Rassismus in China  Die Weißen sind Engel, die Schwarzen die Teufel

Momo
Momo © Privat

Der aus Kamerun stammende und in Shanghai lebende Künstler Momo sprach mit uns über Rassismus in China.

yì magazìn: Wie siehst du das Thema Rassismus in China?

Ich halte es grundsätzlich für normal, dass Rassismus ein Thema ist. Es ist andererseits nicht normal, dass es in der heutigen Welt immer noch vorkommt, dass man wegen seiner Herkunft oder Hautfarbe von anderen diskriminiert wird. Das Normale daran ist, dass jeder Mensch durch die Erziehung, die er erfahren hat, und durch sein Umfeld geprägt wird und manchen vielleicht gar nicht bewusst ist, wie sie sich verhalten. Es gibt Leute, die in einer Hautfarbe nur etwas Schlechtes zu erkennen meinen. In diesem Fall möchte ich erst einmal verstehen, was der Hintergrund dieser Person ist, bevor ich mir ein Urteil über sie bilde. Zudem Rassismus auch ein Resultat der ungleichen Ressourcenverteilung ist. Man sollte es sich nicht so einfach machen, den einen Ort schlichtweg als rückständig und den anderen als fortschrittlich zu bezeichnen. Würde man die Geschichte dahinter kennen und wissen, welche Auswirkungen die Geschichte der letzten vier- oder fünfhundert Jahre bis heute auf die einzelnen Orte hat, wäre man bestimmt überrascht. Rassismus ist ein globales Thema und außerdem ein Problem, das mich persönlich betrifft. Ich bleibe davon also nicht unberührt, aber ich kann doch entscheiden, wie stark ich das an mich herankommen lasse.

Man denke an Hip Hop oder die chinesische Reality-Show The Rap of China (中国有嘻哈). Die Sendung ist in China sehr beliebt, aber viele wissen nicht, dass das eine Kultur ist, die ursprünglich von den Schwarzen kommt.

Was fällt den Leuten zuerst ein, wenn du erzählst, dass du aus Kamerun kommst? In einem Interview hast du einmal erwähnt, dass viele Leute sofort an Krieg denken.

Das stimmt, viele Leute haben dieses Vorurteil, aber das liegt nicht zuletzt an den globalen Mainstream-Medien. Das Afrika dieser Medien ist immer arm, vom Krieg gebeutelt und lebensfeindlich. Das ist auch zum Teil so, und trotzdem ist das natürlich nicht die ganze Wahrheit. Als ich 2008 zum ersten Mal nach China kam, ging es mir ganz ähnlich. Ich war überrascht, weil China in Filmen, Nachrichten und in anderen Quellen immer als ein Land der vielen Fahrräder dargestellt wurde, das nur wenig entwickelt ist. Sobald man aber die Welt auf eigene Faust erkundet, bekommt man völlig andere Eindrücke. Wenn ich also in die U-Bahn steige und mich jemand anstarrt, fühlt sich das komisch an, aber andererseits wundert mich das nicht. Immerhin kann ich durch das Verhalten des anderen erkennen, ob er in seiner Lebenswelt mit diesen Themen in Berührung gekommen ist und eine Akzeptanz entwickelt hat. Dann wird das vollkommen nachvollziehbar. Die Leute erwähnen aber auch andere Aspekte, etwa dass Afrika zwar nicht so entwickelt sei, die Afrikaner aber trotzdem jeden Tag gute Laune hätten.

Die ganze hat Welt kulturelle und musikalische Einflüsse aus Afrika aufgenommen. Man denke an Hip Hop oder die chinesische Reality-Show The Rap of China (中国有嘻哈). Die Sendung ist in China sehr beliebt, aber viele wissen nicht, dass das eine Kultur ist, die ursprünglich von den Schwarzen kommt. Andere Chinesen mögen Basketball und den US-amerikanischen Basketballspieler Kobe Bryant. Wenn es jedoch um Schwarze geht, werden sie erst einmal mit „Rückständigkeit“ assoziiert. Man vergisst völlig, wie viele einflussreiche Schwarze Menschen es auf dieser Welt gibt. Wie man sieht, ist dieses Thema ein weites Feld. Es kommt einfach darauf an, wer die ideologische Macht über unsere Welt hat, so sehe ich das.

Denkst du, dass im Chinesischen die zwei Schriftzeichen „heiren“ (黑人) für „Schwarze Menschen“ eine neutrale oder eine negative Bedeutung haben?

