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Athen
Erste Ideen: Bibliotheken als Räume des Commonings

Boullée, Etienne-Louis - Project for a library
Boullée, Etienne-Louis - Project for a library | © BNF I Public Domain

Als Räume sind Bibliotheken das Produkt der sozialen Beziehungen, die sich in Ihnen abspielen. Wie können Bibliotheken als Räume gedacht werden, die Wissen als ein offen und frei verfügbares Gemeingut, also als Commons, verstehen? Ideen der Bibliothek des Goethe-Institut Athen.

Von Dimitris Soudias

Bibliotheken sind Räume, in denen Wissen gesammelt, geteilt, konstruiert und vermittelt wird. Sie beschreiben eine Beziehung zwischen den Medien und Leistungen, die sie bereitstellen, den Ideen und Idealen, die sie teilen, und den Menschen, die sie nutzen und produzieren. Räume sind daher von Grund auf sozial.

Diese Prozesse finden nicht in einem Vakuum statt. Sie sind in spezifischen historischen, kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext eingebettet. Historisch gesehen sind Bibliotheken mit einer gewissen Autorität in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit und Legitimität von Wissen verbunden. Bibliotheken erfüllen damit eine wichtige gesellschaftliche Funktion, denn sie halten das soziale Gefüge zusammen und können gleichzeitig Werte vermitteln, die über die reine Wissensverbreitung hinausgehen: Demokratie, Solidarität, Kollektivität– all dies können Werte sein, die auf die eine oder andere Weise das vermitteln, was wir in der Bibliothek tun.

Vor dem Hintergrund der schleichenden Privatisierung und Kommerzialisierung des Alltags sind diese Überlegungen um so relevanter: Die Konsumkultur, das Konzept des intellektuellen Eigentums, und der markenrechtliche Schutz von Wörtern (man denke nur an Nokias Slogan „connecting people“) haben vieles von dem, was früher ein Gemeingut war und allen gehörte, in Marketing-Instrumente verwandelt, die heute privaten Unternehmen gehören.

Als nicht-kommerzielle Räume müssen sich Bibliotheken diesen Markt-Logiken nicht unterwerfen. Sie sind Räume, in denen Wissen öffentlich bleibt. Sie können damit einen Beitrag dafür leisten, dass wir uns als soziale Wesen, als Menschen mit Wünschen und Bedürfnissen, und nicht nur als Konsumenten verstehen, die Dinge kaufen (und verkaufen) wollen.

Ray Oldenburgs Idee des „dritten Ortes“ kann auf diese Überlegungen übertragen werden. Bibliotheken sind weder unser privates Zuhause noch sind sie reine Arbeitsstätten. Sie sind Orte, die ein Selbstwertgefühl vermitteln: wo wir sein können, wo wir nachdenken können, wo wir mit Menschen in Verbindung treten können, und wo wir um des Lernens willen lernen.

Doch spricht Oldenburg nicht ausdrücklich von Bibliotheken als dritte Orte. Am Beispiel von Cafés, Biergärten oder Bars als dritten Orten betrachtet Oldenburg die Freude am Zusammensein, reflektiert aber nicht, dass man dort notwendigerweise konsumieren muss.

In Bibliotheken findet man, mit etwas Glück, ein Café. Aber man muss nicht unbedingt einen Latte kaufen, um das WLAN zu nutzen oder eine Zeitschrift zu lesen. Daher kann es sinnvoll sein, die Ideen Oldenburgs, die nicht mit dem beruflichen oder häuslichen Umfeld zu tun haben, mit der inhärenten Offenheit (sprich: Zugang) von Bibliotheken und Wissen zu verknüpfen. Bibliotheken sind nicht nur dritte Orte. Sie sind öffentliche dritte Räume des Wissens. Und sie können durchaus zu gemeinsamen dritten Räumen offenen Wissens werden—im Sinne eines Commons.

Über die Commons

Was sind nun die Commons? Sie bedeuten mehr als zusammen. Sie bedeuten viel mehr als Interaktion. Sie sind eine Logik des Handelns, die uns seltsam ungewohnt erscheint, verglichen mit der Art und Weise, wie wir normalerweise unser tägliches Leben leben. Eine Definition von Commons verlangt von uns, über einen Prozess, ein Ergebnis und ihre Beziehung zueinander in einem einzigen Wort nachzudenken. Das kann ein wenig frustrierend sein, aber irgendwo stößt Sprache an Grenzen...

