Plantae Sinarum #2  Pilz der Unsterblichkeit

Der Lackporling: Pilz der Unsterblichkeit
Der Lackporling: Pilz der Unsterblichkeit © yì magazìn

Tatsächlich ist der Lackporling sehr dekorativ, man sieht ihn deshalb auch immer wieder in Bonsai-Schalen. Doch seine Bedeutung als wiederkehrendes Element in dieser und in anderen Kunstformen geht weit darüber hinaus – denn der lingzhi ist tief in der chinesischen Mythologie verwurzelt.

Zugegeben, kulinarisch ist der glänzende Lackporling nicht unbedingt ein Highlight. Er schmeckt extrem bitter und überdeckt penetrant alle anderen Aromen, die man ihm beimischen will; außerdem ist sein Fruchtkörper ledrig und hart, was ihn schwer kaubar macht. Das mag der Grund sein, warum er in Restaurants eigentlich nie auf der Speisekarte steht. Beliebt und in China überall bekannt ist er hingegen trotzdem, und zwar meistens in Form von Kapseln, Pulver oder Heil-Tees. Denn der glänzende Lackporling (Ganoderma lucidum), auf Chinesisch lingzhi (灵芝), ist kein geringerer als der sogenannte „Pilz der Unsterblichkeit“.

Lackporlinge finden sich vor allem als Aufsitzer auf Totholz, sind jedoch auch als Verursacher von Weißfäule bekannt, weshalb man ihn zu den Pflanzenpathogenen (Schädlingen) rechnet. Man erkennt sie leicht an ihrem knorrigen, bräunlichen Stamm, der in einen stark glänzenden, halbmondförmigen Hut mündet, der wie lackiert aussieht – daher der deutsche Name. Es gibt zahlreiche Varianten, kommerzielle Anwendung findet jedoch vor allem die rötliche Art. Tatsächlich ist der Lackporling sehr dekorativ, man sieht ihn deshalb auch immer wieder in Bonsai-Schalen. Doch seine Bedeutung als wiederkehrendes Element in dieser und in anderen Kunstformen geht weit darüber hinaus – denn der lingzhi ist tief in der chinesischen Mythologie verwurzelt.

Der Lackporling im Reich der Unsterblichen

Die Kraft, die ihm zugeschrieben wird, spiegelt sich schon in den Schriftzeichen wider, die seinen chinesischen Namen bilden, denn ling (灵) bedeutet „Seele, Geist, Spiritualität“ – man kann den Namen also grob „göttlicher/überirdischer Pilz“ übersetzen.  Aus diesem Grund findet man ihn in der Kunst immer wieder als magisches Utensil: Manche haben vielleicht schon Darstellungen eines älteren Beamten mit langem Bart gesehen, der in seiner Hand neben einer Tafel oft noch ein knorriges, braunes Ding hält, und haben sich gefragt, was es mit diesem zu kurz aussehenden und verschwurbeltem Gehstock auf sich hat. Tatsächlich ist dieses Attribut kein Holzknüppel, sondern der glänzende Lackporling, der dem Betrachter verrät, dass es sich bei dem Senior um einen der taoistischen acht Unsterblichen, Cao Guojiu (曹国舅) handelt. Ein weiterer Senior, der den Lackporling als Attribut bei sich trägt, ist Shennong (神农), der „göttliche Bauer“, den man an seinem mit Pilzen gefüllten Korb erkennt und der den Lackporling benutzt, um das Elixir der Unsterblichkeit zu brauen; denn die Legende sagt, dass der lingzhi ursprünglich im Reich der Unsterblichen wuchs.
Ganoderma-Verkostung Ganoderma-Verkostung | Quelle: Chen Hongshou, Ming-Dynastie (1368–1644) via Wikimedia Commons Es finden sich zahlreiche Mythen und Legenden, in denen der lingzhi eine Rolle spielt. Zum Beispiel die Geschichte von Peng Zu (彭祖), der dank des Pilzes sein Leben lang fit wie ein Turnschuh blieb und ein Alter weit im dreistelligen Bereich (die genauen Angaben schwanken) erreicht haben soll. Oder das Märchen von Bai Suzhen (白素贞), die mit Hilfe des Lackporlings ihren Geliebten vor dem Tod bewahrte. Und dann wäre da noch Hou Yi (后羿), der neun Sonnen vom Himmel schoss, auf dass nur eine übrig blieb, und der dafür einen lingzhi als Belohnung erhielt. Dies sind nur einige Beispiele von vielen, denn die Literatur ist voll von Anspielungen auf den magischen Pilz; bereits der Dichter Cao Zhi (曹植, 192–232), einer der größten Literaten zur Zeit der drei Königreiche, widmete dem Lackporling eine eigene Ballade (lingzhipian, 灵芝篇).

