Gesellschaft gestalten

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Gesellschaft gestalten: In einem Deutsch-Bangladeschischen Austauschprogramm erforschen die Teilnehmer*innen Design zwischen Ästhetik und sozialem Unternehmertum

Von Anna Kessel

Entwicklungshilfeorganisationen und NGOs in Bangladesch haben die handwerkliche Textilproduktion als Möglichkeit erkannt, um Menschen aus einkommensschwachen Verhältnissen eine Beschäftigung zu bieten und ländliche Infrastrukturen zu stärken. Und auch innerhalb Deutschlands wächst die Zahl der Unternehmen, die versuchen, ökonomische Perspektiven für Benachteiligte am ersten Arbeitsmarkt durch die gezielte handwerkliche Einbindung in Designprozesse zu schaffen. Im Austauschprogramm LOCAL INTERNATIONAL IV social design + crafts treffen Studierende und Nachwuchsdesigner*innen aus Berlin und Dhaka auf Gründer*innen, die sich der Idee des sozialen Unternehmertums verschrieben haben. Alle Parteien, so zeigt sich, können im Austausch viel voneinander lernen, denn: Relevantes Design erfordert nicht nur ein holistisches Verständnis lokaler Gegebenheiten und globaler Märkte, sondern muss heute mehr denn je interdisziplinär und ressourcenorientiert gedacht werden.

Nawshin Khair: „handwerkliche Ökosysteme“

Wenngleich in den Online-Seminaren des Austauschprogramms zwischen Berlin und Dhaka ein allgemeines Verständnis über soziales Design herrscht – die Ansätze der eingeladenen Unternehmer*innen sind so divers, wie die Geschichten hinter ihren Produkten. In Bangladesch ansässige Unternehmen wie Living Blue, Aranya oder auch das Fair-Trade-Unternehmen Prokritee liefern z.B. gute Beispiele dafür, wie ökonomisch marginalisierte Gemeinschaften durch den Ansatz, Arbeitsgemeinschaften aufzubauen, gestärkt werden können. 
Zu Gast im Austauschprogramm erzählt Swapan K. Das, Executive Director von Prokritee, dass die Organisation, die vor allem zur ökonomischen Förderung von Frauen entwickelt wurde, heute über 1.500 Handwerker*innen aus ländlichen Gebieten unterstützt. In acht Handwerksgruppen stellen sie Produkte aus erneuerbaren Materialquellen wie recycelten Saris und Naturfasern wie Jute und Seide her – mit Erfolg: Prokritee konnte u.a. das von der Fair-Trade-Aktivistin Safia Minney gegründete, erfolgreiche britische Modeunternehmen People Tree als Partner gewinnen. Keine*r der eingeladenen Unternehmer*innen findet allerdings so eindringliche Worte wie Nawshin Khair, Geschäftsführerin des Fairtrade-Labels Aranya. Auch Khair geht es bei sozialem Unternehmertum vor allem darum, ‘handwerkliche Ökosysteme‘ zu schaffen und zeigt dabei, wie wichtig ein holistisches Verständnis der lokalen Gegebenheiten ist. Weil sie eine Stagnation in der Entwicklung des Handwerks-Sektors beobachtete – einem Mangel an Ressourcen, aber auch an Fortbildungsmöglichkeiten und Innovation durch internationalen Austausch geschuldet – konzentriert sich die Geschäftsführerin mit Aranya, einem Unternehmen für hochwertige und fair gehandelte Handwerkskunst, verstärkt auf die Vernetzung unter Handwerksbetrieben. 2016 gründete sie unterstützend zum gewinnorientierten Unternehmen die non-profit Organisation Bengal Craft Society.

„Es dauert mindestens drei Jahre, um den Lebensunterhalt einer Community von Grund auf neu zu organisieren. Kein gewinnorientiertes Unternehmen kann sich diese Inkubationszeit leisten. Hier setzen wir mit der Idee von Ökosystemen an.“

Nawshin Khair

Der Anlass: Die Bengal Craft Society sichert heute die Existenzgrundlagen von- und die wirtschaftlich sinnvolle Vernetzung unter Handwerker*innen und Betrieben, während Aranya den Handwerker*innen und ihren Produkten den Zugang zu nationalen und internationalen Märkten ermöglicht.
 


