Technologie und Kulturerbe Ein neues Kapitel in der afrikanischen Museumskunde

Buntes Mosaik formt die Umrisse mehrerer Personen
Wandmalerei im Benin National Museum in den königlichen Gärten, Benin-Stadt, Nigeria. | Foto (Detail): Michael Runkel © picture alliance / imageBROKER

Dank des gemeinsamen Engagements von Kulturaktivist*innen, Wissenschaftler*innen und politischen Führungskräften konnte eine visionäre Idee zur Modernisierung der musealen Praxis in Afrika in die Tat umgesetzt werden. Ruby Ofori zum Start des ersten digitalen Museums in Afrika.

Frau Ofori, die Einrichtung des Pan African Heritage Museum ist eine wichtige Etappe, um das afrikanische Kultur- und Naturerbe zugänglich zu machen, zu dokumentieren und zu verwalten. Wer steckt hinter diesem Projekt und was ist das Ziel?

Das Pan African Heritage Museum (PAHM) wurde mithilfe modernster Technologien als Afrikas erstes immersives digitales Museum ins Leben gerufen. Sein Gründer, Kojo Yankah, ist Schriftsteller, Wissenschaftler, Politiker und Vorsitzender des panafrikanischen historischen Theaterfestivals (Panafest) und der Stiftung für den Schutz des Kulturerbes von Ghana. Die Idee für dieses Museum hatte er zum ersten Mal während einer Zeremonie, die 1993 in Jamestown, Virginia, im Gedenken an den 375. Jahrestag der Ankunft der ersten Afrikaner*innen aus Angola in den heutigen Vereinigten Staaten von Amerika veranstaltet wurde.

Der digitale Ableger des Museums, das Herrn Yankah damals vorschwebte, startete fast 30 Jahre später am 5. Mai 2022 und soll 2023 durch ein physisches Museum ergänzt werden, das derzeit in Ghanas Zentralregion gebaut wird.

Mit dem digitalen und dem realen Museum erhalten Menschen afrikanischer Herkunft sowie grundsätzlich in aller Welt Gelegenheit, ihr Wissen über die wahre Geschichte der Ursprünge der Menschheit in Afrika zu verlernen, neu zu erlernen und zu erkunden. Das PAHM ist Teil einer Welle von Neugründungen afrikanischer Museen, die dazu beitragen sollen, den „wissenschaftlichen Rassismus“ zu überwinden, der seit dem 19. Jahrhundert tief in den musealen Systemen der westlichen Welt verwurzelt ist. Ein Beispiel dafür liefert das British Museum in Großbritannien, das sowohl eine Ausstellung zum alten Ägypten als auch eine weitere separate Ausstellung zu Afrika präsentiert. Das Pan African Heritage Museum verortet Ägypten geografisch und kulturell in Afrika. Dies wird mit den drei Ausstellungen deutlich, die im digitalen Museum besucht werden können. Die erste Ausstellung ist eine immersive Multimedia-Tour mit dem Titel „African Civilizations – Granaries of Memory“ (Afrikanische Zivilisationen – Speicher der Erinnerung). Sie stellt Fragen nach dem Zweck der Kunst: Warum und auf welche Weise war es der Menschheit seit Beginn unserer Existenz so wichtig, Kunst zu schaffen? Die Ausstellung soll dazu anregen, Antworten auf diese Frage durch eine Auseinandersetzung mit der Kunst afrikanischer Zivilisationen zu finden, von Ägypten bis hin zu den Königreichen Nubien und Kush, Benin, Kongo, Ghana, Mali, Songhai, Asante, Lori, der Zulu und dem Munhumutapa-Reich.

Digitalisierung und Wissensmanagement sind auf dem afrikanischen Kontinent nichts Neues: Bibliotheken und Archive sind in diesem Bereich bereits aktiv und konnten bemerkenswerte Fortschritte erzielen. Warum haben die Museen so lange gebraucht, um sich zu diesem Schritt zu entschließen?

Die Afrikaner*innen haben ihr kulturelles Erbe seit Jahrtausenden in unterschiedlichen Formen dokumentiert und aufgezeichnet. Die Einrichtung von Museen in Afrika geht allerdings auf die europäischen Kolonialmächte zurück, die diese Orte als Instrumente ihrer Unterwerfungsstrategie nutzten. Entsprechend haben Museen den Eindruck der Andersartigkeit von Afrikaner*innen in ihren eigenen Ländern zusätzlich verstärkt. Nach der Unabhängigkeit setzten die Regierungen der afrikanischen Staaten die wenigen verfügbaren Mittel hauptsächlich für Maßnahmen in den Bereichen Bildung und Gesundheit ein. Die Kultur wurde vernachlässigt, sofern sie nicht, so ist zu vermuten, der nationalistischen Rhetorik diente. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich jedoch die Zahl der Museen in Afrika auf nahezu 900 verdoppelt. Trotz dieser nach wie vor geringen Zahl und einer völlig unzureichenden Mittelausstattung engagieren sich afrikanische Museen für fortschrittliche neue Ideen wie Inklusion und sind darum bemüht, so viele Menschen in Afrika wie möglich für ihre Ausstellungen zu interessieren. Dies hatte eine Welle der Digitalisierung des Kulturerbes zur Folge. Eines der ersten Museen, das Teile seiner Sammlung digitalisierte, war 1998 das Nationalmuseum von Kenia.

