Digitales! Social Media – mehr oberflächlich als sozial

Von Anne Frieda Müller

Social - or the opposite? Foto: Leo Wegener
Soziale Medien sollen das soziale Miteinander bestärken, vereinfachen. Aber ich glaube nicht, dass sie dieses Versprechen halten – viel eher bin ich der Ansicht, die Nutzung der sozialen Plattformen setzt uns unter enormen Druck, den wir ohne sie gar nicht hätten.

Der Mensch ist ein soziales Wesen, aber man kann nicht immer alles mitbekommen. Dieses Gefühl ist unangenehm. Experten nennen das auch FOMO – „fear of missing out“, die Angst, etwas zu verpassen. Der Verhaltensforscher Dan Ariely erklärt das Phänomen als Angst, dass man falsche Entscheidungen gefällt hat: Man bereut, dass man nicht zur coolsten Party, zum lustigsten Event gegangen ist und so die beste Erfahrung verpasst hat. Weil man jeden Tag auf Facebook, Instagram oder Twitter mitkriegt, wo die beste Party war.

Auf sozialen Netzwerken bekommt jede*r die Möglichkeit, sich selbst darzustellen. Fehler werden nicht erwähnt oder retuschiert. Online sehen wir alle gut aus und haben Spaß. Deshalb steigt der Druck, perfekt zu sein, 24/7 Spaß zu haben und mit tollen Leuten abzuhängen. Von Tag zu Tag, Stunde zu Stunde. Jeden Tag muss das Leben geteilt werden, jeder Tag muss aufregender sein. Immer mehr Fun, immer mehr Action. Routine oder Alltag scheint es nicht mehr zu geben - darf es nicht mehr geben.

Ob Instagram, Facebook oder WhatsApp - nach dem Motto “Pics or it didn’t happen!” muss alles überall geteilt und gezeigt werden. Denn offenbar will jeder wissen, was andere gerade wieder erreicht haben.
Aber ist es für die eigene Entwicklung sinnvoll, Menschen bei den größten, aufgebauschten Abenteuern zuzugucken, während man selbst zu Hause im eigenen Bett liegt? Stattdessen könnte man sich selbst mit Freunden treffen, ganz ohne Smartphones und Druck, der ganzen Welt davon zu erzählen, wie toll das gerade Erlebte war. Haben wir den Alltag, das Normalsein verlernt?

Ich glaube, das Sozialsein hat sich verändert. Einerseits will ich nichts verpassen, um meine Entscheidungen für die Zukunft besser abzuwägen. Andererseits will ich alles teilen, um meine Freunde am Geschehen Teil haben zu lassen. Doch diese Rechnung geht nicht auf, stattdessen bekomme ich ein schlechtes Gewissen.

Jeden Tag wird mir gezeigt, was ich heute nicht gemacht habe, was mir scheinbar fehlt. Von Produkten über leckeres Essen bis hin zu Urlaub, den ich mir nicht leisten kann. So bekomme ich Schuldgefühle, ohne für irgendwas schuldig zu sein.

Die Ursache hierfür liegt in der permanenten Nutzung sozialer Medien, denn deren Mechanismen sind darauf ausgelegt, mich immer wieder mit neuen Reizen und Text und Bild zu versorgen, die ich nicht verpassen will.

Bilder spielen eine besondere Rolle, denn wir Menschen sind visuelle Wesen. Weil wir Gefahren am schnellsten mit den Augen wahrnehmen, reagieren wir auf visuelle Reize instinktiv stärker als auf zum Beispiel auf Worte. Das macht sich auch in den sozialen Medien bemerkbar: Bilder werden wichtiger, ausführliche Texte rücken in den Hintergrund. Stattdessen erzeugen einfach Schlagworte schnelle Reaktionen. Möglichst viele Reaktionen. Auch hier wirkt das Reiz-Reaktion-Schema erschreckend effektiv:
Was von allen diskutiert wird, will ich auch mitdiskutieren. Die Algorithmen der sozialen Medien wiederum versuchen, uns vor allem das zu zeigen, was wir laut unserer vergangenen Interaktion vermutlich auch in Zukunft sehen wollen. So entsteht eine Filterblase: Wir sehen nur noch das, was uns interessiert. Kritisch darüber nachdenken, andere Meinungen hören – sowas gibt es nicht mehr. Was wir ins Netz geben, kommt wieder raus.

Soziale Medien leben von unserer Aufmerksamkeit, von unserer Zeit, die wir mit den Plattformen verbringen. Dem entsprechend sind unsere Interaktionen von Emotionen geprägt: Der share-Button wird oft für traurige Nachrichten genutzt und die Kommentarfunktion, um seine Wut abzulassen. Aber das liken ist immer noch das leichteste, am meisten genutzte Tool.

Mit jedem Herzen und jedem Daumen steigt mein Glücksgefühl, meine Freude, das Gefühl der Bestätigung. Positive Selbstdarstellung macht uns Spaß. Im Gehirn wird Dopamin ausgeschüttet. Wir geilen uns am Fame auf und werden regelrecht süchtig nach sozialen Medien. Mit jedem neuen Freund, mit jeder neuen Freundin steigt meine Reichweite, mein Wunsch nach mehr. Aber es steigt auch meine FOMO, meine fear of missing out. Und so scheine ich in einer Blase aus virtueller Fröhlichkeit gefangen zu sein.

Ich würde mir wünschen, dass wir weniger Zeit damit verbringen würden, uns im Internet voreinander zu profilieren, und wieder mehr Zeit dafür übrig bliebe, tatsächlich eine gute Zeit miteinander zu haben.