Eine Maske in lingzhi-Gestalt, so dass Mensch und Pilz, wenn sie aufgesetzt wird, zu einem Mischwesen verschmelzen, das eine Schutzgottheit darstellen soll.

In unserer Menschenwelt finden sich wild wachsende Lackporlinge eher selten, was den Mythos um den Pilz wahrscheinlich noch verstärkte. Die amerikanische Standford University widmete dem lingzhi im Jahr 2017 aus diesem Grund am Cantor Arts Center die Ausstellung A Mushroom Perspective on Sacred Geography (dt. etwa: „Landschaften als Kultstätte am Beispiel eines Pilzes“). Die Ausstellung zeigte den engen Zusammenhang zwischen Landschaft und Spiritualität, dessen Bindeglied der Lackporling ist: Denn Berge gelten in Ostasien seit jeher als Kraftorte, als Verbindung zum Göttlichen, und der Lackporling als Attribut der Unsterblichen stellt, wenn er verzehrt wird, auf diese Weise eine direkte Verbindung zwischen dem sterblichen Körper und den überirdischen Kräften her. Dies spiegelte sich besonders in einem kuriosen Ausstellungsstück aus dem 19. Jahrhundert wieder: Eine Maske in lingzhi -Gestalt, so dass Mensch und Pilz, wenn sie aufgesetzt wird, zu einem Mischwesen verschmelzen, das eine Schutzgottheit darstellen soll.

Der Lackporling als Kunstobjekt

Die Tatsache, dass nur wenige Privilegierte sich Lackporlinge leisten konnten, steigerte den Wert des Pilzes noch mehr, und da bereits das shennong bencaojing (神农本草经), die älteste chinesische Schrift der Kräutermedizin aus der Han-Dynastie (-206 bis 220), nicht nur eine, sondern gleich sechs Arten von lingzhi als Mittel zur Verlängerung des Lebens rühmt, wurde er in der Kunst zum Sinnbild für ein langes, gesundes Leben, insbesondere in taoistischen Darstellungen. In der Yuan-Dynastie (1279 bis 1368) wurde der Lackporling als Symbol endgültig zum Trend, besonders in Form von sogenannten ruyi-Zeptern: Wenn man genau hinsieht, lässt sich erkennen, dass der Kopf vieler Zepter tatsächlich als Kappe eines Lackporlings gestaltet ist. Das Wort ruyi (如意) bedeutet „alles nach Wunsch“ und in der Qing-Dyanstie (1644 bis 1912) ließ man solche Zepter gerne als Präsent für den Kaiser anfertigen. Man findet sie aber auch als Zierelemente und Bordüren an Gebäuden, auf Textilien und mehr. Durch die enge Verbindung von Pilz und Zepter entstand so zusätzlich eine Assoziation mit „Glück“ und man zeigt den lingzhi deshalb auch sehr gerne in Arrangements, mit denen man Glück wünscht. Zum Beispiel zum neuen Jahr: Dann wird ein Lackporling mit zwei Welsen kombiniert, deren chinesischer Name nian 鲶 ein Homophon für nian (年, dt. „Jahr“) ist. Andere beliebte Kombinationen sind lingzhi mit Narzissen, Bambus, Lotus bzw. mit einem Goldfisch (mit letzterer wünscht man jemandem Reichtum).

Einige davon schwappen ab und an als Modeerscheinung nach Europa, und so kam vor einigen Jahren auch der als „Unsterblichkeitspilz” beworbene glänzende Lackporling nach Deutschland.

