Gesellschaft Bezahlen und bezahlt werden

Die meisten Online-Netzwerke sind kostenlos für ihre Nutzer*innen. Gleichzeitig produzieren diese kostenlos Content. Das hat gefährliche Konsequenzen: Warum Soziale Medien ein neues Geschäftsmodell brauchen.

Von Kim Maurus

Handy Cellphone | © Flickr
„Wir müssen die Regeln für das Internet neu aufstellen, um das Gute zu bewahren – die Freiheit für jeden Einzelnen, sich auszudrücken, und für Unternehmer, neue Ideen zu verwirklichen – und gleichzeitig die Gesellschaft vor Schaden zu schützen“. Wer hätte gedacht, dass Mark Zuckerberg im Zusammenhang mit dem Internet das Wort „Schaden“ über die Lippen kommen würde? Der Satz stammt aus einem Gastbeitrag in der letzten März-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in dem der Facebook-Chef Regulierungsansätze für das Internet vorschlägt. Das Gute bewahren, die Gesellschaft schützen, das hört sich ziemlich vernünftig an. Es stellt sich bloß die Frage, inwiefern es beim derzeitigen Geschäftsmodell Sozialer Medien, allen voran Facebook, überhaupt Gutes zu bewahren gibt – oder ob man das ganze System dafür nicht komplett umkrempeln müsste.
                                                                                                                
Wir posten auf Facebook, Instagram und Twitter, was das Zeug hält. Ob es nun provozierende Statements, inszenierte Bilder oder Schnappschüsse sind, unsere digitalen Hinterlassenschaften resultieren in den meisten Fällen aus unserem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, nach Aufmerksamkeit. Weil wir diese durch Likes und Kommentare bekommen, posten wir. Wir werden süchtig nach dem Dopamin-Kick, den wir bei jeder Benachrichtigung, bei jedem neuen Like bekommen.
 
Smartphone Unsplash © Georgia de Lotz

Unser Verhalten ist in doppelter Hinsicht naiv

Soweit die vereinfachte Darstellung des Aufmerksamkeit-Marktes, bei dem wir nur allzu gern mitmachen und mit dem Soziale Medien ihre Nutzer*innen an sich binden. Was wir dabei vergessen: Unser Umgang mit den eigenen Daten ist in doppelter Hinsicht naiv. Zum einen geben wir Dinge von uns preis, mit denen noch vor zwei Jahrzehnten vermutlich niemand freiwillig an die breite Öffentlichkeit gegangen wäre. Zum anderen tun wir das kostenlos.
 
Mit unserem Online-Verhalten geben wir Google und Facebook unzählige Mosaikstückchen unseres Selbst, aus denen die Unternehmen digitale Avatare von uns basteln. Dadurch können die Werbekunden von Facebook und anderen Sozialen Medien individualisierte, auf unsere Präferenzen abgestimmte Werbung schalten. Dabei geht es nicht mehr darum, uns zum Kauf einer Brille oder einer Handtasche zu verleiten. Wir sollen auch dazu bewegt werden, ein bestimmtes Wahlverhalten an den Tag zu legen. Wir werden zu personifizierten Instrumenten, um den Ausgang politischer Entscheidungen zu manipulieren. Niemand kann sagen, wie das Brexit-Referendum und die US-Wahlen 2016 ohne personalisierte Social-Media-Kampagnen ausgegangen wären – ihr Einfluss bei der politischen Willensbildung ist aber unbestreitbar.
 
Unternehmen wie Facebook und Google nutzen unsere fleißig eingetippten und versendeten Daten aber auch für ihre eigene Weiterentwicklung, etwa, um Übersetzungs-Algorithmen zu verbessern oder Sprachassistent*innen menschlicher klingen zu lassen. Man benötigt die Kenntnisse und Fähigkeiten echter Menschen, damit Künstliche Intelligenz (KI) funktioniert – damit eine Datenbasis vorliegt, mithilfe derer die Maschine mit Menschlichkeit gefüttert werden kann. Diese Basis liefern wir kontinuierlich, freiwillig und vor allem kostenlos. Unternehmen entwickeln damit KI, die auch reale Arbeitsplätze derer überflüssig machen könnte, die ohne Gegenleistung ihre Kenntnisse preisgegeben haben. Das ist per se nicht schlimm, denn KI ist für die digitale Weiterentwicklung unserer Gesellschaft wichtig, hilfreich und sinnvoll. Aber die Übertragung von Informationen von Mensch auf Maschine wäre nur dann nachhaltig und fair, wenn die Menschen für das Bereitstellen ihres Wissens entlohnt werden würden.
 
