Umwelt Verkehrswende - aber wie?

Die Bahn ist in Deutschland ein Reizthema. Auf der Suche nach Mobilität jenseits des Autos stößt man hierzulande auf viele unzufriedene Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel. Was muss geschehen, damit Menschen auf ein eigenes Auto verzichten?

Von Florian Rendchen

Verkehrswende - aber wie? Foto: Florian Rendchen
Wer viel mit Bus und Bahn unterwegs ist, kennt die Schwächen des Systems nur zu gut: Verspätungen, Engpässe und fehlende Anschlüsse sind die Regel. Gleichzeitig sorgen lange Staus auf den Straßen für Frust bei Autofahrern. Ein guter Nahverkehr könnte viele Probleme in den Städten lösen - doch was sind die Rezepte für einen ökologischen Wandel in der Verkehrspolitik? Wie lassen sich Kapazität, Attraktivität und Qualität im ÖPNV steigern?

Die Fehler der Vergangenheit

Öffentliche Verkehrsmittel sind ein Schlüsselfaktor bei der Verkehrswende. In der Vergangenheit sind die finanziellen Mittel dafür jedoch vor allem in den Fernverkehr der Deutschen Bahn geflossen. Zu diesem Ergebnis kommt der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim im Interview mit FOKUS pe GERMANĂ. Monheim war Professor für Raumentwicklung an der Universität Trier und Mitgründer von zahlreichen Verbänden wie dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Obwohl er bereits im Ruhestand ist, gilt er weiterhin als einer der bedeutendsten Fürsprecher für mehr Mobilität auf der Schiene.
 
Heiner Monheim Foto: Heiner Monheim
„Investiert wurde vor allem in ein paar Großprojekte der Hochgeschwindigkeit für den Fernverkehr“ oder etwa den Knotenpunkt Stuttgart 21. „Das sind Projekte, die die Systemqualität der Bahn nur marginal verbessern“. Das Hochglanzprojekt Stuttgart 21 etwa, drohe den belasteten Bahn-Knotenpunkt sogar noch zu verschärfen, „weil die Kapazität nicht erweitert“, sondern womöglich noch verringert werde.

Klar ist, dass der unterirdische Bahnhof mit deutlich weniger Gleisanlagen auskommen muss als sein oberirdisches Pendant. Es ist aus seiner Sicht nur eines von vielen, fragwürdigen Megaprojekten: Auch der Bau gigantischer Neubaustrecken wurde in den vergangenen Jahrzehnten massiv vorangetrieben. Der Steuerzahler finanzierte so eine ICE-Strecke nach der anderen, Köln-Frankfurt, Erfurt-Nürnberg oder Stuttgart-Ulm sind prominente Beispiele. Viele dieser Strecken hätten Monheim zufolge keine Kapazitätsengpässe gelöst und trotzdem das meiste Geld verschlungen.

Anstatt solcher Bauvorhaben ließe sich mit ähnlichem Aufwand vielerorts ein Alternativkonzept zum meist noch dominierenden Auto anbieten, moniert er. „Von den Investitionen ins Netz und ins Infrastruktursystem“ hätte ein Sektor hingegen nur „sehr wenig bekommen“: „Der Regionalverkehr“- und das, obwohl er 80 Prozent aller Fahrten ausmache. Während der ICE und der Bahnhof in Stuttgart die volle Aufmerksamkeit von Seiten des Konzerns und der Politik genossen, gerieten andere Projekte lange in Vergessenheit.
 

Mobilität in der Stadt

Metropolen wie Frankfurt oder München vermelden über ihre Statistischen Ämter seit der Jahrtausendwende kontinuierliche Zuwächse bei der Bevölkerungsanzahl. Allein in der Stadt München kamen seit dem Jahr 2000 fast 300.000 neue Bewohner hinzu. Den städtischen Nahverkehr bringt das zunehmend an seine Belastungsgrenze: In deutschen Großstädten fahren die S-Bahnen weiterhin im 20-Minuten-Takt. Die Anschlüsse sind knapp. Die Sitzplätze sind es auch. „Das ganze Schienennetz ist dieser Siedlungsentwicklung überhaupt nicht gefolgt“, kritisiert Monheim. Es fehlt hierzulande anscheinend eine neuartige Philosophie und Denkweise über die Mobilität der Zukunft, die mehr und mehr alle europäischen Städte erreicht, nur nicht die Deutschen.

