Zukunftsforschung  Science oder Fiction?

Sequential Wave Imprinting Machine 1974
Sequential Wave Imprinting Machine 1974 Foto (Ausschnitt) © Glogger CC BY-NC-ND 2.0, via wikimedia commons

Obwohl Zukunftsforschung noch immer ihren Platz in der wissenschaftlichen Disziplinenwelt sucht und die intensiven Auseinandersetzungen über ihren Status uneingeschränkt seit ihrer wissenschaftlichen Initialisierung in den 1940er Jahren weitergehen, erfährt sie doch zunehmende Aufmerksamkeit und Beachtung. Zugleich scheint auch Science Fiction sich in den letzten Jahren einer immer größeren Popularität zu erfreuen. 

Es überrascht demnach zum Beispiel nicht, dass im Jahr 2009 die EU Kommission eine Konferenz ins Leben rief, welche (Zukunfts-)Forschung und (Science) Fiction zu verbinden suchte: Science beyond fiction. Auch wenn der Blick hier spezifisch auf technologische Entwicklungen fokussiert war, ging es zumindest auf theoretischer Ebene auch darum, wie Fiktionen als das (so noch) nicht Erfahrbare sinnvoll mit wissenschaftlichen Erkenntniswegen in Verbindung gesetzt werden können. Zumindest implizit steckt dahinter auch die Frage, inwiefern und unter welchen Bedingungen eine Wissenschaft von der Zukunft überhaupt möglich ist oder zugespitzt: Ist Zukunftsforschung Science Fiction?

Die zunehmende Popularität von Zukunftsforschung und Science Fiction hat nicht zuletzt mit der zunehmenden Wahrnehmung der Gegenwart als volatil, unsicher, komplex und ambigue zu tun (VUCA = volatile, uncertain, complex and ambique). Unsere Erfahrungen scheinen immer weniger mit dem zu korrelieren, was wir erwarten können, wie es bereits der renommierte Historiker Reinhart Koselleck als signifikantes Merkmal der so genannten Moderne identifiziert hat. Veränderung scheint das New Normal und Stillstand bzw. ein „nicht mit der Zeit gehen“ zum Scheitern verurteilt. In einer so wahrgenommenen Welt wächst der Wunsch nach wissensbasierter Orientierung, um aus einer scheinbar reaktiven Haltung eine aktiv gestaltende zu machen. Orientierungswissen ist also gefragt, welches Optionen aufzeigt um prä-aktiv (d.h. verhindern) oder pro-aktiv (d.h. positiv herbeiführend) aus Optionen und Möglichkeiten Realitäten zu machen. 

Genau hier setzen sowohl Zukunftsforschung als auch Science Fiction an. Unabhängig von ihrem Entstehungsweg, d.h. vor allem der zugrundeliegenden Wissensbasis, können beide zunächst einmal als spezifische Narrative aus der spezifischen Perspektive einer Sozietät betrachtet werden. Sie bilden damit vor allem Erwartungen und Befürchtungen über mögliche Entwicklungen und zukünftige Zustände ab. Über ihre Verbreitung und Resonanz ermöglichen sie grundsätzlich gemeinsame Erzählungen und damit die Aushandlung von geteilten Normen und Werten sowie gesellschaftlichen Zielen. Beide - Zukunftsforschung und Science Fiction - sind in diesem Sinne diskursiv und bieten die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Entwicklungs - und Veränderungsmöglichkeiten: Sie bieten Orientierung.

Veränderung scheint das New Normal und Stillstand bzw. ein „nicht mit der Zeit gehen“ zum Scheitern verurteilt.


