Ausgesprochen … gesellig So gehört das, so muss das sein
Zum Jahresbeginn 2022 sieht Maximilian Buddenbohm überall in der Gesellschaft Ärger, Enttäuschung oder Verbitterung. Doch auf einem Spielplatz beobachtet er etwas Interessantes.
Von Maximilian Buddenbohm
Wir haben eine Phase der Pandemie erreicht, in der fast alle Menschen in dieser Gesellschaft durch etwas verärgert oder enttäuscht, vielleicht sogar verbittert sind. Weil sie einzelne oder viele Maßnahmen des Staates unsinnig oder falsch finden, weil sie das Verhalten ihrer Mitmenschen abwegig oder irrsinnig finden, weil sie irgendwelche Regeln, Einschränkungen, Verbote oder Förderungen gerne etwas anders hätten oder nicht mehr nachvollziehen können oder wollen, was warum entschieden wurde. Es scheint keine zufriedenen Menschen mehr zu geben, in keinem Lager, in keiner Gruppierung. Dem mittlerweile schier undurchdringlichen Dickicht der vielfältigen Regeln und Vorgaben steht ein ebenso wirres Dickicht an Meinungen und Vermutungen gegenüber. Es ist eine verfahrene Situation. Im Bekanntenkreis regen sich alle über irgendetwas auf, im Kolleginnenkreis auch, in den sozialen Medien sowieso, in den Nachrichten, in den Talkshows und im Radio - überall wird geschimpft, gezweifelt, gestritten, und wem will man es verwehren, es gibt doch Gründe genug und auch Gründe für alle.
In der Politik würde man eine Rede zu diesem Thema vielleicht so beginnen: „Aber lassen Sie mich zunächst Folgendes sagen …“ Dann würde man weit, weit vom Kern des Ganzen abkommen, um hintenrum ein Lieblingsthema im Vortrag unterzubringen. Genau das mache ich auch. Ich komme nach dieser Einleitung erst einmal absichtlich und ausschweifend vom Thema ab und am Schluss des Textes gucken wir dann, ob ich überhaupt wieder zurückfinde.
Bei der Rutsche gefällt ihm etwas nicht. Er schüttelt den Kopf, er sieht genauer hin, er macht Fotos von einem Detail der Konstruktion. Dann telefoniert er. Ich kenne auch das schon aus den Vorjahren, ich weiß, was vermutlich bald passieren wird. Ein LKW wird in einigen Wochen kommen. Ein paar Männer mit Werkzeugen und Maschinen werden dabei sein. Sie werden die alte Rutsche abbauen und gegen eine neue tauschen. Es wird eine bessere Rutsche geben, die keinen Schaden hat und also keine Gefahr mehr darstellt. Vielleicht wird sie exakt so aussehen wie die alte Version, das kann sein. Aber sie wird doch besser sein, auch wenn das kein Kind bemerken wird. Die Jobs dieser Männer sind ebenfalls wichtig, auch sie haben Verantwortung. So eine Rutsche muss schon richtig stehen.
Meine Wut, so denke ich, ist gar nicht unbedingt gegen etwas. Es ist mir ohnehin in den letzten Monaten zu kompliziert geworden, gegen etwas zu sein, wo soll man da anfangen, das ist ein zu weites Feld. Nein, meine Wut will, dass der Staat und seine Einrichtungen so sind, wie es die Stadt bei diesen Spielplatzprüfungen ist. Unbedingt will meine Wut das und mit Nachdruck. Ich will es logisch finden, was beschlossen und umgesetzt wird, ich will, dass es nachvollziehbar und einleuchtend ist. Ich will, dass etwas gemacht wird, weil es nun einmal gemacht werden muss. Nach einem klaren und verständlichen Muster, mit einem eindeutig beschreibbaren Ziel. Ich habe keine Ahnung, ob und wie wir dahinkommen können. Wir werden doch nicht bei allen staatlichen Maßnahmen fragen können: „Ist das jetzt wie beim Tausch einer kaputten Rutsche?“
Mein Kaffee ist währenddessen kalt geworden, ich kippe den Rest weg. Der junge Mann da unten gibt etwas in sein Tablet ein, eine Art Abschlussbericht wird es sein, dann geht er. Bestimmt hat er heute noch mehrere Spielplätze vor sich. Bestimmt gibt es einen durchdachten Plan für das ganze Jahr und die ganze Stadt, was wann geprüft wird.
Ich gehe zurück an meinen Schreibtisch, ich klappe mein Notebook wieder auf. Jemand schreibt gerade auf Twitter, dass neuer Unsinn beschlossen wurde. Ich gebe ihm in Gedanken Recht, ich sehe das auch so. Aber es fühlt sich nicht gut an.