Dahinter steht eine Übersetzung, und zwar eine ziemlich wörtliche. Auch wenn meine Hautfarbe gar nicht so dunkel ist, werde ich sofort in diese Schublade gesteckt. In jeglicher Ideologie dieser Welt, ganz unabhängig davon, ob sie religiös motiviert ist, werden der weißen Hautfarbe oder der Farbe Weiß an sich besonders positive Merkmale zugeordnet. Ein Engel ist weiß und das Gebäude, in dem der amerikanische Präsident residiert, wird das Weiße Haus genannt. Das Schlechte hingegen ist schwarz, das Gegenbild zum Engel ist der Teufel und dessen Gestalt ist schwarz. Wenn ich mich über jemanden ärgere und ihn auf meinen sozialen Netzwerken blocke, sagt man im Chinesischen, dass man jemanden „schwarz macht“ (拉黑). Es sind winzige Details, die sich durch die Sprache verraten. Ich habe einmal ein kleines Experiment gesehen. Man ging in irgendeine Region in Afrika und zeigte ein paar Kindern das Bild eines Schwarzen und das eines Weißen Mannes. Dann fragte man die Kinder, welcher von beiden Männern der Böse sei. Die Schwarzen Kinder deuteten sofort auf den Schwarzen Mann. Was für eine Ideologie muss da dahinterstecken? Wenn sogar die Eltern machtlos sind etwas zu bewirken und den Spieß umzudrehen.

Es kommt einfach darauf an, wer die ideologische Macht über unsere Welt hat.

Im chinesischen Internet fallen die Meinungsäußerungen über Schwarze Menschen teilweise recht negativ aus.

Das gilt besonders für einige Social-Media-Plattformen. Und dann gab es in China kürzlich Diskussionen im Zusammenhang mit der Gewährung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts für Ausländer. Das entwickelt sich zu einem immer heikleren Thema. Ich verstehe voll und ganz, dass die Menschen nur ihr Land schützen wollen und patriotisch denken. Allerdings vergessen sie dabei, dass umgekehrt auch Millionen von Chinesen an verschiedenen Orten im Ausland leben. Oder sie erkennen den Zusammenhang nicht, als könnte man Ausländer in China und Chinesen im Ausland nicht miteinander vergleichen. Sie überlegen sich nicht, wie es wäre, wenn ihre Landsleute im Ausland dasselbe durchmachen müssten. In diesen sozialen Netzwerken gibt es extrem viele rassistische Diskussionen. Die Plattformen könnten diese Daten kontrollieren. Warum tun sie es nicht? Das ist doch das eigentliche Problem.

Du hast sehr viele Identitäten. Du bist Tänzer und Choreograf, Regisseur und DJ. Denkst du, dass die Erfahrungen, die du mit Diskriminierung gemacht hast, dich in deiner beruflichen Tätigkeit oder deinem künstlerischen Schaffen beeinträchtigt haben?

Schon. Einmal hat mich ein Freund gebeten, seine Arbeit filmisch umzusetzen. Er erklärte mir seine Idee und was für ein Kunstwerk er machen wollte. Doch sein Geldgeber wollte nicht, dass ich Regie führe und suchte einen anderen Filmemacher, was jedoch scheiterte. Ein Jahr später hatten sie das Projekt immer noch nicht umgesetzt. Als mein Freund einen neuen Investor an Land gezogen hatte, kam er noch einmal auf mich zu und ich verwirklichte das Projekt. Es hatte nur an den Vorbehalten des Geldgebers gelegen, der damals nicht wollte, dass ein Schwarzer beim Projekt mitwirkt. Mein Freund hingegen kannte das Projekt und wusste genau, wen er brauchte. Mich eben. Und zwar nicht, weil ich einen bestimmten Namen habe, nicht aufgrund meines Aussehens, sondern aufgrund meines Könnens. Ich nehme einen Job nur an, wenn ich die Kompetenz dazu habe.