So betrachtet liegt der große Unterschied zwischen Zukunftsforschung auf der einen Seite und Science Fiction auf der anderen Seite vor allem in der zugrundeliegenden Motivation und Schwerpunktsetzung. Wo Science Fiction vor allem die Imagination als das vom Erfahrbarem losgelöste Denkbare und Vorstellbare in den Vordergrund rückt, hinterfragt Zukunftsforschung auf Basis gegenwärtiger Wissensbestände die jeweiligen Bedingungen und Voraussetzungen von imaginierten Veränderungen und Möglichkeiten. Beide unterliegen dabei zu Recht ganz unterschiedlichen Anerkennungsmechanismen, d.h. Kriterien und Standards welche über die Güte der jeweiligen Zukunftsaussagen urteilen. Beiden gemeinsam ist dabei aber, dass ihre Ergebnisse in Form von Narrationen weder verifiziert noch falsifiziert werden können, jedenfalls nicht zum Zeitpunkt ihrer Äußerung. Orientierung wird demnach nicht über die bloße Kreation imaginierter Welten sowie die Exploration der zugrundeliegenden Bedingungen dieser geschaffen, sondern entsteht erst in der diskursiven Auseinandersetzung. Diskursiv meint hier vor allem eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Möglichkeiten und Handlungsoptionen auf Basis elaborierter Überlegungen über gegenwärtige Erwartungen und Befürchtungen, welches neben wissenschaftlich erzeugtem Wissen auch Phantasie und Kreativität anerkennt. (Zukunfts-)Forschung und (Science) Fiction gehen dann eine symbiotische Beziehung ein, indem die eine (Science Fiction) hilft, die Erwartungen an die Zukunft von Beschreibungen und Erklärungen mithilfe historisch entwickelter Wissensstände und Erklärungsmodelle zu lösen. Wohingegen die andere (Zukunftsforschung) vor allem mittels ihrer wissenschaftlichen Stringenz und Standards helfen kann, Imagination einzuholen um aus potenziellen Möglichkeiten begründete Handlungsoptionen herzuleiten.  The TourCAVE at CalIT2 © TEDxSanDiego
Die symbiotische Verbindung von fiktional-spielerischen und wissenschaftlichen Bestandteilen in der Zukunftsforschung zeigt sich nicht zuletzt in der Verbindung bestimmter Begriffe aus beiden „Welten“, die zur Beschreibung bestimmter Ansätze und Methodiken verwendet werden: Design Fiction, Intuititive Logics, Zufall, Simulation, Wild Cards, Game Changer, Gamification. Oder am prominentesten: Szenarien oder Szenario-Methode (Szenario kommt ursprünglich aus dem Schauspiel und dem Theater). Auch deshalb scheint es - wie an anderer Stelle bereits vertieft ausgeführt wurden ist - dass die Trennung von Kreativität und wissenschaftlicher Methode bzw. Stringenz zumindest in diesem Fall nicht aufrechterhalten werden. Viel wichtiger scheint auch hier der diskursive Wert der Verbindung von Zukunftsforschung und Science Fiction. Denn wenn man unsere Realität als eine soziale Realität (Luckmann und Berger) begreift, welche durch soziale Praktiken und Macht institutionalisiert und durch Symbole immer wieder reproduziert wird, bietet die Verbindung von wissenschaftlicher Exploration und Imagination die Möglichkeit, neue Möglichkeiten zu erdenken und alternative Handlungsoptionen abzuleiten. Mit Johann Huizinga gesprochen, den Begründer des Homo Ludens: Je mehr die gemeinsame Realität eingeübt und wiederholt wird, desto mehr wird sie nicht nur eine Repräsentation einer möglichen Realität innerhalb der Grenzen der jeweiligen Community - also Wissenschaft oder Kunst/Literatur - , sondern wird selbst zu einer sozialen Struktur, zur gesellschaftlichen Realität.

Zukunftsforschung ist also nicht gleichzusetzen mit Science Fiction. Aber sie ist auch nicht loszulösen von dieser. Zukunftsforschung, so könnte man sagen, ist eine Wissenschaft, die sich ihrer fiktionalen Teile selbstbewusst stellt und diese nutzbar macht.
 

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