Die Wut
Ich bin selbstverständlich keine Ausnahme. Ich habe auch absurde Erlebnisse, ich habe auch eine Meinung, nein, mehrere sogar. Ich finde nicht alles richtig, ich finde auch nicht mehr alles logisch, schon lange nicht mehr. Nicht die Menschen, nicht die Maßnahmen. Es liegt daher nahe, eine wütende Kolumne schreiben. Das hier ist eine Gesellschaftskolumne, und die Wut ist ein Thema der Zeit, man kann es kaum noch übersehen oder überhören. Die Wut prägt die Wochen.In der Politik würde man eine Rede zu diesem Thema vielleicht so beginnen: „Aber lassen Sie mich zunächst Folgendes sagen …“ Dann würde man weit, weit vom Kern des Ganzen abkommen, um hintenrum ein Lieblingsthema im Vortrag unterzubringen. Genau das mache ich auch. Ich komme nach dieser Einleitung erst einmal absichtlich und ausschweifend vom Thema ab und am Schluss des Textes gucken wir dann, ob ich überhaupt wieder zurückfinde.
Eine Pause von all dem
Ich klappe mein Notebook also erst einmal wieder zu und atme durch. In den Tabs meines Browsers geht es mir zu hoch her, die Stimmung ist überall denkbar schlecht. Ich brauche eine Pause von all dem. Ich gehe in die Küche meiner Wohnung, dieser Text entsteht in den Zeiten des Home-Office, ich mache mir einen Kaffee. Ich stehe mit dem Becher in der Hand am Fenster und sehe hinaus. Ich möchte bitte dringend etwas sehen, das keine Meinung und keine Nachricht ist. Das, was da draußen ist, das ist echt, das ist unbestreitbar da, das ist die Wirklichkeit. Ab und zu finde ich das beruhigend. Unten liegt der Spielplatz, der ist zu dieser Stunde menschenleer. Die Kitas und Schulen laufen nach den Feiertagen wieder normal, an Werktagen ist auf den Spielplätzen der Stadt nicht mehr viel los. Nur ein junger Mann betritt gerade den Platz durch das große, eiserne Tor. Er hat kein Kind dabei und er geht auffällig zielstrebig, was macht der denn da? Ist er etwa einer von denen, die dort in die Büsche pinkeln? Muss ich mich doch schon wieder aufregen? Nein. Er geht zu einem der bunten Schaukeltierchen, die auf einer federnden Metallspirale in der Erde stecken, und tritt ohne weitere Umstände dagegen, als sei er nur dafür auf diesen Platz gekommen. Aber er tritt nicht wütend oder bockig. Er tritt auf eine seltsam sachliche Art, falls man sich ein sachliches Treten überhaupt vorstellen kann, und dann steht er da mit schräg gelegtem Kopf und guckt einen Moment zu, wie das Tierchen wackelt. Er bückt sich, er sieht sich die Metallspirale aus der Nähe an. Dann geht er zu dem kleinen Spielhaus, in das man nur hineingehen kann, wenn man dafür noch klein genug ist, und klopft auf das Holzdach. Er klopft auf eine Art, die man von Handwerkern kennt. Es ist ein kundiges Materialprüfungsklopfen, so pocht man gegen Wände, an denen es etwas zu arbeiten gibt. Der junge Mann nimmt ein Tablet aus seiner Umhängetasche und vermerkt darauf etwas. Dann geht er um das Spielhäuschen herum, besieht es sich von allen Seiten und klopft noch mehrmals hier und da. Danach geht er zur Schaukel und gibt ihr kurz Schwung. Er sieht ernst ihrem leeren Schaukeln zu und greift dann entschlossen in die Ketten, sieht sich die Glieder an. Dann die Schrauben, an denen der Sitz hängt, auch das Gestänge, das die Schaukeln hält.Ein Spielplatzprüfer
Das ist ein Mann von der Stadt, ich kenne diese Prozedur schon. Ein Spielplatzprüfer ist es, sicher gibt es eine genauere und offizielle Bezeichnung für ihn, aber die kenne ich nicht. Er kontrolliert alle Spielgeräte, und wie genau macht er das. Verantwortungsvoll, bemüht und konzentriert, man sieht das, sogar von oben. Er macht es nicht eilig, er macht es nicht lässig, er macht es, wie man es richtig macht, wenn man es beruflich macht. Ich möchte das jedenfalls gerne annehmen, ich möchte endlich einmal etwas gut finden, ich bin darin schon ganz aus der Übung. Der Mann klettert gerade das Klettergerüst hoch, sportlich ist er also auch, das sehe ich. Bei jedem Griff fühlt er einen Moment hin: Wackelt da etwas? Stimmt vielleicht etwas nicht? Er hat eine Checkliste, nehme ich an, er sieht sich alles nach einer festgelegten Reihenfolge an. Er prüft akribisch und nach vorgegebenen Kriterien, so wird es sein. Der Job ist nicht unwichtig, wenn man darüber nachdenkt, denn wenn etwa die Halterung der Schaukel eines Tages durchrostet, fliegt irgendwann ein Kind mit viel Schwung unerwartet weit und kommt dabei vermutlich zu Schaden. So etwas soll nicht passieren, deswegen ist er da. Da kann man auch mal als Zuschauer am Fenster stehen und freundlich nicken.Bei der Rutsche gefällt ihm etwas nicht. Er schüttelt den Kopf, er sieht genauer hin, er macht Fotos von einem Detail der Konstruktion. Dann telefoniert er. Ich kenne auch das schon aus den Vorjahren, ich weiß, was vermutlich bald passieren wird. Ein LKW wird in einigen Wochen kommen. Ein paar Männer mit Werkzeugen und Maschinen werden dabei sein. Sie werden die alte Rutsche abbauen und gegen eine neue tauschen. Es wird eine bessere Rutsche geben, die keinen Schaden hat und also keine Gefahr mehr darstellt. Vielleicht wird sie exakt so aussehen wie die alte Version, das kann sein. Aber sie wird doch besser sein, auch wenn das kein Kind bemerken wird. Die Jobs dieser Männer sind ebenfalls wichtig, auch sie haben Verantwortung. So eine Rutsche muss schon richtig stehen.
