Ausgesprochen … gesellig Manchmal passt es zusammen
Beim Einkaufen beobachtet Maximilian Buddenbohm etwas. Er weiß sofort, dass er reagieren muss. Was ist zu tun?
Von Maximilian Buddenbohm
Ich erzähle Ihnen, was vorhin passiert ist. Es ist nichts Großes, für manche wäre es vielleicht auch nur etwas Kleines.
Aber es beschäftigt mich doch immer noch, obwohl es jetzt, während ich davon berichte, schon ein paar Stunden her ist. Ja, es hat mich ziemlich aufgeregt, das gebe ich gleich zu. Was vor allem daran liegt, dass ich nicht so der Heldentyp bin. Ich bin eher der Texttyp, der Schreibtischmensch. Ich bin einer, der für körperbetonte Aktionen nicht recht in Betracht kommt und dazu meist auch keine Lust hat. Ich fühle mich vor Tastaturen oder vor Notizbüchern wohl, richtig wohl sogar, nicht aber vor Gegnern. Als Kind habe ich wie viele Jungs noch anders sein wollen, später habe ich mich damit abgefunden.
Ich gehe in den Supermarkt, ich treffe dort wie immer ein paar Menschen. Einige sind mir vollkommen fremd, die habe ich noch nie gesehen. Einige treffe ich fast jeden Tag dort, weil wir einen ähnlichen Rhythmus im Tagesablauf haben. Einige grüße ich, weil wir uns schon einmal irgendwo gesprochen haben oder weil wir Nachbarn sind. Mit einigen wenigen rede ich sogar, etwa mit dem Mann vom Sicherheitsdienst, der sehr nett ist. Einige sehen mich zum hundertsten Mal in diesem Laden und sehen dabei doch durch mich durch, ich also auch durch sie. Wir sind hier in Norddeutschland, das Kontaktbedürfnis ist in der Regel nicht allzu drängend ausgeprägt.
Ich bleibe stehen. Ich will das nicht sehen, aber was soll ich machen. Ich sehe es nun einmal. Es ist niemand sonst in der Nähe, in diesem Gang zwischen den Eiern und dem Zucker. Ich werde also auf unangenehme Weise zuständig, wer sollte es sonst sein. Ich kann nicht telefonieren, ich habe hier drin keinen Empfang, und das Personal darauf anzusprechen, das ist wohl abwegig. Ich bin also dran. Man darf Kinder nicht schlagen. Das denke ich erstens als Privatmeinung, das ist zweitens aber auch eine Rechtstatsache, das ist einfach so. Kinder dürfen nicht geschlagen werden. Kinder haben ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Erziehungsberechtigte müssen sich darum bemühen, und falls sie zur Gewalt neigen, brauchen sie Hilfe. So ist die Lage, daran gibt es keinen Zweifel.
Der Mann fährt herum und sieht mich an. Als sei ich nicht bei Trost, so in etwa guckt er, und es ist sicher auch das, was er in diesem Moment denkt. Dann schätzt er mich ein. Es ist dieser prüfende Blick, den man aus Prügelszenen zwischen männlichen Hauptdarstellern in Filmen kennt. Dieses Hoch- und Runtergucken. Wobei er bei mir natürlich nicht allzu hoch gucken muss, ich bin kein Riese, eher im Gegenteil. Dann kommt er näher, er kommt sogar viel näher. Ich wirke nicht beeindruckend, also kann er ruhig nahe rangehen, denkt er vermutlich. Er kommt unangenehm dicht, er gestikuliert vor meinem Gesicht herum, er sagt: "Das ist mein Kind. Und ich kann machen, was ich will, versteht du."
Ich sage, dass ich das nicht verstehe. Ich sage noch einmal, dass man Kinder nicht schlagen darf. Ich habe nur diese Botschaft, ich will überhaupt nicht weiter argumentieren. Der Mann lacht und bietet an, stattdessen gerne mich zu schlagen. Das war klar, denke ich.
Sein Kind ist währenddessen auf den Arm der Mutter gestiegen. Sie gehen alle drei einen Gang weiter, ich auch, in die andere Richtung. Aber er guckt noch, wie ich gucke, und das beruht auf Gegenseitigkeit. Wir vermeiden es, gleichzeitig in der Kassenschlange anzukommen. Er zahlt vor mir und geht dann, ohne vor dem Laden auf mich zu warten. Was mich auch nicht gewundert hätte. Es ist alles ziemlich albern, aber was soll ich machen? Soll ich ihn das Kind schlagen lassen? Ich lege nicht den geringsten Wert auf solche Erlebnisse, aber das Leben da draußen, es ist nun einmal so. Wenn man rausgeht, ist man im Risiko.