Was meine Kunst anbelangt, transportiere ich in meinen Performances unterschiedliche Stimmungen und Gefühle. Aber eigentlich habe ich nie eine Arbeit mit dem Ziel gemacht, durch die anderen eine besondere Akzeptanz zu erfahren. Ich denke, es ist in erster Linie wichtig, dass man sich selbst akzeptiert, das ist das Entscheidende. Und dann versuchst du das, was du tun muss, richtig gut zu machen. Wo andere vielleicht nur 30 Prozent Leistung bringen müssen, muss ich 70 Prozent bringen, um den gleichen Erfolg zu haben. Nach gut zehn Jahren in China muss ich in vielen Punkten überzeugen, ganz gleich, ob es sich um das Sprachliche handelt, um meine eigene Musik, um das Tänzerische, Choreografische oder meine Leistung als Filmregisseur. Ich betrachte das als Gesamtpaket, weil ich mich für meinem Lebensunterhalt nicht nur auf ein Standbein allein verlassen kann. Und dann gibt es noch einige Leute hinter mir, die auf meine Unterstützung zählen. Ich möchte mir einfach viele Möglichkeiten offenhalten. Vielleicht müssen andere nicht so breit aufgestellt sein, aber ich muss mich einfach mehr anstrengen. Ich weiß sehr gut, wie diese Gesellschaft tickt. Eines muss dir klar sein, jeden Tag zu jammern, bringt dich nicht weiter, man muss sich selbst auf die Hinterbeine stellen.

Wo andere vielleicht nur 30 Prozent Leistung bringen müssen, muss ich 70 Prozent bringen, um den gleichen Erfolg zu haben.

Du lebst seit elf Jahren in China. Denkst du aufgrund deiner Erfahrung, die du in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen gemacht hast, dass sich in China in den letzten elf Jahren in punkto Rassismus oder der Diskriminierung von Schwarzen Menschen etwas verändert hat?

Da hat sich auf jeden Fall viel getan, nicht unbedingt bei der Diskriminierung, aber doch bei der Akzeptanz. Da gab es sicherlich einen großen Bewusstseinswandel. Wenn ich früher durch Peking lief, war ich ein echter Hingucker, d.h. die Quote der sich nach mir umdrehenden Köpfe war sehr hoch. Das kommt heute viel seltener vor, gar kein Vergleich zu früher. Zunächst einmal lässt sich aus dieser Perspektive erkennen, dass sich viel verändert hat. Ich habe einige Freunde, die auch Musik machen oder DJs sind. Früher war der hellhäutige Modeltyp beim Musikauflegen gefragt, ganz egal ob die Musik geschäftsfördernd war oder nicht. Doch heutzutage müssen die DJs wirklich Musik auflegen können, sie müssen unseren Musikstil wirklich verstehen, so dass die Gäste tatsächlich etwas davon haben. Wie auch immer, auch wenn bestimmte Eigenschaften weiter förderlich sind, so sollte man groß sein und am besten eine weiße Haut haben, geht es heute doch in erster Linie ums Können. Interessant ist auch, dass die Hanmai-Rapper (喊麦), die ihren Rap live über das Internet performen, überwiegend Schwarz sind.
 
Eigentlich sehe ich das Thema relativ gelassen. Allerdings wird der Rassismus aus einigen Bereichen nie ganz verschwinden. Wenn ich in den letzten Jahren eine Freundin hatte, ließ sie sich durch das Gerede, das es im Internet über Chinesinnen gibt, die mit Schwarzen zusammen sind, immer ziemlich beeinflussen. Wir konnten kein normales Leben führen und unsere Beziehung scheiterte. Obwohl es einige sehr positive Veränderungen gibt, ist es immer noch so, dass sich bestimmte Dinge nie ändern.
 
Was fällt dir persönlich zum Thema Rassismus noch ein, das ich vielleicht nicht gefragt habe?
 
Eigentlich spielt für mich doch eher mein persönliches Umfeld eine große Rolle. Schließlich will man nicht, dass die Menschen, die einem wichtig sind, unglücklich sind. Ich habe immer noch viele chinesische Freunde, die mir Nachrichten schicken und mir aus eigener Initiative sagen, dass sie mich mögen, damit ich weiß, dass es da Menschen gibt, die mich lieben. Ich finde das wirklich rührend. Kürzlich meinte beispielsweise ein Freund zu mir: Bruder, kümmere dich nicht um diese schrecklichen News. In unserer heutigen Welt lässt sich das Problem der Diskriminierung definitiv schwer lösen, aber wir können bewirken, dass es kleiner wird.
 

Momo kam 2009 nach China und studierte von 2009 bis 2010 Chinesisch an der Beijing Language and Culture University. Von 2010 bis 2014 machte er seinen Bachelor im Tanz-Department der Kunst- und Medienschule der Beijing Normal University. Daran schloss er 2014-2017 einen Master für Film- und Fernsehregie im Fach Drama, Film und Fernsehen an. Momo spricht vier Sprachen: Chinesisch, Französisch, Spanisch und Englisch. Er ist Tänzer, Choreograf, DJ und Regisseur. Außerdem arbeitet er als Star-Coach und Ausbilder für Trainer im Pekinger Fitnessstudio SpaceCycle.

Die Fragen stellte Li Li.
 

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