Golfregion

Jul. 2020

Corona-Spezial  6 min Was kommt nach der Pandemie? Die Golfländer unter Innovationsdruck

Bild der Sagadril-1 Bohrinsel, Corniche Abu Dhabi
Sagadril-1 Bohrinsel, Corniche Abu Dhabi ©Guilhem Vellut, CC BY 2.0 via flickr.com

In den vergangenen Jahren haben die Golfstaaten ambitionierte Reformpläne vorgelegt, um ihre Wirtschaftssysteme in die Zukunft zu befördern. Angesichts der fast völligen Abhängigkeit von Öleinnahmen besteht höchste Dringlichkeit, wirtschaftliche Diversifikation, Innovation und einheimisches Talent zu fördern. In der Corona-Krise sind viele Probleme noch gravierender – eine Gelegenheit, Bilanz zum Fortschritt der Golfstaaten auf ihrem Pfad der Innovation zu ziehen.

Innovation steht nicht erst seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie ganz oben auf der To-do-Liste vieler Regierungen. Die Förderung von Innovation kann das Wirtschaftswachstum stärken und Lösungen für die einzigartigen Herausforderungen der Gegenwart liefern. Die Staaten des Golf-Kooperationsrat liegen hier trotz ihres Ölreichtums im Rückstand. Sie setzen nach wie vor auf die Ausbeutung ihrer Bodenschätze, den Import von Produkten, Leistungen und Wissen, und auf Arbeitskräfte aus dem Ausland. Als sogenannte „Rentierstaaten“ haben sie es sich bislang erlauben können, die eigene Innovationsfähigkeit und Produktivität zu vernachlässigen. Mit dem Schwinden der Ölreserven ist eine radikale Kursänderung jedoch dringend erforderlich um ein stabiles Fundament für die Zukunft der Länder zu schaffen. Die Corona-Krise erinnert an diese unbequeme Realität.

Unter dem Einfluss der Pandemie haben sich die sozioökonomischen Probleme der Golfregion verschärft, besonders infolge des dramatischen Einfalls der Ölpreise seit Januar um gut die Hälfte, auf 30 USD pro Barrel. Wirtschaften und Unternehmen auf der ganzen Welt sind bedroht und ringen ums Überleben. Auch im Golf haben viele ausländische Arbeitskräfte ihre Arbeit verloren und bleiben gestrandet zurück.

Die Pandemie hat die Golfländer gezwungen, ihre Grenzen für Arbeitsmigration und Tourismus gleichermaßen zu schließen und es wird erwartet, dass die Auswirkungen der Krise noch mindestens 18 Monate anhalten. Für eine Region, die von mangelnder Innovation, Bürokratie und politischer Willkür geplagt ist, wäre es fatal jetzt nicht die Gelegenheit zu ergreifen, um mit Reformen und Maßnahmen zur Diversifikation der Wirtschaft vorzupreschen.

Obwohl alle Golfländer dahingehend beeindruckende Pläne vorgelegt haben, werden ihre Erfolge am Ende an der tatsächlichen Umsetzung von Projekten und dem Ausbau von Infrastruktur gemessen. Wo stehen die Staaten in ihrem Innovationsstreben heute?

Forschung und Entwicklung

Die Länder des Golfkooperationsrats bleiben bei der Förderung von Forschung und Entwicklung (F+E) hinter vielen Teilen der Welt zurück. Ihr Schwerpunkt liegt weiterhin eher auf dem Import von Experten und Technologie als auf der Entwicklung lokaler Expertise. Schon die Rahmenbedingungen für F+E sind schwierig: gesetzlichen Schutz für geistiges Eigentum gibt es in den Golfländern nicht. Dabei zeigt ein neuer Bericht, dass schon eine einprozentige Erhöhung von F+E die Wirtschaft im Golf um 0,6 bis 2,2 Prozent wachsen lassen könnte.