Korrekt eingerichtet
Eine durch und durch gute Sache, denke ich. Eine sinnvolle staatliche Aufgabe, ein Prozess, der einwandfrei funktioniert, soweit ich sehen kann, soweit ich es bisher erlebt habe. Nicht in allen Gesellschaften wird es so eine staatliche Vorsorge geben, aber in dieser hier. Das ist doch gut, das haben wir korrekt eingerichtet. So gehört das, so muss das sein. Jemand passt da auf, wo er aufpassen soll, jemand ergreift Maßnahmen, die sich bewährt haben und die vollkommen angemessen sind. Und niemand ist dagegen! Es wird am Nachmittag keine spontane Demo von Eltern geben, die gegen eine neue Rutsche sind. Der Tausch der Rutsche wird auch nicht in den sozialen Medien kritisch diskutiert werden, nehme ich an. Und in keiner Zeitung wird der Vorgang kämpferisch kommentiert werden, keine Lobbygruppe wird hinter den Kulissen versuchen, die alte Rutsche noch für fünf Übergangsjahre zu erhalten. Man ist sich gesellschaftlich einfach einig, dass kaputte Rutschen bald getauscht werden sollten.Meine Wut, so denke ich, ist gar nicht unbedingt gegen etwas. Es ist mir ohnehin in den letzten Monaten zu kompliziert geworden, gegen etwas zu sein, wo soll man da anfangen, das ist ein zu weites Feld. Nein, meine Wut will, dass der Staat und seine Einrichtungen so sind, wie es die Stadt bei diesen Spielplatzprüfungen ist. Unbedingt will meine Wut das und mit Nachdruck. Ich will es logisch finden, was beschlossen und umgesetzt wird, ich will, dass es nachvollziehbar und einleuchtend ist. Ich will, dass etwas gemacht wird, weil es nun einmal gemacht werden muss. Nach einem klaren und verständlichen Muster, mit einem eindeutig beschreibbaren Ziel. Ich habe keine Ahnung, ob und wie wir dahinkommen können. Wir werden doch nicht bei allen staatlichen Maßnahmen fragen können: „Ist das jetzt wie beim Tausch einer kaputten Rutsche?“
Weiterdenken
Obwohl es vielleicht gar nicht verkehrt wäre. Von den Rutschen aus immer weiterdenken. Kann man Konsens eskalieren?Mein Kaffee ist währenddessen kalt geworden, ich kippe den Rest weg. Der junge Mann da unten gibt etwas in sein Tablet ein, eine Art Abschlussbericht wird es sein, dann geht er. Bestimmt hat er heute noch mehrere Spielplätze vor sich. Bestimmt gibt es einen durchdachten Plan für das ganze Jahr und die ganze Stadt, was wann geprüft wird.
Ich gehe zurück an meinen Schreibtisch, ich klappe mein Notebook wieder auf. Jemand schreibt gerade auf Twitter, dass neuer Unsinn beschlossen wurde. Ich gebe ihm in Gedanken Recht, ich sehe das auch so. Aber es fühlt sich nicht gut an.
„Ausgesprochen …“
In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Maximilian Buddenbohm, Susi Bumms, Sineb El Masrar und Margarita Tsomou. Maximilian Buddenbohm berichtet in „Ausgesprochen … gesellig“ über das große Ganze, die Gesellschaft, und ihre kleinsten Einheiten: Familie, Freundschaften, Beziehungen.
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