Bahrein

Dez. 2020

Corona-Spezial  4 min Vertrauen in Wissenschaft und Fakten: Bahrains Impfstoff gegen Fake News

Bild eines Manns mit Tablet, auf dem ein Artikel mit der Überschrift "Fake News" zu sehen ist ©memyselfaneye via Pixabay

In Pandemien wie in Kriegen ist die Wahrheit meist das erste Opfer. Über Jahrhunderte hat die Welt zahlreiche Epidemien und Pandemien erlebt, aber noch nie inmitten eines Tsunamis an Falschinformationen und Verschwörungstheorien, wie wir ihn derzeit bei der COVID-19-Pandemie beobachten.

In Pandemien wie in Kriegen ist die Wahrheit meist das erste Opfer. Über Jahrhunderte hat die Welt zahlreiche Epidemien und Pandemien erlebt, aber noch nie inmitten eines Tsunamis an Falschinformationen und Verschwörungstheorien, wie er uns derzeit inmitten der COVID-19-Pandemie über die sozialen Medien und Nachrichten-Apps überrollt.

In der heutigen Kommunikationsflut, die durch die revolutionäre Integration von Bild, Audio, Video und Text in Nachrichten ermöglicht wurde, ist es oft schwer zu entscheiden, was wahr und was erlogen ist. Berichte, die erst einmal glaubwürdig und reizvoll klingen, aber falsch oder vereinfacht sind, werden als Tatsachen verkauft und von Empfänger*innen schnell und unbedacht über Länder und Kontinente hinaus geteilt. Fake News haben die Macht, Meinungen zu beeinflussen, Erwartungen zu erschüttern und ganze Gesellschaften zu verwirren.

Das Ausmaß falscher oder irreführender Informationen über COVID-19 und deren alarmierende Wirkung fanden ihren Ausdruck in der Wortneuschöpfung „Infodemie“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Eine solche Infodemie ist nicht nur schwer zu kontrollieren – sie unterläuft auch jegliche Mühen, die eigentliche Virusepidemie einzudämmen.

Krankheit, Angst und Falschinformationen sind eine wirkmächtige Kombination. Im Laufe seiner Geschichte fand der Mensch stets etwas oder jemanden, dem er sein Leid zuschreiben konnte, von Zauberei und „Bösem Blick“ über Teufel und Geister bis hin zum Zorn der Götter. Krankheiten raffen meist unschuldige Opfer dahin und so ist es auch bei Anschuldigungen, die auf Des- und Falschinformation basieren: Vermeintlich Schuldige werden ins Visier genommen, isoliert, vertrieben oder gar umgebracht.

Sündenbock-Erzählungen werden aus politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Motiven von Individuen, Gruppen oder Institutionen zusammengebraut und gegen Juden, Christen, Muslime, Frauen, Schwarze, Asiaten, Minderheiten, Leprakranke, Bettler, Reisende, Ausländer oder wer sonst zweckdienlich erscheint eingesetzt. Wenn die Menschheit auch schon viele Mängel erleiden musste – einen Mangel an absichtlich oder unabsichtlich verbreiteten Falschnachrichten hast es nie gegeben.

Die Ziele von Desinformation sind bis heute die gleichen geblieben; nur das Narrativ verändert sich im Sinne des Zeitgeschehens. In seinem Buch An Epidemic of Rumors (Eine Epidemie der Gerüchte) von 2014 schreibt Jon D. Lee, dass „Narrative von einer Krankheitswelle zur nächsten recycelt werden. Dabei werden nicht etwa die Themen modifiziert, sondern nur die spezifischen Details, die notwendig sind, um eine Verbindung zur aktuellen Situation herzustellen“.

„Kreativität“ mit bösartiger Intention

Desaster und Krisen verursachen großen Schmerz und Leid, oft begleitet von erheblichen materiellen und finanziellen Schäden. Kreativität, Ideen und Humor können den Menschen durch solche schwierigen Zeiten helfen. Doch manche leiten ihre kreativen Energien in destruktive Bahnen, indem sie provokative Geschichten und Theorien fabrizieren oder Fotos manipulieren und dadurch die Gemüter zusätzlich erhitzen.