Der Lackporling als Wirtschaftsfaktor

In der TCM (Traditional Chinese Medicine) sind Pilze im Allgemeinen und der Lackporling im Besonderen schon seit gut zweitausend Jahren fester Bestandteil zur Vorbeugung und Behandlung von Beschwerden wie Hepatitis, Bluthochdruck, Magengeschwüren und anderem mehr. Wie wichtig (Heil-)Pilze in China sind, zeigt sich daran, dass China eines der Länder ist, die regelmäßig am meisten neue Pilz-Spezies beschreiben – 377 neue Arten wurden allein 2019 entdeckt. Und auch in der kommerziellen Pilzproduktion gehört China zu den weltweiten Spitzenreitern, mit einer Produktionsmenge von 39.619.100 Tonnen im gleichen Jahr. Etwa sechzig Pilzarten werden in China in Kultur angebaut (im Unterschied zu anderen Arten, die wild gesammelt werden müssen). Einige davon schwappen ab und an als Modeerscheinung nach Europa, und so kam vor einigen Jahren auch der als „Unsterblichkeitspilz” beworbene glänzende Lackporling nach Deutschland. Mittlerweile ist sein Marktwert gigantisch: 2,5 Milliarden Dollar Umsatz wurden laut einer Studie 2013 weltweit pro Jahr durch den Verkauf von Gesundheitsprodukten mit Ganoderma generiert.
Der Lackporling Der Lackporling | © yì magazìn Das mag daran liegen, dass der Lackporling Schätzungen zufolge etwa 400 bioaktive Inhaltsstoffe besitzt; doch wie genau diese wirken und bei welchen Krankheitsbildern sie wirklich helfen können, ist noch nicht abschließend geklärt. Es scheint jedoch Hinweise zu geben, dass der Lackporling eine gewisse antikanzerogene Wirkung hat, weshalb zahlreiche Studien untersuchen, ob und inweit er sich zur unterstützenden Behandlung bei Krebs einsetzen lässt. Auch zu seiner etwaigen Heilwirkung bei Diabetes, Entzündungen, Lebererkrankungen, zur Immunmodulation und zahlreichen weiteren pharmazeutischen Anwendungen werden Studien durchgeführt.

Lackporling ist nicht gleich Lackporling

Ein wichtiger Umstand, der dabei jedoch leider nicht immer ausreichend beachtet wird, ist die Tatsache, dass es vom „glänzenden Lackporling“ nicht nur eine, sondern sehr viele Arten gibt, so dass nicht immer klar ist, welche Spezies mit „lingzhi“ denn eigentlich gemeint ist. Unter dem lateinischen Gattungsnamen Ganoderma vereinen sich etwa 250 Arten. Für medizinische und kommerzielle Zwecke verwendet wird im Allgemeinen Ganoderma lucidum. Doch 2016 deckte eine Untersuchung auf, dass unter dieser Bezeichnung tatsächlich verschiedene Pilzstämme mit sehr unterschiedlicher Wirkstoffzusammensetzung vertrieben werden. Den Wissenschaftler*innen war aufgefallen, dass Pulver und alkoholischer Extrakt eines häufig kultivierten Stamms von G. lucidum extrem bitter schmeckten, während entsprechende Proben eines anderen Stamms, der ebenfalls als G. lucidum bezeichnet war, kein Bitteraroma aufwiesen. Wie sich herausstellte, lag dies am hohen Gehalt an Triterpenen – die mitverantwortlich für die medizinische Wirkung des Pilzes sein sollen – in der bitter schmeckenden Probe und es zeigte sich, dass es sich tatsächlich nicht G. lucidum, sondern um die mittlerweile beschriebene eigene Art Ganoderma lingzhi handelte.

Diese Konfusion in der Benennung, die hochproblematisch ist, gerade wenn man medizinisch wirksame Pilze von nicht wirksamen unterscheiden möchte, ist laut den Forscher*innen historisch begründet: Denn im 18. Jahrhundert wurde in England ein dem lingzhi sehr ähnlich sehender Pilz beschrieben und so verwendete man dessen Artbezeichnung Ganoderma lucidum im Folgenden dann einfach auch für die aus Asien und anderen Ländern stammenden lingzhi-Pilze, obwohl diese eigentlich gar nicht derselben Spezies angehören. Wer sich selbst von der heilenden Wirkung des lingzhi überzeugen und einen Selbstversuch wagen möchte, ist deshalb gut beraten, sehr genau auf die Artbezeichnung zu achten, mit der das Produkt etikettiert ist.

Eine uralte Sehnsucht

Der lingzhi ist sowohl kunsthistorisch als auch für die moderne pharmazeutische Forschung ein faszinierendes Objekt, denn er repräsentiert die uralte Sehnsucht der Menschen nach Unsterblichkeit: Indem er den Körper durch seine gesundheitsfördernden Stoffe erhält und auch durch seine Verbindung zum Göttlichen, einer Existenz, die über den bloßen physischen Körper hinausgeht. Der Wunsch, die eigene Vergänglichkeit zu überwinden, zieht sich durch alle Kulturen und Zeitalter und auch wenn der lingzhi als Kunstobjekt in Europa nahezu unbekannt ist, so ist es doch bezeichnend, welch reißenden Absatz die „Unsterblichkeitspilz“-Produkte auch dort finden.

Der glänzende Lackporling steht jedoch auch für die Sehnsucht nach einer tieferen Verbindung zur Natur, die dem urbanen Menschen heutzutage oft abhanden gekommen ist. Wer dagegen etwas tun möchte ohne sich ein Flugticket in die ostasiatischen Bergregionen zu kaufen, dem sei die eingangs erwähnte Bonsai-Schale empfohlen, in der der glänzende Lackporling der Wohnung immerhin den Hauch des Göttlichen verleihen kann.

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