Die Einrichtung von Museen in Afrika geht auf die europäischen Kolonialmächte zurück, die diese Orte als Instrumente ihrer Unterwerfungsstrategie nutzten. Entsprechend haben Museen den Eindruck der Andersartigkeit von Afrikaner*innen in ihren eigenen Ländern zusätzlich verstärkt.

Welche weiteren Möglichkeiten wird das Pan African Heritage Museum nutzen, um der Museumskunde auf dem afrikanischen Kontinent ein neues Gesicht zu geben?

Noch vor Fertigstellung hat das Time Magazine das Museumsgebäude als einen der Orte bezeichnet, die künftig zu den fünf wichtigsten touristischen Zielen in Afrika gehören werden, und so dem Tourismus in Ghana, wo sich das Museum befindet, zum Aufschwung verholfen. Für Afrikaner*innen und Menschen afrikanischer Herkunft wird das Museum ein Ort der Heilung sein, an dem sie die Lügen über die Geschichte ihrer Vorfahren verlernen und die wahre Geschichte ihrer Kultur bis ins Altertum neu erlernen können. Menschen afrikanischer Herkunft können sich an diesem Ort mit ihrem vielfältigen und reichen kulturellen Erbe vertraut machen. Viele Menschen, die dem Museum einen digitalen oder tatsächlichen Besuch abstatten, werden etwas über ihre Kultur erfahren, die in ganz Afrika fortschrittliche Königreiche sowie einen Lebensstil hervorgebracht hat, der noch heute über einen hohen Stellenwert verfügt. Von den außerordentlichen und künstlerischen Beiträgen der afrikanischen Kulturen und Zivilisationen zur Menschheitsgeschichte ganz zu schweigen.

Welche nächsten Schritte sind mit Blick auf das Projekt sowie im weiteren Sinne auf die Digitalisierung der Museumssammlungen in Afrika vorgesehen? Gibt es Pläne für eine Zusammenarbeit der afrikanischen Museen auf kontinentaler Ebene?

Das Pan African Heritage Museum ist das Ergebnis einer Kooperation und Zusammenarbeit, die nicht nur Museen in Afrika, sondern auch Museen für Menschen afrikanischer Herkunft in aller Welt einschließt. Zwei Partner des Museums sind die Afrikanische Union und der afroamerikanische Museumsverband AAAM (Association of African American Museums). Kurzfristig ist für August 2022 der Start von drei neuen digitalen Galerien geplant, womit das digitale Museum sechs Galerien hätte. Die neuen Galerien präsentieren Afrikas Beitrag zu Wissenschaft und Technologie, Migrationsbewegungen, die Entstehung der panafrikanischen Welt sowie Geschichten von Widerstand, Rebellion, Revolution und Befreiung. Die Fertigstellung des Museumsgebäudes ist für 2023 geplant.

Eine der größten Herausforderungen afrikanischer Museen besteht darin, dass sich die Kulturgüter, die sie ausstellen möchten, noch immer in den Sammlungen von Museen des globalen Nordens befinden und Bemühungen um eine Rückgabe der Objekte an die Herkunftsgemeinschaften bisher nicht besonders erfolgreich waren. Ist das digitale Museum ein Versuch, eine praktische Lösung für das Problem der fehlenden Objekte zu finden?

Die negativen Folgen des Diebstahls von Kulturgütern und menschlichen Überresten durch die europäischen Kolonialmächte für afrikanische Gesellschaften lassen sich nicht dadurch abmildern oder auffangen, dass Afrikaner*innen diese gestohlenen Objekte mithilfe neuer Technologien nachzubilden versuchen. Dies trifft insbesondere auf sakrale Objekte zu. Die preisgekrönte nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie hat diesen Punkt mit folgenden Worten bekräftigt: „All die Dinge, die heilig sind, für die Menschen getötet wurden und die mit dem Blut unschuldiger Menschen befleckt sind, müssen zurückgegeben werden.“

Die negativen Folgen des Diebstahls von Kulturgütern und menschlichen Überresten durch die europäischen Kolonialmächte für afrikanische Gesellschaften lassen sich nicht dadurch abmildern oder auffangen, dass Afrikaner*innen diese gestohlenen Objekte mit Hilfe neuer Technologien nachzubilden versuchen.

Es ist davon auszugehen, dass mit den digitalen Museen in Afrika die Forderungen nach einer Restitution der gestohlenen Kulturgüter und menschlichen Überreste noch lauter werden, weil immer mehr Menschen in Afrika von dem Erbe erfahren, das ihnen genommen wurde.

Das Interview führte Eliphas Nyamogo.