Syrien

Sep. 2018

Migration  4 min Meine deutsch-syrische Kopftuch Identität und mein Friseurbesuch

Drei Fotos: Links eine syrische Kleinstadt auf Hügeln mit einem Aquädukt im Vordergrund; in der Mitte Huda Al-Jundi, eine Frau mit Hijab, die ein Buch mit dem Titel “Kuchen trifft Orient” hält; rechts das Foto einer kleinen Stadt am Fluss, Worms. ©Privat

„Und woher kommst du jetzt?“  Hm, was sage ich jetzt!? Aus Worms meiner Geburtsstadt und genieße danach den unzufriedenen Blick, oder sage ich Syrien, wonach die Friseurin wirklich gefragt hat, da es die meisten Menschen nicht interessiert, wo ich geboren und aufgewachsen bin.

Versteht mich nicht falsch, ich bin mindestens genauso neugierig. Jedoch würde ich niemals auf die Idee kommen einer Person, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, zu sagen, dass sie gut Deutsch spricht, oder dass sie sich gut integriert hat. Ihre Eltern mussten sich integrieren. Sie kamen aus einem fremden Land, einer fremden Kultur, lernten die deutsche Sprache und zogen ihre Kinder groß. Es ist nicht der Verdienst der Kinder, sondern das der Eltern.

Wie habe ich diese Frage gehasst. Wohin zurück?!

Huda Al-Jundi


Tatsächlich vermisse ich die Zeiten, in denen ich noch erklären musste, wo Syrien liegt. Ja! Ich vermisse sogar die Frage, ob ich denn irgendwann zurückwolle. Wie habe ich diese Frage gehasst. Wohin zurück?! Zu meinen Großeltern, die ich in den Ferien jedes Jahr besucht habe?  Aber wie hätte ich auch ahnen können, dass aus dieser Frage ein „Ach, aus Syrien?!  Oh wie schrecklich! Wie lange seid ihr denn schon hier?“ wird. Oder noch besser: „Herrscht in Syrien wirklich Krieg oder machen uns die Medien nur was vor?“

Kommen wir aber auf die Frage meiner Friseurin zurück. Ja! Ich gehe auch zum Friseur. Immerhin muss mir ja jemand das Kopftuch zurechtschneiden. Nein, Spaß, ich meinte natürlich die Haare. Oder habe ich vielleicht doch keine Haare, sondern eine Glatze? Das wurde ich tatsächlich auch schon gefragt.  Aber lassen wir meine pinken (?) Haare nun aus dem Spiel und kommen endlich zum Thema zurück. Ja, woher komme ich denn nun und was habe ich geantwortet?


Schwarzweißfoto der Autorin, Huda Al-Jundi, als Kind mit langen schwarzen Haaren in der Grundschule, vor einem offenen Buch Huda Al-Jundi in der Grundschule | ©Privat Als Kind habe ich mich nie als Deutsche gefühlt und dies fing schon im Kindergarten an. Ich war immer die Andere, die Fremde, alles andere, bloß nicht deutsch. In der Grundschule wurde es mir aber erst so richtig bewusst. Angefangen mit der Frage meines Direktors, ob ich denn schon versprochen sei, bis hin zu „Ich spiel doch nicht mit Araberinnen.“ war immer alles dabei, um bei mir bloß nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass ich gar Deutsche bin.





„Huda hat erfolgreich am muttersprachlichen Türkischunterricht teilgenommen.“


Von den LehrerInnen wurde ich als Türkin wahrgenommen. Aber das ist sowieso alles das gleiche. Wir Araber, Türken und Iraner sprechen immerhin die gleiche Sprache. Müsste man glauben. Anders kann ich mir den folgenden Satz aus dem Zeugnis meiner 3. Klasse nicht erklären: „Huda hat erfolgreich am muttersprachlichen Türkischunterricht teilgenommen.“ An den ich übrigens teilnehmen musste, weil es früher noch keinen Ethikunterricht gab. Dann wurden eben alle Ausländer in eine Klasse gesteckt, ein Türkischlehrer organisiert und wir Türken, Araber und Iraner wurden in unserer Muttersprache Türkisch unterrichtet. Weil, wie schon erwähnt, ist ja sowieso alles das gleiche. 

