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Mieterschutz
Berliner Ideen gegen die Mietenexplosion

Sanierter Altbau in bester Lage: Dieser Wohntraum ist in Berlin für viele Menschen mittlerweile unbezahlbar.
Sanierter Altbau in bester Lage: Dieser Wohntraum ist in Berlin für viele Menschen mittlerweile unbezahlbar. | Foto (Detail): Adobe

In der Hauptstadt ist es heute vielerorts fast unmöglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Damit soll jetzt Schluss sein: Seit März 2020 gilt in Berlin der Mietendeckel, der Bestandsmieten für fünf Jahre einfriert. Doch es ist nicht das einzige Mittel, mit dem Berliner Mieter*innen geschützt werden sollen.

Von Nele Jensch

Zwei Zimmer, 550 Euro warm, 1.749 Interessenten: Dass die Menschenschlangen bei Wohnungsbesichtigungen bis auf die Straße reichen, ist in Berlin schon lange normal. Doch der Ansturm auf eine Wohnung in Schöneberg im November 2019 war dann doch ein sehr deutliches Beispiel für den angespannten Wohnungsmarkt. Seit etwa zehn Jahren steigen die Mieten im einstigen Mekka der Wohnungs-Dumpingpreise konstant. In beliebten Lagen wie Mitte oder Kreuzberg haben selbst Normalverdienende kaum noch eine Chance, eine bezahlbare Wohnung zu finden.
 
Maßnahmen wie das Zweckentfremdungsverbot von Ende 2013 – das es untersagt, eine Wohnung für mehr als 90 Tage pro Jahr etwa über Airbnb unterzuvermieten – oder die Mietpreisbremse von 2015 zeigten bisher kaum Wirkung. Und so entschloss sich der rot-rot-grüne Senat zu einem drastischeren Schritt: Seit März 2020 gilt in Berlin der Mietendeckel, der die Bestandsmieten in der Hauptstadt für fünf Jahre einfriert. Mietsteigerungen sind in dieser Zeit nicht möglich und zu hoch angesetzte Mieten müssen nach unten korrigiert werden: Maximal dürfen Vermieter*innen acht Euro pro Quadratmeter verlangen. Ausgenommen sind nur Neubauten, die nach 2014 entstanden.
Demonstration im Berliner Stadtteil Kreuzberg 2018. Demonstration im Berliner Stadtteil Kreuzberg 2018. | Foto (Detail): picture-alliance /Wolfram Steinberg/dpa

Zum Wohl der Mieter – auch langfristig?

Das neue Gesetz zeigte schnell eine erste Wirkung: Kurz vor Inkrafttreten des Mietendeckels, im Februar 2020, waren noch 95 Prozent der angebotenen Mietwohnungen in Berlin teurer als erlaubt. Bereits in den ersten Märztagen reduzierten einige Vermieter*innen ihre monatlichen Forderungen. Insgesamt scheint auch ein Großteil der Deutschen die Maßnahme zu begrüßen: Laut ARD-Deutschlandtrend bewerten 71 Prozent der Bevölkerung den Berliner Mietendeckel als eher gut. Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sieht darin auch durchaus ein Vorbild für andere Städte – konkrete Vorhaben gibt es andernorts bisher jedoch nicht.
 
Kritik am Mietendeckel kommt vor allem von Seiten der Opposition und der Immobilienwirtschaft. Investor*innen könnten sich von Bauabsichten in der Hauptstadt zurückziehen, so die Befürchtung, der dringend notwenige Neubau von Wohnungen käme zum Erliegen. Das Gesetz verunsichere Mieter*innen, Vermietende und Baugewerbe, erklärt Sebastian Czaja, Fraktionsvorsitzender der FDP im Abgeordnetenhaus, auf Nachfrage. Zudem zweifelt er an der beabsichtigten Wirkung: „Auch bei gedeckelten Mieten geht die heißbegehrte Innenstadtwohnung schlussendlich an den Meistbietenden.“ Wer Mieter wirklich entlasten wolle, müsse für Entspannung auf dem Markt sorgen. „Das geht nur durch mehr Angebot, also: bauen, bauen, bauen.“ Die CDU- und FDP-Fraktionen im Abgeordnetenhaus kündigten an, vor dem Verfassungsgericht gegen den Mietendeckel zu klagen.
 

