Koreaner*innen in Berlin
„Es war alles sehr nah“

Als Young Sook Rippel 1966 nach Berlin kommt, steht die Mauer erst seit fünf Jahren. Sie gehört zur ersten Generation junger koreanischer Frauen, die von der Bundesrepublik als Krankenschwestern angeworben werden. Anfangs macht ihr die Nähe zur DDR Angst, doch ihre Arbeit als Krankenpflegerin und ihr politisches Engagement verändern auch ihren Blick aufs große Ganze.
Als 1989 die Mauer fiel, lebten Sie schon seit über zwanzig Jahren in Deutschland. Hat Sie die Wende überrascht?
Ja, sehr. Ich war gemeinsam mit anderen Koreanerinnen am Brandenburger Tor, als die Mauer fiel. Wir haben sehr viel geweint und dachten: „Warum zuerst Deutschland und nicht Korea? Wenn ein Land mit einer belasteten Vergangenheit wie Deutschland die Wiedervereinigung schafft, warum müssen wir dann weiter leiden, obwohl wir an unserer Teilung gar keine Schuld haben?“ Das war ein sehr gemischtes Gefühl. Auf der anderen Seite fanden wir es natürlich gut, dass die Mauer fiel.
Ich hatte Angst, nach Berlin zu kommen.
Wie kamen Sie nach Berlin?
Ich kam 1966 mit zweiundzwanzig Jahren nach Berlin. Damals war Berlin ja wie eine Insel und ich wollte nicht dorthin, denn ich hatte Angst. Ich war antikommunistisch erzogen worden, zuhause und in der Schule. Mein Vater war im Koreakrieg gestorben, daher wuchs ich mit besonders viel Hass auf die Kommunisten auf. Ich hatte Angst nach Berlin zu kommen, Angst vor der kommunistischen Umgebung, in der sich Berlin befand.
Warum kamen Sie trotzdem?
Nachdem ich mich als junge Krankenschwester in Seoul auf eine Zeitungsannonce gemeldet hatte, wurde ich für das Gastarbeiterprogramm angenommen und absolvierte sechs Wochen lang Vorbereitungsunterricht. Danach wurden wir aufgeteilt. Mir wurde gesagt, ich käme nach Berlin. Das lehnte ich zunächst ab, doch der Lehrer unserer Gruppe sagte mir, die Bedingungen in Berlin seien besser als anderswo. Dort würden wir zu Beginn drei Monate Deutschunterricht im Goethe-Institut bekommen, ohne im Krankenhaus arbeiten zu müssen. Auch der Lohn sei in Berlin höher als in anderen Städten. Das überzeugte mich und kurze Zeit später war ich Schwester im Krankenhaus Havelhöhe, welches damals noch eine Lungenklinik war.
Wie empfanden Sie in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft die politische Situation im geteilten Berlin?
Anfangs habe ich wenig mitbekommen, denn bei meinen Deutschkenntnissen konnte ich weder Zeitung lesen noch Nachrichten ansehen. Ich war mehr mit Deutschlernen und den Vorbereitungen für die Arbeit im Krankenhaus beschäftigt. Einmal wollte ich aus Neugier zum Grenzübergang an der Friedrichstraße und bin mit der S-Bahn hingefahren. Doch plötzlich bekam ich Angst, blieb in der Bahn sitzen und fuhr zurück, ohne auszusteigen. Nachdem sich mein Deutsch verbesserte, guckte ich sehr viel DDR-Fernsehen und sah auch sehr gerne Filme aus der DDR an. Die realistischen Filme gefielen mir besonders gut.
Konnten Sie Westberlin überhaupt verlassen?
Das war nicht einfach, denn wir durften nicht mit dem Auto oder mit dem Zug durch die DDR fahren. Unsere Regierung erlaubte uns nur, Westberlin mit dem Flugzeug zu verlassen. Das war natürlich zu teuer. Doch im Krankenhaus gab es einen Pfarrer, der war mit einer Koreanerin verheiratet und organisierte für uns koreanische Krankenschwestern eine Flugreise nach Paris. Einmal bin ich mit Freunden im Auto versehentlich in die DDR gefahren und schon hatte ich einen Stempel im Pass. Als ich meinen Pass dann in der Botschaft verlängern musste und die koreanischen Beamten den Stempel sahen, schimpften sie mit mir und ich musste ein Reuebekenntnis abgeben und versprechen, dass ich das nie wieder machen würde. Danach hatte ich die Nase voll und wir Koreaner in Berlin entwickelten eine neue Methode. Immer, wenn wir durch die DDR reisten, legten wir einen Zettel in unseren Pass auf dem stand: „Bitte keinen Stempel“. Das haben die DDR-Grenzbeamten auch mitgemacht. Den Stempel machten sie dann auf den Zettel und bei der Ausreise brauchten wir nur den gestempelten Zettel vorzeigen. Wir Koreaner sind eben ganz schön pfiffig. So reiste ich mit dem Zug oder mit dem Auto, bis ich 1977 meine deutsche Staatsangehörigkeit bekam.
Uns wurde bewusst, dass wir kämpfen und zusammenhalten müssen.