Die beiden politischen Rivalen Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und Katar haben vor ihren regionalen Nachbarn einen Vorsprung. Ihre „unternehmerischen Ökosysteme“ – definiert durch Denkweisen, Ressourcen und Infrastruktur – nehmen höhere Ränge im Global Entrepreneurship Index des World Economic Forums ein. Neben einer konsequenten Förderung von Innovation und Unternehmertum unter Bürgern und Anwohnern investieren die VAE zum Beispiel auch in künstliche Intelligenz und Weltraumforschung. Eines ihrer bedeutendsten Programme ist die Hope Mars Mission. Die VAE sind außerdem Standort des ersten Atomkraftwerks der arabischen Welt.

Kuwait und Bahrain, die eine junge und politisch recht aktive Bevölkerung haben, sind bemüht, heimische Innovation zu fördern. Dennoch sind die Budgets für F+E dort gering. Mit Blick auf die sinkenden Einnahmen aus Ölexporten strengen beide Länder die Hilfe des Privatsektors an, um das Beste aus ihrer Jugend herauszuholen und ihre Wirtschaften anzukurbeln. Bahrain hat im Rahmen seines Vision 2030 Reformplans „Tamkeen“ eine Unternehmenssteuer basierend auf der Anzahl ausländischer Angestellter eingeführt; konkret erhalten Unternehmen, die eine höhere Anzahl bahrainischer Staatsbürger anstellen, steuerliche Vorteile. Bislang ist es schwierig zu erfassen, wie erfolgreich dieses Programm ist. Kuwait fehlt es gar an einem zentralisierten Datenerfassungssystem aus dem hervorgeht, welche Fortschritte das Land gemacht hat – oder auch nicht.

Oman hat große Mühe, sein Staatsbudget einzuhalten und Schulden zu senken. Auch in Sachen Innovation und Unternehmertum wird das Land von den VAE, Katar, Bahrain und Kuwait abgehängt. Allerdings hat Oman seine Kooperation mit China intensiviert, an das es vor kurzem 49 Prozent seines staatseigenen Elektrizitätsunternehmens verkauft hat. Im Vergleich zu den anderen Golfstaaten verfügt Oman auch über landwirtschaftliche Potenziale, die ihm eine höhere Lebensmittelsicherheit gewährleisten. Beinahe die Hälfte der Bevölkerung in Oman ist unter 25 Jahre alt, was eine starke Basis für Kreativität und Innovation bieten könnte. Nichtsdestotrotz wurde bislang eher auf traditionelle Stimuli für die Wirtschaft gesetzt, um Jobs im öffentlichen Sektor zu schaffen und Arbeitskraft zu nationalisieren. Omans große Potenziale für den Ökotourismus, zum Beispiel, wurden bislang nicht ausgenutzt.

Groß, aber nicht oho

Das Königreich Saudi-Arabien hat erst 2015 damit begonnen, wirtschaftliche und soziale Reformen einzuleiten und so mancher munkelt, das sei zu wenig, zu spät gewesen. Einerseits konzentriert sich Saudi-Arabien darauf, seine Unterhaltungsindustrie zu fördern und sich einen Namen als touristisches Reiseziel zu machen. Dieser Ansatz hat sich immerhin für die VAE bewährt. Andererseits vernachlässigt es Projekte, die dem Land helfen könnten, seiner selbst zugeschriebenen Führungsrolle in der arabischen Welt gerecht zu werden: beispielsweise in den Bereichen Solarenergie und landwirtschaftliche Entwicklung jeweils zur Verbesserung von Energieeffizienz und Kostensenkung für Nahrungsmittelimporte. Immerhin sind dies zwei der bedeutendsten Problematiken nicht für das Königreich, sondern die Golfregion insgesamt. Aber solche lösungsorientierten Projekte sind nur möglich, wenn F+E endlich eine zentrale Rolle in der saudischen Agenda und im Golf zugesprochen wird.