Leicht fand ich das nicht, dem Mann das zu sagen. Überwindung hat es mich gekostet. Und es hätte auch schiefgehen können. Und dennoch, denke ich, und dennoch. Manchmal muss man eben.
Man könnte hier einen Bezug zur aktuellen Nachrichtenlage herbeidenken, es wirkt vielleicht sogar naheliegend. Sie denken vielleicht, ich berichte nur deswegen. Aber ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich möchte ernsthaft niemanden belehren, auch nicht mit gleichnishaft wirkenden Geschichten. Ich schreibe tatsächlich nur auf, was um mich herum passiert; denn es passiert ja immer irgendetwas um einen herum. Und währenddessen kommen Meldungen im Radio.
Manchmal passt das zusammen, manchmal nicht.
Aber es beschäftigt mich doch immer noch, obwohl es jetzt, während ich davon berichte, schon ein paar Stunden her ist. Ja, es hat mich ziemlich aufgeregt, das gebe ich gleich zu. Was vor allem daran liegt, dass ich nicht so der Heldentyp bin. Ich bin eher der Texttyp, der Schreibtischmensch. Ich bin einer, der für körperbetonte Aktionen nicht recht in Betracht kommt und dazu meist auch keine Lust hat. Ich fühle mich vor Tastaturen oder vor Notizbüchern wohl, richtig wohl sogar, nicht aber vor Gegnern. Als Kind habe ich wie viele Jungs noch anders sein wollen, später habe ich mich damit abgefunden.
Einkaufen – wie jeden Tag
Ich gehe also zum Einkaufen, darum geht es. So wie ich es jeden Tag mache. Das Einkaufen ist seit zwei Jahren mein hauptsächlicher, mein fast ausschließlicher Außenweltkontakt. Mehr erlebe ich in der Regel nicht. Ich habe mich daran gewöhnt, ich finde es nicht schlimm. Andere vermissen sicher wesentlich mehr als ich.Ich gehe in den Supermarkt, ich treffe dort wie immer ein paar Menschen. Einige sind mir vollkommen fremd, die habe ich noch nie gesehen. Einige treffe ich fast jeden Tag dort, weil wir einen ähnlichen Rhythmus im Tagesablauf haben. Einige grüße ich, weil wir uns schon einmal irgendwo gesprochen haben oder weil wir Nachbarn sind. Mit einigen wenigen rede ich sogar, etwa mit dem Mann vom Sicherheitsdienst, der sehr nett ist. Einige sehen mich zum hundertsten Mal in diesem Laden und sehen dabei doch durch mich durch, ich also auch durch sie. Wir sind hier in Norddeutschland, das Kontaktbedürfnis ist in der Regel nicht allzu drängend ausgeprägt.
Ich will es nicht sehen
Einige grüßen mich so halb, mit einem nur angedeuteten Nicken. Es ist kaum zu sehen, es ist eher ein Zugeben, dass man sich öfter sieht, als eine Geste der Wiedersehensfreude. Ein Mann wird da hinten gerade vom Sicherheitsdienst beim Stehlen beobachtet, ich bekomme das am Rande mit. Einer fasst unnötigerweise viele frische Brötchen an und wird vom Personal laut ermahnt, das bitte sofort zu unterlassen. Eine lässt sich bei den Spirituosen etwas erklären und weiß nicht recht, welche von drei Flaschen sie nehmen soll. Eine fragt jemanden nach Mehl. Es gibt kein Mehl, es gibt schon seit Wochen kein Mehl, nicht einmal das Schild für Mehl ist noch da. Der frühere Regalplatz von Mehl wurde mit Zucker aufgefüllt. Niemand weiß, wann es hier wieder Mehl geben wird. Einer legt die letzten, stark reduzierten Ostersüßigkeiten in seinen Einkaufswagen, zwei, drei bunte Tütchen mit Schokoladeneiern sind es. Und einer schlägt gerade sein Kind.Ich bleibe stehen. Ich will das nicht sehen, aber was soll ich machen. Ich sehe es nun einmal. Es ist niemand sonst in der Nähe, in diesem Gang zwischen den Eiern und dem Zucker. Ich werde also auf unangenehme Weise zuständig, wer sollte es sonst sein. Ich kann nicht telefonieren, ich habe hier drin keinen Empfang, und das Personal darauf anzusprechen, das ist wohl abwegig. Ich bin also dran. Man darf Kinder nicht schlagen. Das denke ich erstens als Privatmeinung, das ist zweitens aber auch eine Rechtstatsache, das ist einfach so. Kinder dürfen nicht geschlagen werden. Kinder haben ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Erziehungsberechtigte müssen sich darum bemühen, und falls sie zur Gewalt neigen, brauchen sie Hilfe. So ist die Lage, daran gibt es keinen Zweifel.