Commons sind Ressourcen, die den Bedürfnissen des Gemeinwohls dienen. Man denke an ökologische Gemeingüter wie Wasser, Luft oder die Wälder. Man denke aber auch an Informations-Gemeinschaftsgüter, wie Ideen, Wissen oder Codes. Ja, heute können wir all diese Dinge kaufen. Aber ist es nicht frustrierend, das zu wissen? Süßwasser und Wälder sind begrenzt. Wenn wir nicht aufpassen, werden sie verschwinden (und das tun sie auch!). Aber Wissen und Ideen? Der irische Dramatiker George Bernard Shaw hat es einmal so ausgedrückt:
 

Wenn du einen Apfel hast, und ich habe einen Apfel, und wir tauschen die Äpfel, wird jeder von uns nach wie vor einen Apfel haben. Aber wenn du eine Idee hast, und ich habe eine Idee, und wir tauschen diese Ideen aus, wird jeder von uns zwei Ideen haben.

George Bernard Shaw

Im digitalen Zeitalter können wir Wissen (wie etwa digitale Medien) unendlich oft reproduzieren (solange die entsprechende Serverkapazität vorhanden ist). Wäre es daher nicht großartig, dieses Wissen nicht nur möglichst vielen Menschen offen zugänglich zu machen, sondern es auch kollektiv zu produzieren und zu pflegen?

Auf diesen Prozess bezieht sich das Commoning: die kollektive, selbstorganisierte Produktion, Aneignung und Pflege von Commons. Im digitalen Bereich ist die Wikipedia ein hervorragendes Beispiel. Wir alle können an Artikeln mitschreiben (und das sogar gleichzeitig). Wir alle können dieses Wissen nutzen, um weiteres Wissen zu produzieren. Wir können Fotos und Videos zu ihrer Datenbank hinzufügen. Und andere können frei auf sie zugreifen und sie für verschiedene Zwecke nutzen.

Es muss allerdings Regeln geben: Werte, auf die wir uns alle einigen können. Direkte demokratische Entscheidungsfindung und Gleichheit, diskriminierungs- und gewaltfreie Handlungen, Vertrauen und gegenseitiger Respekt, Solidarität füreinander und die Sorge um den Erhalt des Gemeinsamen Commons – des offen zugänglichen Gutes oder der offen zugänglichen Leistung – sind ein guter Ausgangspunkt. Diese inklusiven, im Idealfall nichthierarchischen und nichtautoritären Werte können durchaus die Offenheit von Commons sichern. Und wenn wir die Knappheit von Wasser und anderen natürlichen Gemeingütern betrachten? Commoning hilft uns dabei, regulatorische Richtlinien festzulegen, damit Gemeingüter nicht verschwinden oder verschmutzt werden. Die Commons-Bewegung würde argumentieren dass Wasser, beispielsweise, nicht Coca-Cola „gehört“. Es„gehört“ auch nicht dem Staat. Stattdessen wird Wasser als etwas unveräußerliches verstanden, für dessen Erhalt wir alle gleichermaßen verantwortlich sind.

Nichtsdestotrotz ist Wasser zum Privatgut geworden, das wir kaufen, verkaufen und verwerten können. Aber das war nicht immer so (die Commons sind keineswegs eine neue Idee), und das muss nicht so sein.

Bibliotheken als Commons–Räume des offenen Wissens

Gewiss kaufen Bibliotheken Medien bei kommerziellen Verlagen, Filmverleihen und Softwareunternehmen. Und ja, Bibliotheken befinden sich in der Regel in öffentlicher Hand, was eben auch häufig mit hierarchischen Organisationsprinzipien und komplizierten Finanzierungmechanismen verbunden ist. Aber Bibliotheken dienen weiterhin der Öffentlichkeit. Und trotz der institutionellen Limitationen, bieten Sie Gelegenheit dafür, Räume des Commonings zu produzieren.