Lisa Jaspers: „machbares, stärken-orientiertes Design“

Unter den Gründer*innen, die den Teilnehmenden des Austauschprogramms ihre Erfahrungen im Bereich sozialen Unternehmertums an die Hand geben, ist auch Lisa Jaspers, Gründerin des Berliner Fair-Trade-Labels FOLKDAYS. Die studierte Entwicklungsökonomin arbeitete in der Vergangenheit u.a. für Oxfam als Beraterin. Heute ist sie vor allem Sozialunternehmerin und setzt sich mit FOLKDAYS und der internationalen Zusammenarbeit mit 32 Handwerker*innen aus 25 Ländern für den Erhalt von Kunsthandwerk und faire Arbeitsbedingungen ein. Aus deutscher Perspektive lenkt sie den Blick dabei besonders auf die Erschließung internationaler Märkte. 

Jaspers Entscheidung, ihr eigenes Label zu gründen, basierte u.a. auf der Feststellung, dass infrastruktur stärkende Projekte wie der Auf- und Ausbau von Handwerksbetrieben zwar sinnvolle ökonomische Maßnahmen seien, in den Projekten internationaler NGOs jedoch noch zu selten ein Bewusstsein für gutes Design und die erfolgreiche Erschließung internationaler Märkte bestehe. Sie trifft damit einen wunden, und im Austauschprogramm LOCAL INTERNATIONAL wichtigen Punkt: in den Projekten vieler NGOs werden zwar textile Produkte produziert, doch findet die Planung oft ohne ein Verständnis für gute Gestaltung oder Marktbedürfnisse statt. Die zeitaufwändig handwerklich hergestellten Produkte enden entsprechend als billige Massenware in Europa. 

Was es braucht sind nach Jaspers Fairtrade-Produkte, die eine jüngere, design-orientierte Zielgruppe ansprechen. Diese Ansprüche müssen jedoch auf Augenhöhe mit den Produzent*innen umgesetzt werden. Mit FOLKDAYS kollaboriert sie deshalb mit Handwerksbetrieben, in dem sie der Prämisse „doable Design“, also eines umsetzbaren Designs folgt: 

„Wir wollen nicht einfach ein wunderschönes Produkt kreieren und dann jemanden suchen, der/die sich dazu gezwungen sieht, etwas zu fertigen, mit dem er/sie nicht vertraut ist. Eben das führt in der Zusammenarbeit allzu oft zu Frustration und Problemen auf Policy Ebene. Wir konzentrieren uns stattdessen auf die Stärkung vorhandener Fähigkeiten und auf Produkte, die unseren Handwerker*innen die Möglichkeit geben, sie in hoher Qualität zu fertigen.“

Lisa Jaspers


Wie erfolgreich dieses Modell des ressourcenorientierten Designs sein kann, hat Jaspers nicht zuletzt innerhalb des Projektes IKAT/eCUT, einer Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und der Nonprofit-Organisation be able zur ‚handwerklichen Zukunft von Kleidung und Textilien‘ gezeigt. Die Textil-Residenzen brachten sechs Designerinnen aus Deutschland mit Produzenten traditioneller Textilien in Indonesien, Malaysia und den Philippinen in Workshops zusammen, innerhalb derer gemeinsam Produkte entwickelt wurden, die sich durch zeitgenössisches Design, hohe handwerkliche Qualität und traditionelle Fertigung auszeichnen.


