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UNTERWEGS ZUR FRANKFURTER BUCHMESSE
Das Ich im Text

Messegelände mit Messeturm in Frankfurt am Main | Foto: (Detail) © Mauritius/FreedomMan/imageBroker
Messegelände mit Messeturm in Frankfurt am Main | Foto: (Detail) © Mauritius/FreedomMan/imageBroker

Ein aufregendes literarisches Jahr neigt sich dem Ende zu. Die Autofiktion erlebt ihren Höhepunkt, Männlichkeit und Vater-Sohn-Beziehungen wurden ebenso verhandelt wie der Dauerbrenner DDR. Zum Abschluss dürfen wir uns auf literarische Entdeckungen freuen: Slowenien ist Gastland der Frankfurter Buchmesse.

Seien wir ehrlich: Die hiesige Buchbranche wäre nichts ohne ihre Krisen. Bei den vielen Unkenrufen der vergangenen Jahre kann einen mitunter der Eindruck beschleichen, dem Literaturbetrieb mache es klammheimlich Spaß, stets aufs Neue den eigenen Untergang zu beschwören. Was bei all diesen Krisen – vom allgemeinen Leser*innenschwund bis zu den explodierten Papierpreisen – aber deutlich wird, ist vor allem eins: Die Buchbranche erweist sich allen Hürden zum Trotz als resilient. Die Verkäufe mögen rückläufig sein, die Kosten höher, aber gleichzeitig werden neue Verlage gegründet und aktuelle Debatten gesetzt.

Väter und Männlichkeit

Zu den diesjährigen Debatten gehörte auch die Auseinandersetzung mit Männlichkeit – ein Diskurs, der sich inzwischen von den Autorinnen hin zu den Männern weiterentwickelt hat. Ob im Sachbuchbereich oder in der Belletristik, gleich mehrere Romane, Memoirs, Essays und Anthologien behandelten das Thema. Autoren wie Christian Dittloff, Paul Brodowsky oder Frédéric Schwilden schrieben über elterliche Prägung, gesellschaftliche Sozialisation und darüber, ob und wie es möglich ist, aktiv gegen toxische Männlichkeit anzugehen. Tragisch allerdings, dass dieser Sommer der kritischen Männlichkeit in einem Skandal endete: Einer der beiden Herausgeber der Männlichkeits-Anthologie Oh Boy hatte gegen den Willen des Opfers in seinem Text einen echten sexuellen Übergriff beschrieben.

Das führt zu einer Frage, die seit jeher die Literatur beschäftigt und die sich nicht eindeutig beantworten lässt: Wie viel Realität darf sein, vor allem, wenn andere zu Schaden kommen könnten? Ein Genre muss sich mit diesem Komplex besonders beschäftigen: die Autofiktion. Nachdem autofiktionale Literatur in der französisch- und englischsprachigen Welt seit vielen Jahren populär ist (und Annie Ernaux als einer Hauptvertreterin 2022 der Nobelpreis verliehen wurde), ist sie nun auch in Deutschland angekommen. Schaut man auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises, der zwei Tage vor Beginn der Frankfurter Buchmesse verliehen wird, sind es von den sechs Romanen mit Die Möglichkeit von Glück von Anne Rabe und Maman von Sylvie Schenk gleich zwei Werke, die starke autobiografische Bezüge haben.

Neben Schenk und Rabe gibt es noch ein drittes Shortlist-Buch, das sich explizit mit den Eltern auseinandersetzt: Vatermal von Necati Öziri. Der Autor reiht sich mit seinem Debütroman zudem in eine neuere Tradition sogenannter postmigrantischer Autoren ein, die in ihren Romanen Vater-Sohn-Beziehungen verhandeln. Neben Öziri sind das beispielweise Deniz Utlu, dessen Vaters Meer das Thema ebenfalls im Titel hat, und Fikri Anıl Altıntaş, die autofiktionale Auseinandersetzung eines jungen Mannes, der in zweiter Generation in Deutschland lebt, mit dem eigenen Vater.

Die DDR aus Sicht der Nachgeborenen

Der Deutsche Buchpreis verrät einen dritten Gegenstand, um den sich deutschsprachige Literatur derzeit dreht. Dieser ist nicht neu – es geht um die Beschäftigung mit der DDR, inzwischen häufig aus der Sicht jener, die sie nicht mehr bewusst erlebt haben. Neben dem erwähnten Buch von Anne Rabe, in dem sich die Ich-Erzählerin mit der Schuld ihrer Eltern und Großeltern und den Auswirkungen auf ihre Generation beschäftigt, standen noch drei „DDR-Romane“ auf der Long- und teilweise Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Einer davon bescherte dem Literaturbetrieb einen weiteren, wenn auch kleineren Skandal. Charlotte Gneuß schreibt in Gittersee über den Alltag in Dresden im Jahr 1976. Gneuß‘ Eltern sind zwar in der DDR aufgewachsen, sie selbst aber wurde 1992 in Ludwigsburg geboren. Als im Spätsommer eine ursprünglich verlagsintern gedachte „Mängelliste“ des ostdeutschen Autors Ingo Schulze an die Öffentlichkeit gelangte, stellte sich in diesem Fall erneut die in den Feuilletons verhandelte Frage: Wer darf über was schreiben?

Kleines Land, große Literatur

Wenn wir über die derzeit relevanten Themen in der deutschsprachigen Literatur sprechen, müssen wir unbedingt nach Österreich schauen. 2023 war nämlich ein sehr erfolgreiches Jahr für die Literatur aus dem Nachbarland. So stammten nicht nur sechs der zwanzig für den Deutschen Buchpreis nominierten Titel von österreichischen Schriftsteller*innen, Österreich war außerdem Gastland auf der Leipziger Buchmesse im April 2023.

Als hätte man sich abgesprochen, ist auf der Buchmesse in Frankfurt nun ein Land zu Gast, das historisch und kulturell sehr enge Beziehungen zu Österreich hat: Slowenien. Dieses kleine Land aus dem Südosten Europas hat unter dem Motto „Waben der Worte“ einiges vor. Um die slowenische Literatur angemessen zu bewerben, wurden im Vorfeld mehrere Reisen für Journalist*innen, Lektor*innen und Blogger*innen organisiert, die die kulturelle Vielseitigkeit Sloweniens kennenlernen durften. Sie berichteten nicht nur begeistert, wie etwa in diesem FAZ-Artikel, sondern brachten auch Übersetzungen slowenischer Bücher mit – damit wir alle die Möglichkeit haben, die große Literatur des kleinen Landes zu entdecken!
 

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