Ich müsste cooler sein
Der Mann, der da sein Kind schlägt, ist erheblich größer als ich, er ist jünger und stärker, und er sieht nicht eben zugänglich aus. Er ist eher fortgeschritten schlecht gelaunt, es ist kaum zu übersehen. Mein Puls beschleunigt sich unangenehm. Das ist der Part, der in Filmen einfach besser funktioniert. Ich müsste cooler sein, denke ich. Viel, viel cooler. Aber ich bin nicht cool. Ich war es nie, es ist ein grundsätzlicher Makel an mir. Ich rege mich also leider auf und versuche nur mühsam, es nicht allzu deutlich zeigen. Ich bleibe stehen, ich weise den Mann darauf hin, dass man Kinder nicht schlagen darf. Ich versuche, es ruhig zu sagen.Der Mann fährt herum und sieht mich an. Als sei ich nicht bei Trost, so in etwa guckt er, und es ist sicher auch das, was er in diesem Moment denkt. Dann schätzt er mich ein. Es ist dieser prüfende Blick, den man aus Prügelszenen zwischen männlichen Hauptdarstellern in Filmen kennt. Dieses Hoch- und Runtergucken. Wobei er bei mir natürlich nicht allzu hoch gucken muss, ich bin kein Riese, eher im Gegenteil. Dann kommt er näher, er kommt sogar viel näher. Ich wirke nicht beeindruckend, also kann er ruhig nahe rangehen, denkt er vermutlich. Er kommt unangenehm dicht, er gestikuliert vor meinem Gesicht herum, er sagt: "Das ist mein Kind. Und ich kann machen, was ich will, versteht du."
Ich sage, dass ich das nicht verstehe. Ich sage noch einmal, dass man Kinder nicht schlagen darf. Ich habe nur diese Botschaft, ich will überhaupt nicht weiter argumentieren. Der Mann lacht und bietet an, stattdessen gerne mich zu schlagen. Das war klar, denke ich.
Es hat Überwindung gekostet
Ich bin jetzt einer, der anderen lästig wird. Ich bin auch einer von diesen Leuten, die andere öffentlich belehren, das wollte ich nie werden. Der Mann sagt zischend, ich solle doch einfach die Fresse halten. "Was geht dich das an? Was willst du von mir? Verpiss dich mal lieber!"Sein Kind ist währenddessen auf den Arm der Mutter gestiegen. Sie gehen alle drei einen Gang weiter, ich auch, in die andere Richtung. Aber er guckt noch, wie ich gucke, und das beruht auf Gegenseitigkeit. Wir vermeiden es, gleichzeitig in der Kassenschlange anzukommen. Er zahlt vor mir und geht dann, ohne vor dem Laden auf mich zu warten. Was mich auch nicht gewundert hätte. Es ist alles ziemlich albern, aber was soll ich machen? Soll ich ihn das Kind schlagen lassen? Ich lege nicht den geringsten Wert auf solche Erlebnisse, aber das Leben da draußen, es ist nun einmal so. Wenn man rausgeht, ist man im Risiko.
Leicht fand ich das nicht, dem Mann das zu sagen. Überwindung hat es mich gekostet. Und es hätte auch schiefgehen können. Und dennoch, denke ich, und dennoch. Manchmal muss man eben.
Man könnte hier einen Bezug zur aktuellen Nachrichtenlage herbeidenken, es wirkt vielleicht sogar naheliegend. Sie denken vielleicht, ich berichte nur deswegen. Aber ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich möchte ernsthaft niemanden belehren, auch nicht mit gleichnishaft wirkenden Geschichten. Ich schreibe tatsächlich nur auf, was um mich herum passiert; denn es passiert ja immer irgendetwas um einen herum. Und währenddessen kommen Meldungen im Radio.
Manchmal passt das zusammen, manchmal nicht.
„Ausgesprochen …“
In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Maximilian Buddenbohm, Susi Bumms, Sineb El Masrar und Marie Leão. Maximilian Buddenbohm berichtet in „Ausgesprochen … gesellig“ über das große Ganze, die Gesellschaft, und ihre kleinsten Einheiten: Familie, Freundschaften, Beziehungen.
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