Formen Zukunftsorientierter Kollaborationen im Kunsthandwerk

Bruderer in Mirpur Benaroshi Polli, Bangladesh
Bruderer in Mirpur Benaroshi Polli, Bangladesch © Goethe-Institut

Eine Reflexion über die Zukunft des Kunsthandwerks

Von Thomas Kilian Bruderer

Während mehrerer textiler Forschungsreisen in wenig verwestlichte Gebiete Mexikos und Bangladeschs, mit noch weitgehend intakten Strukturen an produzierendem Kunsthandwerk, durfte ich viele hochkreative und unglaublich fingerfertige Persönlichkeiten kennenlernen. Die teilweise nur noch schwerlich zu findenden Meisterinnen und Meister ihrer jeweiligen Zunft erhalten wichtiges kulturhistorisches Wissen am Leben. Dieses wird jedoch nach und nach von der globalisierten Produktion verdrängt und findet in den schnelllebigen, kapitalistischen und auf Mindestpreis (und somit auch Mindestlohn) getrimmten Weltmärkten seinen Platz meist nur noch als Nischenprodukt.
 
Zwar gibt es Programme wie den Cultural Heritage Fund der Vereinten Nationen, private Organisationen oder NGOs, welche das unaufhörliche Aussterben dieser Traditionen zu verhindern versuchen. Leider aber scheint auf lange Sicht überall der Drang nach westlichen Lebensstandards und der Traum vom vermeintlich besseren Leben mit mehr Geld und viel Konsum zu gewinnen. Es sollte aber möglich sein, diese Lebenskonzepte zu vereinen.

Sind traditionsreiche Methoden, bestimmte Produkte herzustellen noch zeitgemäß oder müssen sie dem treibenden Takt des globalisierten Wirtschafts-Rhythmus weichen und schließlich ganz daran zu Grunde gehen?

 
Ich bin in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Obwohl ich in kleinbürgerlichen Verhältnissen sozialisiert wurde, sind bei uns zu Hause qualitativ hochwertige Produkte den Billig-Versionen meist vorgezogen worden. Alltagsgegenstände wurden ausgebessert, repariert oder wieder in neuwertige Produkte umgewandelt, wenn sie das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben. Ich bin sicher, diese Wertvorstellung hat mich nachhaltig geprägt und meinen weiteren Lebensweg mitbestimmt. Seit einem Jahrzehnt wohne ich nun in Berlin und es fällt mir auf, dass hier vermehrt über den Preis entschieden wird, was im Einkaufskorb landet. Ich weiß nicht, ob das eine grundsätzliche Haltung zum Thema „Geiz ist geil“ oder ausschließlich eine des regional niedrigeren Einkommens ist.
 
Auffällig bleibt der Unterschied aber allemal und gründet natürlich nicht nur in einer Geisteshaltung, sondern auch in den rein wirtschaftlichen Möglichkeiten eines jeden*. Trotz alle dem fällt auf, dass im übrigen Nordeuropa der Markt für handwerklich und qualitativ hochwertige Waren wieder zaghaft wächst. Das mag an der zunehmenden Abwesenheit des klassischen Handwerks in den hochindustrialisierten und digitalen Lebenswelten der westlichen Konsumgesellschaften liegen, da dieses den Preisniveaus der Billigproduktion nicht standhalten kann.

Aber vielleicht auch an einer Romantisierung des handfesten, fassbaren Handwerks und einer Sehnsucht nach dem Altbewährten in einer Zeit, wo sich der Mensch langsam zum durchsichtigen Datenträger wandelt.
 
Und genau aus diesem Grund sollten diese gesellschaftlichen Strömungen ernst genommen, politisch unterstützt und weltweit förderliche Rahmenbedingungen für das Handwerksmetier geschaffen werden, um es vor dem Kollaps und dem darauffolgend unausweichlich endgültigen Vergessen zu bewahren. Dazu gehört das Sammeln und noch wichtiger: das Weitervermitteln von althergebrachtem Wissen bereits in den Schulen, die fundierte Unterstützung des noch bestehenden Handwerks und die Organisation von Absatzkanälen für die produzierten Waren, ohne die kein Anreiz für die oft ungemein aufwändigen Arbeitszyklen besteht. Man* kann dabei aber oft auf die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Kunsthandwerker*innen hoffen und bauen.
 