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Lösche deine Social Media Accounts

Der US-amerikanische Tech-Guru Jaron Lanier beschreibt dieses nicht nachhaltige Wirtschaftssystem in seinem 2018 veröffentlichten Buch „Zehn Gründe, warum Du Deine Social Media Accounts sofort löschen musst“. Der Informatiker hat in den 80er Jahren verschiedene Startups von Tech-Riesen wie Google und Adobe geleitet und ist langjähriger Mitarbeiter bei Microsoft. Er kennt die Branche, von der er spricht, hat selbst keine Accounts auf Facebook und Co. und meint seine Forderung im Buchtitel todernst. Die unfaire Ökonomie, die sich hinter den Sozialen Netzwerken verbirgt, ist für ihn einer der zehn Gründe, sie nicht mehr zu nutzen. Zumindest so lange bis sich etwas ändert: Sobald es Soziale Medien gäbe, die der Gesellschaft nicht schaden, würde er sich wieder Accounts zulegen, sagt er in seinem Buch.
 
Wie sähe so ein Soziales Medium aus? Um uns und unser Wissen zu schützen, müssen wir unsere digitalen Spuren von den Interessen Dritter fernhalten. Wir sollten bereit sein, Sozialen Medien wie Facebook oder Twitter einen monatlichen Beitrag für unseren Account zu zahlen. So können Werbeanzeigen eingeschränkt werden. Viele Abstufungen dieses Modells wären denkbar, etwa eine persönliche Auswahl, wie viel Werbung man angezeigt haben möchte (gegen einen entsprechend höheren oder niedrigeren Beitrag) – und vor allem, von wem wir diese erhalten wollen, bevor die erste Anzeige im Newsfeed auftaucht. Wir sollten aktiv entscheiden dürfen, wer uns beeinflussen darf. Gleichzeitig müssen Unternehmen auch die Menschen honorieren, die eine große Reichweite und Einfluss haben oder einen Mehrwert für deren KI-Projekte liefern. 
 
Smartphone Pexels © Oskar Patyane
 

Facebook ist auch abhängig von uns

Wir sollten uns das wert sein, vor allem jetzt. Das Vertrauen, insbesondere in Facebook, ist nach dem Datenskandal rund um das Unternehmen Cambridge Analytica im vergangenen Jahr zerrüttet. Sogar in klassischen Zeitungen schaltet das Unternehmen Anzeigen, um seine Nutzer*innen im Hinblick auf mögliche Manipulationen der Europawahlen im Mai zu beruhigen. Wenn Zuckerberg wirklich „Gutes bewahren“ möchte, wie er in der FAZ schreibt, dann muss er sein Geschäftsmodell ändern. Erst dann können wir uns auf den Plattformen bewegen, ohne Gefahr zu laufen, Opfer von Manipulation zu werden. Das täte nicht nur uns, sondern auch der Wahrung der demokratischen Grundwerte unserer Gesellschaft mehr als gut.
 
Vermutlich müssen wir gar nicht so radikal wie Jaron Lanier sein und unsere Social-Media Accounts allesamt sofort löschen. Wir sollten schlichtweg anfangen, unser Online-Verhalten mehr zu reflektieren. Wir sollten anfangen, uns als wertvoll für die Unternehmen zu sehen, die hinter den Social-Media-Apps auf unserem Smartphone stecken. Sie machen uns abhängig, sind aber letztendlich gleichermaßen abhängig von uns. Wir sollten uns das zunutze machen. Wir sollen bereit sein, für uns und andere zu zahlen und wir sollten es öffentlich fordern.