Interview 5 plus 1
Widerstand ein Leben lang

Anne Weber
Anne Weber | Foto: ©Thorsten Greve

"Der Begriff "Held" ist problematisch und oft von totalitären Regimen missbraucht worden, weshalb ich Annette auch im Buch nie als Heldin bezeichne."  So beschreibt die deutsche Autorin Anne Weber ihren neuen Roman, mit dem sie auch in unserem online Buch-Club #meettheauthor zu Gast ist.

Wieder wütet ein Krieg in Europa, der Ukraine, und die dort lebenden Menschen beeindrucken den Rest der Welt mit enormer Resistenz und Verteidigungswillen gegen die russischen, invadierenden Truppen.
Ihr mit dem „Deutschen Buchpreis 2020“ ausgezeichneter Roman „Annette, ein Heldinnen-Epos“ hat daher seit ein paar Wochen  eine neue Aktualität gewonnen. Was bedeuten  für Sie persönlich Mut, Widerstandskraft und Kampf für demokratische Werte wie Freiheit des Einzelnen?


Das Eigenschaften, die für uns alle sehr wichtig sind. In meinem "Heldinnenepos" habe ich das Leben einer Frau erzählt, Anne Beaumanoir, genannt Annette, die bis vor kurzem noch lebte, sie ist diesen März mit 98 Jahren gestorben. Sie hat in ihrem langen Leben mehrfach Widerstand geleistet. Dieser Widerstand galt in sehr jungen Jahren dem Nationalsozialismus, später dem Kolonialismus. Beiden gemeinsam war aber, dass es sich dabei um Fremdherrschaft handelte, um einen imperialistischen Machtanspruch, im ersten Fall des NS-Regimes, das sich Europa und die ganze Welt unterwerfen wollte, im zweiten der Kolonialmacht Frankreich in Algerien. Nie hätte ich gedacht, dass die von Ihnen genannten Qualitäten — Annettes Qualitäten — so bald und in unserer unmittelbaren Nähe wieder gefordert sein würden. Wer, sei es in der Wirklichkeit, sei es lesend, einem Menschen wie Annette begegnet, fragt sich unwillkürlich, was er selbst in einer ähnlichen Situation getan hätte. Leider können wir nicht sicher sein, Annettes Mut zu haben.

Wieso haben Sie ein heutzutage eher pathetisch geladenes Wort wie „Heldin“ in den Mittelpunkt gestellt, als „Heldinnen-Epos“?

Der Begriff "Held" ist problematisch und oft von totalitären Regimen missbraucht worden, weshalb ich Annette auch im Buch nie als Heldin bezeichne. Das Wort kommt bei mir nur im Titel vor, und zwar in dem Wort "Heldinnenepos", und da verweist es auf ein uraltes literarisches Genre, auf die "Odyssee" oder auf "Parzival", also eher auf Legendenhelden als auf Krieger heutiger Zeit. Trotzdem ist Annette aber für mich in gewisser Weise eine Heldin, und zwar hauptsächlich, weil sie während der deutschen Besatzung von Paris zwei ihr völlig unbekannten jüdischen Jugendlichen das Leben gerettet hat.

Wird man nach ihrer Erfahrung eher zur Heldin geboren oder lässt sich eine derartige Resilienz auch lernen bzw. trainieren?

Wie gesagt, ich versuche das Wort eher zu vermeiden. Aber ich glaube nicht, dass man zu irgendetwas geboren wird, weder zum Nobelpreisträger noch zum Taxifahrer noch zur Heldin. Man bringt einiges in seinem Erbgut mit, man erfährt in der Kindheit vielerlei Prägungen, aber irgendwann ist man dann selbst verantwortlich dafür, was man ist und tut. Es geht dabei nicht nur um Mut, jeder Verbrecher kann unter Umständen großen Mut beweisen, sondern es geht auch um ein Gewissen, um charakterliche Festigkeit, um Achtung fremden Lebens. Falls es nur um Mut ginge und dieser ein gewisses Training erfordern sollte, stünden wir in Westeuropa allesamt sehr schlecht da.

Sie wurden in Deutschland geboren und fühlen sich zudem auch der französischen Kultur verbunden. Was ist Ihr größtes Anliegen für die deutsch-französische Freundschaft?

Ach, das sind ganz gewöhnliche Dinge wie das gegenseitige Kennenlernen, ich finde zum Beispiel die alte Idee der Verschwisterung von Städten und auch kleinen Ortschaften sehr gut, weil sie mit einem Austausch einhergeht, mit Reisen ins jeweils andere Land, wie auch der Schüler- oder Studentenaustausch. Wenn man sich kennt, wird es schwieriger, gegeneinander Krieg zu führen. Übersetzungen können natürlich auch viel dazu beitragen, dass man sich mit anderen Lebenswelten vertraut macht.


Verkörpert Ihre Roman-Heldin Annette Beaumanoir  auch Züge ihrer eigenen Persönlichkeit?

Leider nicht! Ich fürchte, eher das genaue Gegenteil von ihr zu sein: Sie war lebhaft, tatkräftig, mutig, ich bin eher nachdenklich, zweifelnd und womöglich sogar eher feige, ich weiß es nicht. Das sind ja Dinge, die man erst in gewissen Situationen herausfinden kann. Das Einzige, was ich ihr voraus habe, ist wohl eine gewisse Begabung für das Bücher-Schreiben.                       

Plus 1 (diese Frage ist für alle gleich)
Was für einen Beruf hätten Sie sich vorstellen können, wenn Sie nicht Schriftstellerin geworden wären?


Sängerin. Wobei man das als Schriftstellerin gewissermaßen auch ist. Die Dichtung war ursprünglich Gesang. Und in gewissem Sinne enthält ein Buch auch weiterhin eine Art stillen Gesang.