Das ärgert Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband PRO BAHN. Er ist stellvertretender Vorsitzender beim Interessenverband Allianz pro Schiene und einer der Gründungsmitglieder des Verkehrsclubs Deutschland. Er setzt sich auf gesellschaftlicher und politischer Ebene für mehr öffentliche Verkehre ein.
 
Karl-Peter Naumann Foto: Karl-Peter Naumann
„Qualität, die Angebotsdichte und die Aufrechterhaltung der Reisekette“ seien die entscheidenden Schaltstellen. Anderswo sei man damit bereits deutlich weiter:

In Wien gibt es seit 2012 ein 365-Euro-Jahresticket für die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Zahl der Jahreskartenbesitzer ist heute mit circa 0,8 Mio. verkauften Tickets mehr als doppelt so hoch wie vor sechs Jahren. Laut Statistik Austria werden in Wien 38 Prozent aller Fahrten mit dem ÖPNV bewerkstelligt, das Auto liegt mit 27 Prozent darunter. Zum Vergleich: In München wurden laut einer MVV-Studie nur rund ein Viertel aller Fahrten mit den Öffentlichen zurückgelegt. Das Auto liegt mit 34 Prozent dagegen klar vorne.
 

Verkehrsplanung Wiener Art

Die Wiener Stadtplaner hatten eine von Grund auf andere Vorstellung von ihrer Metropolregion Wien als ihre Münchner Kollegen: Seit den 80ern haben sie dem ÖPNV-Netz zahlreiche neue U- und Tramlinien hinzugefügt. Gleichzeitig entstanden neue Wohnviertel wie Floridsdorf, die konsequent an diese Linien angebunden wurden. Der Autoverkehr hingegen wurde bewusst langsamer und unattraktiver gemacht: Staus wurden künstlich erzeugt und Spuren geschlossen, um möglichst viele Autofahrer zum Umstieg in die öffentlichen Verkehrsmittel zu bewegen.

Gegen solche Maßnahmen formiert sich in anderen europäischen Städten Widerstand, doch Naumann hält solche Maßnahmen für legitim: „In der Stadt spielen Luft- und Flächenverbrauch eine entscheidende Rolle. Eine Spur für den öffentlichen Verkehr, sei es Straßenbahn oder Bus, ist sehr viel effizienter als eine Spur für Autos. Das heißt nicht, dass man das Auto ganz verbieten sollte, aber man sollte es schon auf ein stadtverträgliches Maß zurückführen.“

Der freigewordene Raum ließ in Wien auch neuen Spielraum auf öffentlichen Wegen: Innenstadtstraßen konnten in Fußgängerzonen umgewandelt und mit Geschäften belebt werden. Ehemals vielbefahrene Straßenzüge wie die Kärntner Straße sind heute bekannte Einkaufszeilen.


Die Konkurrenz durch PKW und Flugzeug

Versprechen der Politik, dass sich die Situation bei der Deutschen Bahn bald bessern würde, gab es schon viele. Die Jahrzehnte vergingen - und Verkehrsminister kamen. Doch keiner legte eine milliardenschwere Agenda für das Schienennetz auf. Der Großteil der Investitionen geht auch heute immer noch in den Straßenverkehr. Das ändert sich auch mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 nicht. Die Interessengemeinschaft Allianz pro Schiene bemängelt in einer Stellungnahme, dass der „Verkehrsträger Straße mit 55 Prozent des staatlichen Geldes klar der Hauptnutznießer“ bleibe. Heiner Monheim wünscht sich hingegen eine Umverteilung zugunsten aller öffentlichen Verkehrsmittel. Er fordert eine ehrlichere Debatte über die Frage der Kosten:

„Investitionen in den Schienenverkehr macht man ja auch, um Verkehrswende zu ermöglichen, um also an anderen Stellen“ wie dem sechsspurigen Ausbau von Autobahnen „endlich auf die Bremse steigen zu können“. Wer ernsthaft weniger Autoverkehr haben wolle, müsse die „Riesensummen aus dem Straßenverkehr“ abziehen und in den ÖPNV stecken. Dies ist in den zuständigen Verkehrsministerien bisher nie zur Disposition gestanden. Mit ehrlicher Kostendebatte meint Heiner Monheim aber noch etwas anderes: Viele Kosten, die beispielsweise der Straßenverkehr verursacht, würden häufig nicht diskutiert: Dazu gehören staatliche Ausgaben für Straßenbeleuchtung, das Dienstwagenprivileg oder die Subventionen für Dieselkraftstoff.