Hinter derartigen Fabrikationen können egoistische und bösartige Intentionen stecken, wie die Befeuerung bestimmter Narrative oder der Wille, von Krisen, Angst und Unsicherheit zu profitieren. Doch auch irregeleitete oder unreflektierte Vorstellungen von Spaß können die Motivation sein.

Der exponentielle Wandel moderner Technologien, die die Welt zu einem angeblich besseren Ort sollen, hat die Schaffung von Fake News zu einem leichten Unterfangen mit bemerkenswerten Ergebnissen und enormen Einfluss gemacht. Bisweilen können ganze Paralleluniversen von Ideen, die die wahren Tatsachen überschatten oder die Interpretation dieser Tatsachen lenken, erschaffen werden.

In den ersten Monaten des Jahrs 2020, als das Bewusstsein der Welt für die Gefahr von COVID-19 erwachte, wurden die Menschen mit Nachrichten geradezu bombardiert: Sie kamen sowohl aus dem Inneren ihrer persönlichen Netzwerke – von Verwandten, Freunden, Kollegen oder Nachbarn – als auch aus externen Quellen – von Ärzten, der Regierung, Experten oder Prominenten. Informationen waren nicht länger hilfreich, sondern wurden zu einem Dschungel, in dem man sich leicht verirren konnte.

Bahrain vs. Fake News

Die meisten Länder und Regierungen – bis auf jene, die Falschnachrichten als passend für die eigene Propaganda ansahen – realisierten in jener Zeit, dass ein wichtiger Bestandteil des Kampfs gegen den Virus darin bestand, die Lawine von Fehlinformationen aufzuhalten. Denn nur wenn die Menschen sich aufgeklärt verhielten, konnte die Ausbreitung verlangsamt werden bis ein Impfstoff gefunden wurde.

Bahrain, eine nur 765 Quadratkilometer große Insel mit der sechsthöchsten Bevölkerungsdichte der Welt, teilte diese Einsicht. Die starke Affinität zu Internet und sozialen Medien (99 Prozent Internetdurchdringung und 84 Prozent Durchdringung sozialer Medien) in einer Bevölkerung, die auf dichtestem Raum zusammenlebt, barg ein hohes Risiko viraler und digitaler Ansteckungsgefahr in sich.

Der überwiegende Teil von Falschinformationen erreichte die Menschen Bahrains über WhatsApp, den beliebtesten Messenger im Land. Einige dieser Nachrichten schöpften von politischen oder sektiererischen Konflikten, die den Nahen Osten schon seit längerer Zeit beherrschten.

Die besorgniserregendsten Nachrichten verbreiteten sich ab dem 26. Februar, zwei Tage nachdem der erste Fall von Coronavirus im Land – ein aus dem Iran zurückgekehrter bahrainischer Pilger – entdeckt worden war. Sie kritisierten Bürger*innen, die in den Iran reisten, und warfen ihnen vor, die Krankheit einzuschleppen und Bahrain zu gefährden. Laut der Polizei hatten Nachrichten von dreißig Accounts sektiererische Zwischentöne.

Kronprinz Salman bin Hamad Al-Khalifa setzte seine Rhetorik zum Entschärfen der von Angst und Unverständnis genährten Spannungen im Land ein. Er rief zu nationaler Einheit auf und betonte, dass „COVID-19 nicht auf Grundlage von Hautfarbe, Ethnie, Religion oder Gesellschaftsschicht diskriminiert“.

Dennoch versuchten einige Nachrichten Empfänger*innen mit rassistischen Argumenten in die Irre zu führen und ihr Verhalten zu steuern. In einer wurde beispielsweise behauptet, COVID-19 Fälle seien in der Dragon City, einem riesigen Einkaufskomplex in chinesischem Stil, entdeckt worden und die Polizei habe dort Razzien in Läden für Accessoires, Wohnungseinrichtung und Nahrungsmittel durchgeführt.

In einem anderen Fall zirkulierte in den sozialen Medien die Falschnachricht, dass mit COVID-19 infizierte Personen aus Quarantänezentren geflohen seien und sich nun frei auf den Straßen bewegten. Ein anderes Gerücht, das jedoch schnell vom Nationalinstitut für Menschenrechte bei einem Besuch vor Ort widerlegt wurde, sprach von Erkrankungen in Gefängnissen.