Ja, in Deutschland hat sich mein Bewusstsein langsam verändert, vor allem nachdem ich mich politisch engagierte. Wir koreanischen Krankenschwestern waren hier in Deutschland so beliebt, dass uns anfangs ohne Probleme immer der Arbeitsvertrag und die Aufenthaltserlaubnis verlängert wurden. Aber weil Mitte der Siebziger Jahre durch den Ölschock wieder Arbeitsplätze fehlten, wollten plötzlich wieder mehr Deutsche Krankenschwester werden. Dafür musste man mehr Leute ausbilden und das vorhandene Personal reduzieren. Und wen trifft es da zuerst? Die ausländischen Arbeitnehmer. Als in Bayern die ersten koreanischen Krankenschwestern nach Hause geschickt werden sollten, dachten wir uns: „Das lassen wir uns nicht gefallen! Wir sind doch keine Waren, die man holt, wenn man sie braucht, und wegschmeißt, wenn man sie nicht mehr braucht.“ Also begannen wir koreanische Krankenschwestern 1977 eine Unterschriftenaktion und sammelten in kurzer Zeit die 10.000 Unterschriften, die man für eine Petition benötigt. Damit waren wir tatsächlich erfolgreich und in einigen Bundesländern wurden entsprechende Gesetzesänderungen vorgenommen. Alle, die mindestens fünf Jahre hier gearbeitet hatten, konnten eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Nach diesem Erfolg wurde uns bewusst, dass wir kämpfen und zusammenhalten müssen, wenn wir etwas erreichen wollen, und gründeten eine bundesweite koreanische Frauengruppe.
Außerdem begannen wir, uns als Arbeiterinnen zu sehen. In Korea wurde uns in den Kopf gesetzt, Krankenschwestern seien die weißen Engel, ein gutes Heiratsobjekt. Doch tatsächlich leisteten wir Tag für Tag harte Arbeit, also verglichen wir uns eher mit den koreanischen Textilarbeiterinnen. Sie kamen vom Land in die Städte, um in der Fabrik Geld zu verdienen und ihre Familie zu ernähren. Wir waren aus den gleichen Gründen aus Korea nach Deutschland gekommen. Das wurde uns bewusst, also solidarisierten wir uns mit koreanischen Arbeiterinnen und mit verschiedenen demokratischen Bewegungen in Korea und organisierten nach dem Gwangju-Massaker 1980 politische Aktionen.
Dadurch, dass ich viel DDR-Fernsehen schaute, war alles sehr nah. Meine Schwiegereltern hatten im Osten Verwandte. Die haben oft Pakete geschickt, und ich war dabei, wenn sie dafür einkauften. Dadurch war die Trennung in Deutschland nicht so stark wie bei uns in Korea, wo es keine politischen Treffen gab, und kaum Kontakt zwischen den Menschen auf beiden Seiten.
Als ich nach der Wende nach Korea reiste, war ich erschrocken.
Weil Ostdeutsche wie Bürger zweiter Klasse behandelt wurden, behandelten viele Ostdeutsche Ausländer wie uns wie Bürger dritter Klasse und es kam Hass auf. Uns wurde damals von der koreanischen Botschaft geraten, dass wir uns in Ostberlin besonders adrett kleiden sollten. Ich leitete damals eine koreanische Trommelgruppe mit jungen Koreanerinnen der zweiten Generation. Wir bekamen viele Auftrittsangebote aus Ostdeutschland. Manche sagten wir aus Angst ab, weil es in Gegenden wie Mecklenburg-Vorpommern viel Ausländerhass gab, aber dort wo wir spielten, wurden wir immer sehr freundlich behandelt. Die Kinder in der Schule haben begeistert geklatscht, so etwa hatte ich noch nie gesehen. Die waren viel offener als in den Berliner Schulen wo wir sonst auftraten.
Machte Ihnen die deutsche Wiedervereinigung Hoffnung, dass etwas Ähnliches auch in Korea passieren könnte?
Ja, unsere erste Reaktion war damals: „So schnell kann es gehen“. Aber mir wurde klar, wie wichtig der vorherige Kontakt war: Die Leute in Westdeutschland haben auch immer ihre Verwandte getroffen und wir konnten in den Nachrichten sehen, was in der DDR passiert.
Und ich sah auch die großen Probleme der Wiedervereinigung: Ich war sehr traurig, als ich jeden Sonntag die Schlange von Menschen aus der DDR vor den Sparkassen sah, um die Hundert D-Mark Begrüßungsgeld zu bekommen. Und natürlich gab es auch die Westdeutschen, die die Ostdeutschen Ossis nannten und wie Menschen zweiter Klasse behandelten. In Korea würde das sicher noch schlimmer sein, habe ich damals gedacht, weil diese Trennung so lange angedauert hat, und weil wir über das Leben der Leute in Nordkorea fast gar nichts wissen.
Als ich nach der Wende nach Korea reiste, war ich erschrocken, dass der Hass immer noch so groß war, vor allem bei meiner Generation, die den Krieg noch erlebt hat. Deutschlands Glück ist, dass es zwischen Ost- und Westdeutschland nie Krieg gegeben hat. Die emotionale Ebene ist sehr wichtig bei der Wiedervereinigung. Große Politiker wie Willy Brandt oder Richard von Weizsäcker haben auch viel beigetragen, um den Hass abzubauen.