Auch der Flugverkehr macht der Bahn Konkurrenz. Karl-Peter Naumann von Pro Bahn zufolge ist sie auch hier steuerlich im Nachteil: Zum einen sei die Bahn dadurch benachteiligt, „dass die Flieger keine Mineralölsteuer zahlen“ und zum anderen, dass „die Flugtickets im internationalen Verkehr von der Mehrwertsteuer befreit sind“. Zudem sei in der Vergangenheit viel Geld in Regionalflughäfen geflossen, obwohl sie allesamt defizitär seien: „Würde man dieselben Kriterien verwenden, die man sonst gerne bei der Bahn anlegt, müssten sie sofort geschlossen werden.“


Die verschlankte Bahn

Zur gleichen Zeit wurde das Streckennetz der Bahn trotz einiger Neubauprojekte reduziert: Aus der Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Anfrage der Grünen geht hervor, dass die Bahn seit der Bahnreform im Jahr 1994 mehr als 15 Prozent ihrer Strecken stillgelegt hat. Zudem sind laut Statistischem Bundesamt nur 60 Prozent des Bahnnetzes in Deutschland elektrifiziert.

Die Infrastruktur ist somit anfällig für Störungen, wie es zuletzt bei der Panne in Rastatt zu beobachten war. Allein durch die Sperrung eines einzigen Teilstücks der Rheinstrecke waren sämtliche Verbindungen im Südwesten gekappt. Die Bahn konnte damals so gut wie keine sinnvollen Alternativrouten anbieten. Die Pressestelle der DB verweist auf Anfrage von FOKUS pe GERMANǍ darauf, dass nicht sie, sondern ausschließlich das Eisenbahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde über die Stilllegung von Strecken entscheide. Zudem hätten „die Länder als Besteller von Nahverkehrsleistungen entscheidenden Einfluss darauf, ob eine Strecke stillgelegt wird.“
 
Bahn Florian Rendchen
 


Die Schweiz als Vorbild

Besserung verspricht die Bahn bis zum Jahr 2030. Viele Städte sollen bis dahin wieder an den Fernverkehr angeschlossen werden - auch wenn die DB ihre Offensive oft nur unternimmt, wenn ihr Zugeständnisse gemacht werden: Dazu gehört eine weniger strikte Trennung von eigenwirtschaftlichem Fernverkehr und dem Nahverkehr, der von den Ländern finanziert wird. Bahnexperte Monheim hielt sie von Anfang an nicht für sinnvoll, in der Schweiz gebe es diese Teilung beispielsweise gar nicht. Dort gilt: Eine Strecke - Ein Preis. Den Rest entscheidet der Fahrgast.

In der Schweiz stellt sich auch die Frage nach Fahrverboten bisher nicht. Dort ist längst eine ganz andere Form der Mobilität im Gange, die Bahnfahrer in Deutschland so nicht gewohnt sind. Der Weg zum Vorzeigeland begann für die Schweiz mit ihrem „integralen Taktfahrplan“, indem alle öffentlichen Verkehrsträger miteinander vernetzt sind: Jede halbe Stunde ist ein Anschluss zwischen den Metropolen gewährleistet und am Zielbahnhof warten sofortige Anschlüsse auf die Fahrgäste. Das Land denkt in engmaschigen Netzen und nicht in Einzelrouten. Das garantiert beinahe jedem Fahrgast eine stabile Verbindung von A nach B. Die Schweizer Bahngesellschaft SBB hat sich damit einen europaweiten Ruf als zuverlässiger Mobilitätsdienstleister erarbeitet.
 

Der Deutschlandtakt als Rettung?

Der aktuelle Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer brachte den Deutschlandtakt wieder ins Gespräch, der das Prinzip des integralen Taktfahrplans auch hierzulande etablieren will. Darauf soll ein neu eingerichtetes „Zukunftsbündnis Schiene“ hinarbeiten. Bei einem Treffen mit Bahnchef Richard Lutz im Bundesverkehrsministerium zur Vorstellung des Projektes benannte Scheuer das Ziel, „bis 2030 die Zahl der Fahrgäste verdoppeln“ zu wollen.

Gleichzeitig versprach er, dass der Deutschlandtakt „das Bahnfahren pünktlicher, schneller und die Anschlüsse direkter und verlässlicher“ machen werde. Karl-Peter Naumann fragt sich allerdings, wie das gelingen soll. Er meint, es wird im Jahr 2030 „erste vernünftige Schritte geben, aber vor 2040 wird es sicherlich keine deutlichen Verbesserungen geben“. „Dafür fehlt einfach die Infrastruktur.“