Gesellschaft Warum wir Millennials das Grundeinkommen erleben werden

Von Miguel Kaluza

Es wird heiß diskutiert: Das bedingungslose Grundeinkommen. Die Idee klingt zu schön, um wahr zu sein: Jeden Monat gibt es, je nach Modell, etwa 1000€ vom Staat – ohne jede Bedingung. Unfinanzierbar und unrealistisch sagen die Kritiker. Dabei sprechen einige Aspekte dafür, dass wir als Millennials das Grundeinkommen erleben werden.

Studien überbieten sich in den letzten Jahren wie auf einer Auktion in ihren dramatischen Prognosen für die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Die bekannteste kommt wohl von der Oxford University und will herausgefunden haben, dass bis 2030 knapp die Hälfte aller Jobs durch Automatisierung verloren gehen könnten. Bei dem Gedanken an den letzten Besuch an einem Bankschalter oder eines Reisebüros, an 3D Drucker, autonome Fahrzeuge oder Flugdrohnen scheint diese Annahme gar nicht so unbegründet. Tatsächlich handelt es sich aber auch nur um eine professionelle Vermutung. Keiner weiß, wie schnell wie viele Jobs wegfallen, ersetzt werden oder ganz neu entstehen. Sicher ist: Unsere Arbeitswelt wird sich gewaltig verändern und Politik und Wirtschaft werden darauf reagieren müssen.

Sozialpolitisch wird es in dieser Umbruchphase mit wahrscheinlich deutlich höherer Arbeitslosigkeit einen neuen Ansatz brauchen. Das bisherige Credo des Fordern und Förderns im Verbund mit einem Sanktionsdruck verstärkt den Frust und die Wut der Bevölkerung. Schon jetzt häufen sich Vorfälle, in denen autonome Fahrzeuge mit Steinen beworfen werden. Brexit, Trump oder die Gelbwesten sind Ausdruck einer schon jetzt schwellenden Wut, die unter weniger guten Umständen ganz anders ausarten wird. Ein Grundeinkommen, das bedingungslos gezahlt wird, befreit von dem Stigma des bedürftigen und faulen Hartz 4 Empfängers. Es vermittelt Solidarität und Wertschätzung und schafft so einen positiven Gegenentwurf zu rückwärtsgewandten Populisten, die Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielen. Eine Politik der Alternativlosigkeit wird die Menschen nicht begeistern können und in die Hände der Populisten treiben. Ideen wie ein Grundeinkommen haben die Kraft, die Bevölkerung zu begeistern und Hoffnung an eine bessere Welt zu beleben.

Digitales Brot und Spiele

Aber seien wir realistisch. Am Ende geht es um Geld. Wertschätzung und Solidarität sind nice to have, schlagen sich aber nicht im BIP nieder. Die Frage ist eher: Wenn Hunderttausende ihren Job verlieren und am Existenzminimum leben, wer hat dann noch das Geld bei Amazon, Foodora und Co. zu bestellen? Sollen autonome Roboter auch das übernehmen?

Kürzlich forderte Larry Fink, der Chef des weltweit größten Vermögensverwalters Blackrock, Unternehmen dazu auf, drängende soziale und wirtschaftliche Fragen anzugehen. Die Politik sei unfähig, effektive Lösungen zu finden. Mit anderen Worten: Der soziale Frieden (und damit auch der freimütige Konsum) ist in Gefahr.

Ein Grundeinkommen, das sich nicht zu weit vom Existenzminimum entfernt und sich nicht in humanistische Höhen verirrt, könnte nicht nur die Massen ruhig stellen, sondern gleichzeitig auch den Konsum aufrecht erhalten. Eine Art digitales Brot und Spiele. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos wird seit einigen Jahren vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten über das Grundeinkommen diskutiert. Immer mehr Wirtschaftsführer wie Telekom-Chef Timotheus Höttges oder Joe Kaeser, Chef von Siemens befürworten genauso wie Mark Zuckerberg und Elon Musk aus dem Silicon Valley ein Grundeinkommen. Ab einem gewissen Punkt könnte sich, angetrieben von der Wirtschaft, die große Frage der bisherigen Gegner „Wer soll den das bezahlen?“, in eine andere Richtung lenken: „Wie kann ein Grundeinkommen finanziert werden?“

Unsicherheit und finanzielle Freiheit

Als erste Nachkriegsgeneration steht uns Millennials weniger Geld zur Verfügung als unseren Eltern. Steigende Mieten, große Träume und eine Rente, von der sowieso keiner mehr glaubt, dass sie ausreichen wird, treiben uns in die Suche nach der finanziellen Freiheit. Manche finden sie in Kryptowährungen, passivem Einkommen, einem Leben ohne Geld oder einem sparsamen Leben mit frühzeitiger Rente. Die große Mehrheit verschiebt die Gedanken an die Altersvorsorge wie den Abgabetermin der Hausarbeit: In möglichst weite Ferne.

