Ausgesprochen … posthuman  Achtung, die Supermenschen kommen!

Superbaby
Niemand ist perfekt – oder doch?! Foto (Detail): Valeria Zoncoll © Unsplash

Die ersten genveränderten Babys leben unter uns. In der Kolumne „Ausgesprochen … posthuman“ macht sich Liwen Qin Sorgen über die Auswirkungen auf die Menschheit.

Gesünder, klüger, stärker sein, länger leben und sogar über Zauberkräfte verfügen – wer würde das nicht wollen? Angefangen von Thetis, die ihren Sohn Achilles in den  Fluss Styx tauchte, um ihn unverwundbar zu machen, bis zum chinesischen König der Affen, der nach der Legende Pfirsiche aus dem Obstgarten des Himmelskaisers stahl, um unsterblich zu werden: Der Wunsch, ein übermenschliches Wesen zu werden, zieht sich als wiederkehrendes Motiv durch sämtliche Mythologien der Welt. Mit Hilfe der Genforschung kommt der Mensch diesem lang gehegten Traum immer näher. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass schnelles Handeln vonnöten ist, um die immer skrupellosere Vorgehensweise auf diesem Gebiet zu reglementieren.

Ein lang gehegter Traum rückt in greifbare Nähe

Das Genom eines Menschen so zu verändern, dass diese Veränderung vererbbar ist, wird als Forschung an der menschlichen Keimbahn bezeichnet; sprich: Die Gene werden innerhalb der Keimzellen oder der Fortpflanzungszellen, also Ei- oder Spermazellen, verändert. Die momentan angewendete Technik CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) hat sich bereits als hilfreich bei der gentechnischen Behandlung von Krankheiten erwiesen. Diese Methode auch zu Fortpflanzungszwecken einzusetzen, ist jedoch sehr riskant, da wir noch relativ wenig darüber wissen, wie die einzelnen Gene im Lauf der Zeit mit den anderen Genen interagieren und welche Auswirkungen eine solche Veränderung auf die Entwicklung eines Babys hat.

Riskante Forschungen

Obwohl sich die internationale Wissenschaft  darüber einig ist, nicht in das Genmaterial von Menschen einzugreifen zu verbieten, ist der Widerspruch gegen eine solche Praxis eher gering. So hat Japan erst im vergangenen September Richtlinien erlassen, die theoretisch einschränken, dass menschliche Embryonen manipuliert werden dürfen. Diese Vorschriften sind jedoch nicht rechtsverbindlich, und das ist auch in vielen anderen Ländern – darunter auch die USA und China – der Fall.

China schafft vollendete Tatsachen

Wie dringend eine Diskussion über gentechnisch veränderte Menschen ist, wurde im vergangenen November klar. Damals hatte der chinesische Wissenschaftler He Jiankui bekannt gegeben, in das Erbgut eines Zwillingspärchens eingegriffen zu haben, um dieses vor einem HIV-Virus zu schützen, der beim Vater der Babys vorliegt. Dies ist der erste Fall in der Geschichte der Menschheit, in dem das Erbgut menschlicher Säuglinge verändert wurde. Um die Zwillinge gegen das HIV-Virus immun zu machen, hat He ein Gen namens CCR5 eliminiert. Dieses Gen macht nicht nur Mäuse schlauer, sondern hilft auch dem menschlichen Gehirn, sich nach einem Schlaganfall zu erholen und ist offenbar auch notwendig für eine erfolgreiche Schullaufbahn.

Die Büchse der Pandora ist offen

Das Entsetzen in der gesamten Wissenschaftswelt war groß, auch in Chinas. He darf fortan keine Forschung mehr betreiben und hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Allerdings wurde mit seinem Werk die Büchse der Pandora geöffnet. Welche Strafe würde He bekommen, wenn die Zwillinge aufgrund ihres veränderten Erbguts eine einzigartige unheilbare Krankheit bekämen?

Und was ist mit dem Wissenschaftskollegium, das Hes Arbeit unterstützt hat, indem es von Anfang über seine Machenschaften schwieg? Was ist, wenn er seinen Kolleginnen und Kollegen gar ein Vorbild ist und diese nun in die Fußstapfen von „Dr. Frankenstein“ treten wollen, um weitere übermenschliche Wesen zu erschaffen? Und wie würden sich diese von ihnen kreierten Wesen auf den menschlichen Genpool auswirken?

Aufgrund der schwammigen Rechtslage in diesem Bereich können wir darauf zum jetzigen Zeitpunkt kaum Antworten geben, obwohl diese dringend nötig wären. Regierungen in aller Welt müssen ausgereiftere und strengere Gesetze vorlegen, um solchen skrupellosen Experimenten einen Riegel vorzuschieben und um die Zukunft der Spezies Mensch nicht zu gefährden. Es geht nicht darum, sich aus diffusen Ängsten heraus gegen Innovationen aufzulehnen, sondern zu verhindern, dass dafür Menschenleben als notwendige Opfer betrachtet werden. Kurz, wir müssen die Menschheit vor der Ankunft der Supermenschen beschützen.

 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Liwen Qin, Maximilian Buddenbohm, Dominic Otiang’a und Gerasimos Bekas. Liwen Qin beobachtet in „Ausgesprochen … posthuman“ den technischen Fortschritt und wie er unser Leben und unsere Gesellschaft beeinflusst: im Auto, im Büro und an der Supermarktkasse.