Charlotte Ehrhorn und Constanze Klotz: „Talente, statt Abschlüsse“

Ein in der Reihe eher ungewöhnliches, und deshalb umso inspirierenderes Beispiel für soziales Unternehmertum geben schließlich die Gründer*innen des in Hamburg ansässigen Upcycling Labels Bridge&Tunnel. Sie zeigen: auch für die deutschen Teilnehmer*innen lohnt es sich, in puncto sozialem Unternehmertums direkt in der eigenen Umgebung zu beginnen. Mit Bridge&Tunnel designen und vermarkten die diplomierte Textildesignerin Charlotte Erhorn und die promovierte Kulturwissenschaftlerin Constanze Klotz erfolgreich geupcycelte Denim-Produkte aus post- und pre-consumer waste. Der ökologisch nachhaltige Ansatz, der sich über Materialkooperationen mit der Kleiderkammer Wilhelmsburg oder Hanseatic Help realisieren lässt, steht bei dem sozialen Unternehmen jedoch nicht allein an vorderster Stelle. Denn, so erklären die Gründerinnen: „Wir möchten vor allem Brücken in den ersten Arbeitsmarkt bauen.“ ‚Talente, statt Abschlüsse‘, lautet dabei ihr Motto. Die beiden Unternehmerinnen setzen dabei auf die Expertise und Motivation der Menschen, die in enger Kooperation mit dem lokalen Jobcenter zu ihnen finden. 

„Durch viele einmalige Begegnungen war uns schnell klar: Zeugnisse sind nicht alles im Leben. Viele unserer Mitarbeiter*innen haben entweder keine Zeugnisse oder hatten – bedingt durch ihr Alter, ihre Sprache, ihre Religion, ihre Gehörlosigkeit oder ihre Fluchtgeschichte – bislang Schwierigkeiten, auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Job zu finden. Dabei bringen viele von ihnen kreative Fähigkeiten und Fertigkeiten aus ihren Heimatländern oder ihrem Familienkontext mit, die für die textile Produktion von großem Nutzen sind.“

Charlotte Erhorn


Bridge&Tunnel steht also für Design, welches Gesellschaft auch vor der eigenen Haustür verändern möchte.

Mit kleinen Ideen Wandel anstoßen  – ein Ausblick

Vor allem die ersten Beispiele zeigen auf, wie wichtig es für soziale Unternehmen und deren Designprozesse ist, einerseits lokale Gegebenheiten zu verstehen, andererseits auch die internationalen Märkte mitzudenken. Mahenaz Chowdhury, eine teilnehmende Studentin, die bereits während ihres Studiums ihr eigenes Upcycling Label Broqué gegründet hat, weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, diese Märkte zu erschließen – vom Verständnis lokaler Infrastrukturen, über die richtigen Vertriebskanäle bis hin zur Frage der Skalierbarkeit. Der Austausch mit den anderen Gründer*innen hat ihr in dieser Hinsicht viele neue Perspektiven eröffnet und sie in ihrer Arbeit ermutigt. Denn gerade für die erfolgreiche Erschließung von internationalen Märkten braucht es ausgebildete Designer*innen, welche die Gestaltung hochwertigerer Produkte und eine an Kundenbedürfnissen und fairen Produktionsmöglichkeiten ausgerichtete Planung liefern, sowie einen Mehrwert schaffen, der eine reale finanzielle Verbesserung dieser sozialen Projekte bedeuten kann. 

Samia Rafique, eine junge Designerin aus Dhaka, die u.a. bereits für Aranya arbeitete, ist zuversichtlich, dass Unternehmen diesen Mehrwert in Zukunft verstärkt zu schätzen lernen: „Social Business bedeutet für mich, Produkte zu designen, die sich positiv auf Umwelt und Gesellschaft auswirken. Der Fokus des Unternehmens sollte nicht auf Quantität, sondern auf dem Verkauf von Qualitätsprodukten zu wirklich fairen Preisen liegen.“ Dass die Nachfrage nach solchen Produkten steigt, sieht sie mit Zuversicht: „Wenn ein handwerklich gefertigtes Produkt hohe Qualität, zeitloses Design und eine authentische Geschichte vereint, wird es sich international verkaufen. Dafür müssen wir erfolgreich eben diese Geschichten vermitteln.“ Wie sich diese Geschichten erzählen lassen könnten, zeigen die Studierenden und Teilnehmenden aktuell in der Abschlussausstellung des Projekts.
 

Über die Autorin

Anna Kessel
Anna Kessel
 ist studierte Kulturwissenschaftlerin. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Textilien in der bildenden Kunst mit besonderem Fokus auf die Weberei-Klasse am Bauhaus und ihren (post-)kolonialen Verbindungen nach Latein Amerika. Sie ist Co-Gründerin des Online Magazins „die konsumentin“, wo sie seit mehreren Jahren über verantwortungsvollen Mode-Konsum, die Textilindustrie, Umwelt- und Menschenrechte schreibt.

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