Selbst unsere Eltern glauben zu 64%, dass es uns schlechter gehen wird als ihnen. Privatschulen und Nachhilfeinstitute sprießen wie Unkraut aus dem Boden und Eltern beklagen sich über das sinkende Niveau des Abiturs. Es herrscht ein Kampf um die besten Plätze. Jeder gegen jeden. Wer schafft es auf die autonome Arche Noah? Wer programmiert die Zukunft und ermöglicht sich ein auskömmliches Leben?

Währenddessen brachen noch nie so viele ihr Studium ab, litten unter psychischen Problemen oder waren schon zu Beginn der Karriere von Burnout gefährdet wie heute. Das bestimmende unterschwellige Gefühl unserer Zeit ist die Unsicherheit. Ein dauerhafter Stress, der die Sehnsucht nach einer Erlösung mehrt. Nach einem Rettungsanker, einem kleinen Durchatmen, das uns die wohlige Wärme der Kindheit zurückgibt. Die Idee des Grundeinkommens bedient diese Sehnsucht, scheint wie die Antwort auf unplanbare Lebensentwürfe und ein offeneres, flexibleres Lebensgefühl. Es ist weniger die Aussicht, sich auf die faule Haut legen zu können, als einen sicheren Boden unter sich zu wissen, um das machen zu können, was wir wollen: Etwas Sinnvolles leisten.

Ungewohnte Einigkeit

Dass Politiker von SPD, CDU, Linken, Grünen und FDP einer Meinung sind, ist selten der Fall. Noch weniger in sozialpolitischen Fragen. Umso überraschender ist es, dass es über die Notwendigkeit eines Grundeinkommens unter einigen Jungpolitkern eine grundlegende Übereinkunft gibt. Wie der Ausstieg aus der Atomkraft eine Mehrheit unserer Eltern hinter sich vereinen konnte, ist das Grundeinkommen so etwas wie die Idee unserer Generation. Ein erster großer Versuch, ein Grundeinkommen in Europa einzuführen scheiterte 2016 in einer Volksabstimmung in der Schweiz. Eine Mehrheit sprach sich gegen die Idee aus. Genauso wie es 1959 bei der Volksabstimmung zum Frauenwahlrecht der Fall war. Erst 1971 wurde es dann in einer erneuten Abstimmung schließlich eingeführt. Dass es in den nächsten Jahren zu einer erneuten Abstimmung über das Grundeinkommen kommen wird, glauben 69% der Schweizer.

Ob das wirklich zu einer Einführung eines entsprechenden Konzepts führt, ist eine ganz andere Frage. Zur Zeit besteht in keinem westlichen Land eine Dringlichkeit, tatsächlich in diese Richtung vorzugehen. Erst wenn es durch Automatisierung tatsächlich zu Massenarbeitslosigkeit oder gesellschaftlichen Unruhen kommen sollte, wird auch ein Grundeinkommen wahrscheinlich. Vorher wird es eine nette Idee bleiben. Der Atomausstieg wurde auch nicht durch gutes Zureden, sondern durch Fukushima ermöglicht. Katastrophen schaffen Handlungsdruck, Visionen allenfalls Hoffnung. So war es Ende des 19. Jahrhunderts auch die Angst vor einer Revolution der Arbeiterschaft, die Bismarck veranlassten, den Grundstein unseres heutigen Sozialstaats zu legen und so den katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Fabriken entgegenzuwirken.

Im 21. Jahrhundert wird es nun, besonders für unsere Generation, die Herausforderung sein, dieses Paradigma ein Stück weit zu durchbrechen. Wir können nicht warten bis die Erde durch die Klimaerwärmung völlig aus dem Gleichgewicht geraten ist oder Menschenmassen ohne Arbeit gewaltsam protestieren, sondern lernen zu handeln, bevor es zu spät ist. Das heißt auch Ideen jüngerer Generationen früher umzusetzen, um mit dem Tempo einer digitalen, globalen Welt Schritt halten zu können. 

Das Grundeinkommen ist kein Allheilmittel, sondern eine mögliche Antwort auf die Gegebenheiten unserer Zeit. Je nach Konzept und Intention gibt es zu Recht große Bedenken und Risiken, die im Detail zu entsprechender Zeit ausgelotet werden müssen. Unser Sozialsystem wird in jedem Fall schrittweise umgebaut werden müssen und ein Grundeinkommen kann ein sinnvoller Teil dieses Umbaus sein. Im Interesse unserer Demokratie sollte die Politik diesen Umbau frühzeitig angehen.