Milieuschutzgebiete: Der Bezirk spricht mit

 
Anderen hingegen geht die Senatsmaßnahme nicht weit genug: „Durch Mietregulierung à la Mietendeckel werden zwar unnötige Mietsteigerungen gestoppt, was vielen Menschen hilft. Zugleich werden jedoch neue Schlupflöcher geschaffen, die es ermöglichen, die weiter existierende Wohnungsnot ausnutzen“, erklärt Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg.
 
In dem Berliner Bezirk wird wohl am entschiedensten und mitunter auch unorthodoxesten für Mieter*innenschutz gekämpft – und das schon lange, bevor der Mietendeckel diskutiert wurde. So erweitert die grün-rot-rote Bezirksregierung stetig die sozialen Erhaltungsgebiete, auch Milieuschutzgebiete genannt. Die Maßnahmen in diesen Gebieten sollen dafür sorgen, das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und sozialer Schichten zu erhalten. Mietsteigernde Aufwertungsmaßnahmen von Wohnungen (wie beispielsweise der Einbau einer Fußbodenheizung) sind genehmigungspflichtig, ebenso wie die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. In den Umwandlungen sieht Schmidt zurzeit das größte Problem: „Eigenbedarfskündigungen sind mittlerweile der häufigste Kündigungsgrund. Aber auch durch unnötige Entmietungen unter Ausnutzung von geltendem Recht und durch Schikane verlieren viele Menschen ihre Wohnung.“
 
Der Baustadtrat genießt überregionale Bekanntheit, weil er den Verkauf zahlreicher Häuser in sozialen Erhaltungsgebieten verhinderte, indem er das Vorkaufsrecht anwendete. Mit diesem Instrument können Berliner Bezirke intervenieren, wenn die neuen Eigentümer*innen nicht von Luxussanierungen und damit verbundenen Mietsteigerungen oder Umwandlungen in Eigentumswohnungen abrücken wollen. Die betreffende Immobilie geht dann im Regelfall an eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft und wird nicht mehr zu spekulativen Preisen verkauft.
Protestplakat gegen Miethaie an einem Wohnhaus in Berlin. Protestplakat gegen Miethaie an einem Wohnhaus in Berlin. | Foto: © picture alliance/Winfried Rothermel

Enteignung als Mittel gegen Immobilienkonzerne

Doch nicht nur die Politik setzt sich in Berlin für Mieter*innenschutz ein. Im April 2019 demonstrierten in der Hauptstadt rund 40.000 Menschen gegen steigende Mieten und Spekulation mit Wohnraum, unter ihnen eine ganze Reihe von Organisationen und Initiativen.
 
Die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ beispielsweise fordert die Vergesellschaftung von rund 240.000 Wohnungen von Immobilienkonzernen, notfalls durch Enteignung. Dafür strebt sie ein Volksbegehren an und überreichte dem Senat im Juni 2019 auch bereits 77.000 Unterschriften. Zahlreiche weitere Initiativen wie „Bizim Kiez“ („Unser Kiez“), „Kotti&Co“ oder „Ora Nostra“ werden aktiv, wenn Mieter*innen aus ihren Wohnungen verdrängt werden oder Häuser an potentiell luxussanierungswillige Investor*innen verkauft werden sollen. Die Initiativen sind gut vernetzt, auch mit der Lokalpolitik – und nicht selten gelingt es ihnen, genügend Druck auszuüben, um Verkäufe und Verdrängung zu verhindern.

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