Aber der Traum der Vernunft gebiert keine penibel erdachten Monster, wie bei Goya, sondern erratische Labyrinthe, Auswege aus dem Wirrwarr der Erinnerung, unendliche Ressourcen des Unbewussten, freie Assoziation, kathartische Handlungen, Herausforderungen für Richters unfehlbare poetische Intuition... Es ist im Kern der Labyrinthe, nicht in ihrer Form, dass der Drang, alles zu umfassen, eine Antwort erhält, und oft schneidet diese ins Fleisch. Die Sehnsucht, alles zu umfassen, ist immer auch eine Sehnsucht, alles zu erklären. Luisa Richter will die Beziehungen erklären zwischen dem wirklichen (scheinbar ganzen) Menschen und einem (eigentlich gespaltenen, wenn nicht sogar zerrissenen) Menschen der Gegenwart; einem umfassenden Raum und einem jede Kontinuität zerstörenden Raum; einer Zeit, die mit diesem doppelt vorhandenen Menschen wieder eine Verbindung herstellen kann, und einer reinen, zufälligen, anekdotischen Zeit, die höchstens prekäre Beweise erbringt... Dieses (grafische) Werk bestätigt sie als eine außergewöhnliche Künstlerin, die in der Lage ist, dem kreativen Schaffen ein System von Werten zurückzugeben, die in der heutigen Welt allmählich vergessen worden oder verloren gegangen sind.
Marta Traba. Einführung in das grafische Werk Luisa Richters. Goethe-Institut/Asociación Cultural Humboldt, 1973.