Meine persönliche Erfahrung ist, dass genau diese Domänen meist sehr offen für Modifikationen an die modernen Bedarfe sind. So werden aus wirtschaftlichen Überlegungen zum Beispiel statt natürlicher Materialien gerne die leichter erhältlich synthetisch gewonnenen verwendet. Es wird mechanisch verarbeitet anstelle von manuell und es werden Werkzeuge benutzt, ohne die man* ursprünglich gut ausgekommen ist. Dies sind natürlich bereits schwerwiegende Adaptierungen des historischen, traditionellen Handwerks. Aber vielleicht sollten wir diese zwangsweise in Kauf nehmen, um noch zu retten, was zu retten ist.

Eine museale Erhaltung von nicht gelebtem Brauchtum ist für Außenstehende zwar hübsch anzusehen, bringt aber den Meister*innen kein Einkommen und ist somit nicht nachhaltig.
 
Hier kommt dann auch die Arbeit des Designers / der Designerin ins Spiel, welche*r behutsam zwischen den divergierenden Kulturwelten, Fachdisziplinen und Anwendungstechniken vermittelt. Das ist eine teilweise komplizierte Gratwanderung und kann nur mit ehrlicher Hochachtung und Wertschätzung gegenüber der gelebten Tradition funktionieren.
 
Es benötigt Fachwissen über Materialien, Verarbeitungstechniken, kulturelle Hintergründe, den wohlwollenden Respekt vor dem Kulturgut anderer Völker sowie deren klares Einverständnis, sich auf solche Experimente einzulassen. Auch sind sozialökonomische Einflüsse auf bestehende Gemeinschaftsverbände nicht zu unterschätzen. Im Unternehmen sollte vermieden werden einfach endlos und ungezielt Geld in einen in sich geschlossenen Wirtschaftsraum zu pumpen, mit der naiven Absicht etwas Gutes tun zu wollen. Vielmehr ist abzuwägen und ständig wieder neu zu prüfen, wie die Verteilung der Wertmittel vor Ort erfolgt. Ob davon nur eine einzelne Person bzw. deren Familie davon profitiert oder ob der gesamte Sozialverbund miteinbezogen werden kann. Diesbezüglich sollten Hilfsprogramme und Schulungen eine wichtige Rolle spielen, damit alle Beteiligten von der Zuwendung profitieren können. Bildungsmaßnahmen müssen darauf abzielen, bereits die Kinder mit zu integrieren damit das oft nur mündlich weitergegebene Wissen nicht verloren geht. Die Ausbildung könnte als Nebenfach im regulären Schulbetrieb absolviert werden.

Nach meiner persönliche Erfahrung hat sich dabei der Zusammenschluss mit lokalen NGOs als ein Bereicherung für beide Seiten ebenso wie als Schlüssel für den Zugang in die oft in sich geschlossenen Communities bewährt.
 
Dass jedoch auch dabei die Löhne für diese Handwerks-Künstler*innen nicht nach der Gewinn-Maxime, sondern nach Fair-Trade-Prinzipien kalkuliert werden, diese also zum Beispiel nicht nur nach dem Mindestlohn ausbezahlt werden, sollte eine absolute Selbstverständlichkeit sein. Nur so werden wir uns auch in der Zukunft noch an ungemein vielfältigem und handwerklich einmaligem Geschick erfreuen dürfen, welches nicht von Maschinen in unendlich gleichförmigen Massen reproduziert wird.

 
In diesem Online-Seminar gibt Bruderer einen Einblick in seine Arbeit mit den Kunsthandwerker*innen der Tzotzil-Maya in Mexiko
In diesem Online-Seminar gibt Bruderer einen Einblick in seine Arbeit mit den Kunsthandwerker*innen der Tzotzil-Maya in Mexiko

ÜBER DEN AUTOR

Thomas Kilian Bruderer ist Dozent an der Hochschule Macromedia und Gründer von Cho'jac. Er hat in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Bangladesch Local International IV social design + crafts und die Ausstellung Deshi Kārushilpo কারুশিল্প Bangladeschi Kunsthandwerk koordiniert. 
 

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