Die Polizei verhaftete eine Person, die im Internet behauptete, COVID-19 wäre nur eine einzige große Lüge, die man erfunden hätte, um den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Auch eine bekannte Sängerin kam mit dem Gesetz in Konflikt, als sie über WhatsApp Panik über die angebliche Infizierung von Restaurantlieferboten verbreitete.

Schließlich gab es da noch jene Nachrichten, die die Existenz „glaubhafter geheimer Berichte“ über den Ursprung des Virus und Gegenmittel postulierten.

Ein Land hält zusammen

Schon im frühen Februar setzte Bahrain eine interministerielle Ad-hoc-Taskforce ein, um sich mit der Ausbreitung und den Auswirkungen von COVID-19 zu beschäftigen. Ihre Strategie beinhaltete auch eine wesentliche Medienkomponente. Neben ihren praktischen Bemühungen, die Bevölkerung vor dem Virus zu schützen, war die Arbeitsgruppe damit betraut, die von Falschinformationen ausgehende Gefahr zu bekämpfen.

Sie warnte die Menschen vor falschen oder irreführenden Behauptungen von Ruhmbegierigen, Verschwörungstheoretikern und selbsternannten Alleswissern und verwies stattdessen auf vertrauensvolle Quellen. So wurde zum Beispiel eine Hotline in sieben Sprachen eingerichtet, um Bahrains 1,7 Millionen Einwohner*innen aus 140 Ländern mit verlässlichen Informationen zu versorgen.

In regelmäßigen Pressekonferenzen hielt die Taskforce die Bevölkerung auf dem Laufenden, klärte Fragen und warb für das Verantwortungsbewusstsein aller, Falschinformationen, Gerüchten und Verschwörungstheorien keine Chance zu geben. Schließlich startete BeAware, eine multilinguale Aufklärungskampagne, die im März mit einer App zur Kontaktverfolgung verlinkt wurde. Die WHO lobte die Bemühungen Bahrains, auch wenn manche Stimmen sich besorgt über die Eingriffe der App in die Privatsphäre äußerten.

Die etablierten Medien teilten dieses Bewusstsein für die Gefahren von Fake News. Bahrains Tageszeitschriften, Monats- und Wochenmagazine, Radio- und Fernsehstationen erkannten den Ernst der Lage und verschrieben sich Nachrichten und Berichten aus vertrauenswürdigen Quellen wie der Regierung, Polizei und anerkannten Expert*innen.

Sie verzichteten auf Sensationsmache, präsentierten bestätigte Fakten und schickten ihre Berichterstatter*innen an die wahren Orte des Geschehens wie Quarantänezentren, um mit Ärzt*innen für ansteckende und innere Krankheiten oder Mikrobiolog*innen persönlich zu sprechen. Ihre für ein Laienpublikum aufgearbeiteten wissenschaftlichen Erklärungen halfen den Menschen in jener Zeit, die Situation zu verstehen und nicht in die Fallen von Angst und Ungewissheit zu tappen.

Religionsgelehrte, die für viele Menschen in Bahrain wichtige Orientierungspunkte sind, erklärten in ihren Predigten die Verbreitung von Lügen zu einem Verstoß gegen religiöse Grundsätze.

Die Menschen wurden auch darauf hingewiesen, dass die Verbreitung von Falschinformationen vor dem Gesetz als Störung des sozialen Friedens gilt und mit hohen Geldstrafen bis hin zur Gefängnisstrafe belegt ist. Die Polizei reagierte prompt bei der Ermittlung und öffentlichen Zurückweisungen von Gerüchten wie der Dragon-City-Razzien. Obwohl Bahrains Presse- und Internetfreiheit von internationalen NGOs häufig kritisiert wird, hat das entscheidende Handeln des Staats und der Medien in diesem Fall das Land daran gehindert, in eine Spirale der Angst abzugleiten.

In Bahrain haben die BeAware-Kampagne, klare und beständige Botschaften seitens staatlicher und privater Institutionen, und ernste Warnungen an Missetäter dazu beigetragen, die Macht und den Einfluss von Fake News und Verschwörungstheorien, die im Nahen Osten üblicherweise florieren, zu schwächen. Wenn das Land sein Vertrauen auch weiterhin Fakten, Wissenschaft und Experten schenkt, wird es hoffentlich auch in Zukunft Fehl- und Desinformation in allen Formen widerstehen können.

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