Bis jetzt hat Saudi-Arabien, die größte Wirtschaft des Nahen Ostens, nur wenige ernsthafte Schritte in diese Richtung unternommen. Es scheint, der politische Wille, wirklich tiefgreifende strukturelle Reformen einzuleiten, ist noch nicht vorhanden. Neben Tourismus und Unterhaltung hat das Land einen weiteren Schwerpunkt auf den Börsengang des staatlichen Ölunternehmens Saudi Aramco gelegt, der zur Finanzierung für ein Großprojekt dienen soll: Neom, eine 500-Milliarden-Dollar „Smart City“ in den Grenzregionen mit Ägypten und Jordanien am Roten Meer. Doch immer wieder steht das Projekt vor Herausforderungen, wie zuletzt dem Widerstand einer saudischer Stammesgemeinde, die auf dem verplanten Gebiet schon seit Jahrzehnten lebt.

Alles in allem ist der Weg des Königreichs zu den Zielen seines Reformplans Vision 2030, der einst als unaufhaltbar gepriesen wurde, holprig verlaufen. Erst kürzlich kündigte die Regierung Kürzungen bei den geplanten Projektmitteln um 100 Milliarden Riyal an. Auch andere Ausgaben sind vorerst auf Eis gelegt. Einige Maßnahmen, die Saudi-Arabien bereits in die Wege geleitet hat, sind sehr umstritten, wie die Verdreifachung der Mehrwertsteuer auf 15 Prozent.

Spaltung statt Einigkeit

Neben Coronavirus und Ölpreiskollaps hat auch der verheerende Krieg, den Saudi-Arabien in Jemen führt, den Wirtschaften der Golfregion auf heftigste zugesetzt. Regionale Spannungen, vor allem mit Katar, destabilisieren zusätzlich die Lage und machen die Länder des Golfkooperationsrats anfällig für Schwächen in Wirtschaft und Sicherheit.

Im Jahr 2017 verhängte Saudi-Arabien mit Unterstützung der VAE, Bahrain und mehrerer anderer Regierungen eine Blockade über Katar. Bis heute haben die beiden Gegner keine gemeinsame Basis finden können. Infolge der diplomatischen Krise entwickelte Katar eine politische und wirtschaftliche Allianz mit Saudi-Arabiens Rivalen Türkei und Iran, um seinen regionalen Einfluss auszubauen. Trotz des politischen Bruchs zwischen Katar und seinen Nachbarn und allseitigem Misstrauen koordinieren die Golfstaaten nach wie vor regelmäßig mit der katarischen Delegation.

Katar hat in den letzten Jahren eine Reihe von Initiativen unter seinem Flaggschiff Qatar Business Incubation Center (QBIC) gestartet, um Unternehmertum, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, zu unterstützen. Auch startete es Silatech, eine Initiative zur Förderung jungen Talents in verschiedenen arabischen Ländern. Seit Beginn der Krise 2017 ist es schwierig zu beurteilen, wie wirksam der Beitrag Silatechs für unternehmerische Ökosysteme in der MENA-Region ist.

Die Staaten des Golfkooperationsrats teilen viele Probleme, für die Technologie und Innovation letzten Endes Lösungen bieten können: Wasserknappheit, Nahrungsmittelunsicherheit, Abhängigkeit vom Import so gut wie aller Produkte und Dienstleistungen, dahinschwindende Ölreserven, hoher Energieverbrauch und viele mehr. Auch wenn angesichts solch dramatischer Probleme Kooperation ratsam wäre, so ist doch zu befürchten, dass in Zukunft jedes Land für sich aggressiv um Investitionen buhlt, einheimisches Talent fördert und um das Überleben seines wirtschaftlichen und politischen Systems kämpft. Sieht man sich den Fortschritt jedes einzelnen Golfstaats auf dem Pfad der Innovation an, so bleibt abzuwarten, wer diese zerbrechliche Einheit in die Zukunft führen wird.

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