Huda al-Jundi auf der Frankfurter Buchmesse mit ihrem Buch "Kuchen trifft Orient" Huda al-Jundi auf der Frankfurter Buchmesse mit ihrem Buch "Kuchen trifft Orient" | ©Privat Meine Schulzeit wurde aber Gott sei Dank nicht ausschließlich von Rassismus geprägt (auch wenn es in vielen Situationen immer im Hintergrund geblieben ist). In den darauffolgenden Jahren war ich immer Klassensprecherin und Stellvertretende Schülersprecherin meiner neuen Schule, wurde von meinen Lehrern gelobt und immer als Beispiel für „gute Integration“ vorgezeigt. Bis zu dem Zeitpunkt als ich in der 10. Klasse begann, Kopftuch zu tragen. Plötzlich wollten mir alle ignorant ihre Lebensweise aufzwingen. Es kamen nicht nur zum Teil unverschämte und intime Fragen gestellt, wie z. B.„Wurdest du zwangsverheiratet oder warum trägst du jetzt Kopftuch?“ oder „Trägst du auch beim Sex ein Kopftuch?“. Nein. Es wurde mir auch gleich gesagt, wie ich mein Leben zu leben habe und mir wurde davon abgeraten zu studieren. Immerhin würde mich mit Kopftuch niemand einstellen und in meinem Kulturkreis sei es sowieso üblich, dass die Frau zu Hause bleibt! Nun 10 Jahre später bin ich Mutter, arbeite als Dolmetscherin, bin Bloggerin, Backbuchautorin von „Kuchen trifft Orient“ und hole nebenbei mein Abitur nach, um doch noch zu studieren.

 

Wir Türken, Araber und Iraner wurden in unserer Muttersprache Türkisch unterrichtet.

Huda Al-Jundi


 
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn ich heute die Politik verfolge und mitbekomme, wie von misslungener Integration seitens der MigrantInnen gesprochen wird. Aber die Regierung außen vor gelassen wird. Vor 20 bis 30 Jahren existierten so gut wie keine Initiativen, um die Integration zu fördern (bis auf den Türkischunterricht, den alle Ausländer besuchten, ist mir und meinen Freunden nichts bekannt). Solange alle für sich in Parallelgesellschaften gelebt haben, war auch alles in Ordnung in Deutschland. Und solange die muslimische Frau mit Kopftuch an Schulen nur putzt, statt Mathe zu unterrichten, wird auch weiterhin alles gut bleiben.
 

„Stimmt es, dass ihr im Schwimmunterricht nackt schwimmen müsst?“


Aber auch in Syrien musste ich mit vielen Vorurteilen kämpfen. Mit sieben Jahren bin ich zum ersten Mal in das Land meiner Vorfahren gereist. Das Land, das immer als Antwort diente, wenn ich denn mal wieder gefragt wurde, woher ich denn komme. Mitten in der Nacht landeten wir am Flughafen Aleppo und wurden von einer Schar von Leuten empfangen, die sich meine Großfamilie nannte. Onkel, Tanten, Cousinen, Cousins und wahrscheinlich auch deren Nachbarn und alle wollten sie mich küssen. Es schien also ein nettes Land mit netten (etwas komischen) Leuten zu sein. Warum komisch? Die erste Frage, die mir noch am Flughafen gestellt wurde und die mir auch im Laufe der nächsten sechs Wochen gestellt wurde, war: „Wo ist es schöner? In Deutschland oder Syrien?“ Nachdem ich dann meinen ersten Schock (Plumpsklos) in Syrien einigermaßen verarbeitet hatte, kam schon die erste Enttäuschung. Beim Spielen mit meinen Cousinen und Cousins war ich auf einmal das deutsche Mädchen und ich konnte absolut nicht verstehen, wieso! Deutsch habe ich mich deswegen trotzdem nicht gefühlt, eher habe ich mich die nächsten Jahre darüber aufgeregt. Umso älter ich wurde, desto absurder wurden  die Fragen. Von „Ich habe gehört, dass in Europa jedes Mädchen schon mit 12 einen Freund haben muss.“ Bis hin zu „Stimmt es, dass ihr im Schwimmunterricht nackt schwimmen müsst?“ war alles dabei, um in vielen Situationen – meistens nicht nur innerlich – die Augen zu verdrehen.


Huda Al-Jundi als junges Mädchen vor einem Dorf in Syrien Huda Al-Jundi im Dorf in Syrien | ©Privat Im Laufe der Zeit änderte sich vieles. Mir ist bewusst geworden, dass ich einfach beides sein kann. Nicht viele tragen die Eigenschaften aus zwei Nationen in sich. Mal fühle ich mich mehr deutsch und mal mehr syrisch. Darüber bin ich inzwischen auch recht froh.  Aber bevor ich noch weiter in die Länge gehe, machen wir hier einen Halt.

Woher komme ich also? Aus Worms! Aber du möchtest bestimmt nur wissen, woher ich stamme? Aus Syrien! Oder ganz einfach? Ich bin Deutsch-Syrerin!

Im Spiegel erkenne ich, wie sich meine Friseurin etwas verlegen das Lachen verkneift, während sie mir versucht zu erklären, dass sie eigentlich nur wissen wollte, woher ich denn gerade komme bzw. wohin ich noch wolle…

Peinliche Momente.

Ja, auch ich habe Vorurteile.

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