Anspruchsvolle TV-Serien gelten als eines der interessantesten Erzähl-Formate der Gegenwart. Führend sind US-amerikanische Produktionen, inzwischen investieren aber auch viele europäische Fernsehsender in das Genre. Deutschland tat sich bislang schwer. Das soll sich nun ändern.
Das Fernsehen erfindet sich neu – nur in Deutschland nicht. So lässt sich eine Debatte in aller Kürze zusammenfassen, die nun schon seit Jahren unter Zuschauer*innen, Fernsehkritiker*innen, Journalist*innen und TV-Redakteur*innen des Landes geführt wird. Streitpunkt ist das Genre Qualitäts- oder High-End-Serie. Als Hauptmerkmale gelten eine aufwändige Produktion auf Kino-Niveau, erstklassige Schauspieler, hohe Komplexität und eine episodenübergreifende, sogenannte „horziontale“ Erzählweise.
Lange zählten zu den wichtigsten Vertretern des Formats vor allem US-amerikanische Produktionen wie Breaking Bad, Mad Men oder Homeland. Nach und nach investierten auch viele europäische TV-Sender in anspruchsvolle Serienproduktionen. Doch das deutsche Fernsehen tat sich schwer mit dem Genre. Während immer größere Teile der deutschen Mittelschicht begeistert ausländische Qualitätsserien konsumierten, zeigten deutsche Sender wenig Interesse, selbst in das Format zu investieren.
Publikum, Journalisten und Kreative machen hierfür die Fernsehsender verantwortlich, insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF. Der Hauptkritikpunkt: Statt auf Qualität setze man auf Masse, als Erfolg gilt lediglich eine Produktion mit hoher Einschaltquote. Dabei seien ARD und ZDF aufgrund der in Deutschland verpflichtenden Rundfunkgebühr eigentlich unabhängig von der Einschaltquote – anders als die deutsche Privatsender, die ihr gebührenfreies Angebot über Werbeeinnahmen finanzieren und deshalb für den Massenmarkt produzieren müssen.
Doch welche Kriterien führen letztlich zum Begriff der Qualitätsserien? „Die Qualitätsserie ist für mich eher ein Kampfbegriff als eine wissenschaftlich zu legitimierende Kategorie“, sagt Dietrich Leder, Professor für Dokumentarfilm, fiktionale Formen und Unterhaltung an der Kunsthochschule für Medien Köln. „Im Augenblick haben wir die Situation, dass Qualität vor allem über die hohe Aufmerksamkeit auf Rezipientenseite definiert wird.“ Aber das sei eben nur ein mögliches von vielen anderen Merkmalen. Leders Kollege Lothar Mikos, Professor für Fernsehwissenschaft an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, drückt es so aus: „Deutsche Sender produzieren eine Vielzahl sehr erfolgreicher Serien für alle möglichen Zielgruppen – Reality-TV, leicht erzählte Komödien oder Krimi-Klassiker wie den Tatort. Das muss man auch wertschätzen.“
Dies ist auch die Position der öffentlich-rechtlichen Sender, die sich nach wie vor gegen den Vorwurf mangelnder Qualität wehren. Würde man reine Nischenprogramme für ein kleines, anspruchsvolles Publikum produzieren, wäre man sofort mit der nächsten Debatte konfrontiert, so ARD-Chef Volker Herres Anfang 2014 gegenüber dem Magazin brandeins: Man müsse sich dann dem Vorwurf, warum alle Bürger Beiträge für ein System zahlen müssen, „das von einem Großteil der Bevölkerung gar nicht genutzt wird?“
Neue deutsche Qualitätsserien
Dennoch wird es für deutsche Sender zunehmend interessant, sich an das bislang gemiedene, aufwendig produzierte Serienformat für ein anspruchsvolles Nischenpublikum heranzuwagen. „Inzwischen investieren eigentlich alle großen deutschen TV-Sender in Qualitätsserien“, sagt Timo Gößler, Leiter der Studienvertiefung Serial Writing and Producing an der Filmuniversität Babelsberg. Einen ersten Hinweis gaben die Berliner Filmfestspiele 2015. Dort hatte Deutschland 83, ein achtteiliger Spionage-Krimi über einen DDR-Spion im Westdeutschland des Kalten Krieges, Premiere und wurde als erste deutsche Serie überhaupt von einem US-amerikanischen TV-Sender gekauft. Die New York Times lobte die Serie überschwänglich, sogar ein Vergleich mit House of Cards wurde gezogen.
Deutschland 83 wurde im Sommer 2015 vom privaten Sender RTL ausgestrahlt. Im Januar 2016 zeigte das ZDF die Serie Morgen hör ich auf. Die Geschichte eines verzweifelten Familienvaters, der zum Falschgelddrucker wird, wurde als deutsches Breaking Bad angekündigt. Ebenfalls im Januar 2016 war im Ersten Deutschen Fernsehen das sechsteilige Politdrama Die Stadt und die Macht zu sehen, das mit House of Cards verglichen wurde. Als besonders vielversprechend gilt Babylon Berlin, eine Gemeinschaftsproduktion der ARD und des Pay-TV-Senders Sky, die 2017 ausgestrahlt werden soll. Die Serie unter der Regie von Tom Tykwer erzählt Kriminalfälle aus dem Berliner der 1920er-Jahre.
Nicht-lineares Fernsehen
Was sind die Gründe für die neue Serienoffensive der deutschen Sender? „Es geht zum einen um die Erschließung eines internationalen Marktes. Und zum anderen buchstäblich um die Zukunft des Fernsehens“, so Timo Gößler. Die Rede ist von einer zeitungebundenen, nicht-linearen Form des Fernsehens, die sich besonders durch den Konsum von Qualitätsserien etabliert hat. Statt auf feste Sendetermine zu warten, konsumiert man die horizontal erzählten Episoden direkt hintereinander, oft eine ganze Staffel an einem Wochenende. Bis vor kurzem waren DVD oder Blueray das bevorzugte Medium, inzwischen nutzen immer mehr Menschen Streaming-Angebote im Internet– entweder sendereigene Mediatheken oder kommerzielle Angebote wie Netflix, das seit 2014 auch für das deutsche Publikum zur Verfügung steht.
Was bedeutet dies nun für die aktuellen deutschen Produktionen? „Ganz entscheidend wird sein, ob es die Sender schaffen, sich vom klassischen Quotendenken zu verabschieden und sich für neue Formate und Strategien zu öffnen“, so Timo Gößler. „Das ist ein Lernprozess, der vor allem für die Sender nicht einfach ist.“ Als das international hochgelobte Deutschland 83 die erhofften Quoten im deutschen Fernsehen nicht einmal im Ansatz erreichte, fragte der Produzent auf Facebook: „Was lief schief?“ „Die Serie war gut“, antworteten viele, „aber wer schaltet denn dazu noch den Fernseher ein.“
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