenheiten wie den Schutz besonderen Kulturgutes, das preußische Kulturerbe mit seinen Museen und Schlössern, Spezialbibliotheken, die überregionale Filmförderung und eben die internationalen kulturellen Beziehungen verantwortlich. Was wir allerdings in den letzten Jahren beobachten, ist eine stete Zunahme der Bundesmittel, besonders für bundesweite modellhafte Förderprogramme, unter anderem in der Kulturellen Bildung.

Kommen wir zurück zur Elbphilharmonie. War der Bau im Sinne der Kulturförderung eine gute Investition?

Das kommt darauf an, wie man definiert, was Kulturförderung leisten soll. Auf der einen Seite wissen wir, dass Prestigeprojekte wie die Elbphilharmonie eine wichtige Rolle für die kulturelle Identität einer Stadt oder Region spielen. Selbst wenn Menschen solche Häuser gar nicht nutzen, neigen sie dennoch dazu, sich positiv mit ihnen zu identifizieren. Auf der anderen Seite erhebt Kulturförderung in Deutschland spätestens seit den 1970er-Jahren unter anderem den Anspruch, zur kulturellen Bildung für alle Bevölkerungsgruppen in unserer Gesellschaft beizutragen. Die große Frage ist, ob sie diesem Anspruch gerecht werden kann. Wir wissen inzwischen, dass nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung, größtenteils Akademiker mit gehobenem sozialen Status, Kultureinrichtungen wie Konzerthäuser, Theater und Museen überhaupt nutzen.

„HOCHKULTUR GILT ALS KERN DEUTSCHER IDENTITÄT“

Aber war Hochkultur nicht schon immer nur an ein Nischenpublikum gerichtet?

Tendenziell ja, wobei das Interessante am deutschen Kulturfördersystem ist, dass das im Grunde gar keine Rolle spielt. In Deutschland ist die Auffassung, dass Kunst und Kultur ein wichtiges gesamtgesellschaftliches Gut sind, fest in der öffentlichen Meinung verankert. Es wird auch durch das Grundgesetz gestützt: Kulturpolitik basiert auf der Kunstfreiheitsgarantie [Art.5 Abs.3 Satz 1 GG, Anm.d.Red.]. Daraus leitet sich durch ergänzende Gesetzeserklärungen ab, dass der Staat diese Autonomie sichern muss, indem er Kunst und Kultur fördert, um sie auch von den Zwängen des freien Marktes und konkreten Nutzenerwartungen zu schützen.

Das ist doch eigentlich ein guter Gedanke.

Grundsätzlich ja, aber er hat eben auch dazu geführt, dass es in Deutschland lange Zeit überhaupt kein Bedürfnis gab, sich mit der tatsächlichen Nutzung der öffentlich geförderten Angebote zu beschäftigen. Die klassische bürgerliche Hochkultur gilt immer noch als Kernbestandteil einer deutschen Identität, die selbst von denjenigen nicht hinterfragt wird, die darunter leiden, dass große Häuser in der Vergabe der Mittel so drastisch bevorzugt werden: die freie Kulturszene oder die Soziokultur. Dabei unterliegt jedoch genau diese sogenannte Identität einem Wandel.

Mit welchen Veränderungen haben wir es zu tun?

Für einen immer größeren Teil der deutschen Bevölkerung verliert klassische Hochkultur ihre Relevanz. Das hat zum einen mit einer generellen Veränderung der Rezeptionsgewohnheiten zu tun, auch bedingt durch die Digitalisierung. Ein weiterer Aspekt sind die neuen Impulse, die von Migrationsbewegungen ausgehen. Menschen anderer ethnischer Herkunft tragen andere Rezeptionsgewohnheiten und kulturelle Vorlieben in unsere Gesellschaft. Die große Herausforderung für Kunstbetrieb und Kulturpolitik in Deutschland besteht darin, die bestehenden Institutionen gemeinsam mit neuem Publikum, neuen Nutzern, neuen Akteuren zu verändern. Zudem müssen dem institutionalisierten Kulturbetrieb neue, flexiblere Organisationsformen entgegengesetzt werden, die auch kulturelle Interessen zukünftiger Generationen und Kulturschaffender berücksichtigen.
 

Prof. Dr. Birgit Mandel leitet den Bereich Kulturvermittlung und Kulturmanagement im Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Sie ist unter anderem Vize-Präsidentin der Kulturpolitischen Gesellschaft sowie Aufsichtsratsmitglied der Berlin Kulturprojekte GmbH.

Zu den Visualisierungen
Die Daten stammen aus dem Kulturfinanzbericht 2016, den die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder alle zwei Jahre herausgeben. Darin werden alle öffentlichen Ausgaben für Kultur gesammelt und ausgewertet. Aufgrund des hohen zeitlichen Aufwands (bis zur Gemeindeebene müssen alle Daten vorliegen) bezieht sich der Kulturfinanzbericht 2016 auf das Jahr 2013. 
Im Kulturfinanzbericht sind im Wesentlichen die Kulturausgaben der öffentlichen Hand enthalten. Private Mittel, zum Beispiel aus Stiftungen, finden sich nur als Schätzung. Demnach flossen 2013 aus dem privaten Bereich 1,17 Milliarden Euro an öffentlich geförderte Einrichtungen. Ohne öffentliche Zuschüsse arbeitende Kultureinrichtungen wie Musical-Theater sind im Kulturfinanzbericht nicht aufgeführt. 
Die öffentlichen Ausgaben für Kultur erreichten im Jahr 2013 mit 9,892 Milliarden Euro 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dies entspricht 1,68 Prozent des Gesamtetats aller öffentlichen Haushalte. Bund, Länder und Gemeinden stellten also pro Einwohner 122 Euro der Kultur zur Verfügung. Dabei wies der Bund der Kultur 0,8 Prozent seiner Gesamtausgaben zu, die Länder 1,8 Prozent und die Gemeinden 2,4 Prozent. Nicht enthalten sind in beiden Visualisierungen die sogenannten kulturnahen Bereiche: Für Rundfunkanstalten, Fernsehen, kirchliche Angelegenheiten, Volkshochschulen und sonstige Weiterbildung gaben Bund, Länder und Gemeinden im Jahr 2013 1,9 Milliarden Euro aus. Zusammen mit den 9,892 Milliarden Euro belaufen sich die öffentlichen Kulturausgaben auf rund 11,8 Milliarden Euro.
Viele der dargestellten Kategorien sind ohne größere Erklärungen verständlich. Bei einigen sind kurze Erläuterungen hilfreich: „Bibliotheken“ beinhaltet im Kulturfinanzbericht „öffentliche, wissenschaftliche und Spezialbibliotheken“. Denkmalschutz umfasst neben künstlerisch herausragenden Einzeldenkmälern auch historische Ortskerne, Parks oder Industriebauten. Die Kategorie „Sonstige Kulturpflege“ schließlich sind “Mittel für die Filmförderung, die Förderung der Kultur der Vertriebenen, der Volks- und Heimatkunde sowie die kommunalen Ausgaben für Heimatpflege”.