Was wäre, wenn wir Bibliotheken als institutionalisierte Räume begreifen, in denen Privates (wie etwa Inhalte und Medien, aber auch Dienstleistungen) und Öffentliches (wie das Budget unserer Einrichtung) zur Förderung der Commons, genutzt, verhandelt, und verteilt werden? Diese Denkfigur eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten. Und es funktioniert am besten, wenn wir uns diese Möglichkeiten sowohl in Form von Commons (den Produkten) als auch in Form von Commoning (dem Prozess) vorstellen. Hier sind einige Ideen aus dem Goehte-Institut Athen, wie das möglich wäre.

"Was wäre wenn...?" Commoning-Aktivitäten in der Bibliothek

Im Mittelpunkt der Arbeit moderner Bibliotheken stehen Formate der Medien- und Informationskompetenz. Wir können beispielsweise aufzeigen wie Google-Suchen durch die Nutzung von Search Strings optimiert werden, auf  abonnementpflichtige, kommerzielle Datenbanken verweisen. Was wäre, wenn wir anfangen würden, Informationskompetenz rund um das Thema Openness zu vermitteln—Open-Source-Alternativen zu kommerziellen Diensten, und Open-Access-Zeitschriften und Creative Commons-Medien berücksichtigen? Was wäre, wenn wir unsere Ressourcen und Aufmerksamkeit darauf verwenden, dass unsere Nutzer*innen den Prozess der Wissensproduktion—von der ersten Suche bis hin zum finalen Artefakt (Text, Bild, Video, Code, Audio, oder Gegenstand)—als einen Commoning-Prozess zur Erstellung offen zugänglichen Wissens verstehen würden?

Denken wir auch an Lernwerkstätten oder Seminarformate für Jugendliche: Die aktive Einbindung von Jugendlichen in den Lernprozess, durch partizipative Methoden, kann durch Prozesse des Commoning erfolgen. Workshops über die Stadt, als „Urban Commons“, zum Beispiel – die gelebte Umwelt, die wir beeinflussen und die uns beeinflusst – bieten kreative Möglichkeiten, um über Gemeingüter nachzudenken (Brauchen wir hier einen Parkplatz? Warum gibt es auf diesem Platz nicht mehr Bänke und Bäume? Wie würde Euer idealer öffentlicher Platz aussehen? usw.), und können gleichzeitig auf demokratische Weise ein Selbstwertgefühl und ein Verständnis von gemeinsamer Verantwortung vermitteln. Was, wenn das Endprodukt dieses Formats eine Karte, ein Video oder eine Broschüre ist, die frei genutzt werden kann? Was, wenn die Dokumentation des Workshops als eine Art Leitfaden für andere Institutionen unter einer Creative Commons-Lizenz zur Verfügung gestellt wird? Hier sehen wir, wie die Produktion offenem Wissens manchmal wenig mehr erfordert als die Einbettung von Ideen und Prozessen der Ideenfindung und Wissenskonstruktion in die Logik der Commons.

Wissen geht über das geschriebene Wort hinaus. Die Zusammenarbeit mit Fab Labs, oder Maker Spaces, macht uns mit neuer Technologie vertraut, die wir zur Schaffung von Wissen als Artefakt nutzen können. Die Herstellung eines Stuhls oder Tisches – Objekte, die wir alle brauchen – aus nachhaltigen Materialien und mit einer Logik des Upcycling, hat viel mit den Commons gemeinsam. Was wäre, wenn diese Gegenstände Commons als Prozess produziert würden? Was wäre, wenn wir die Pläne dieser Gegenstände unter freien, nicht-kommerziellen Lizenzen zur Verfügung stellen würden? Dann profitieren auch andere! Dasselbe gilt für das Coding und Erstellen von Software-Anwendungen.

Diese Aktivitäten treten, in den Worten des Architekten Stavros Stavrides, in „Schwellen- oder Zwischenräumen“ auf. Sie existieren zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Raum. Für Bibliotheken scheint das ein ungewöhnlicher Zugang zu sein. Doch können durch die Schaffung solcher temporärer Räume, die Commons kollektiv in der Bibliothek gelehrt und gelernt werde—und dabei können Commons entstehen. Diese Erfahrungen ermöglichen es unseren Nutzer*innen, zu überdenken, wie wir eigentlich miteinander leben, arbeiten, und schaffen wollen. Wenn wir, als Bibliothekar*innen, diese Räume zur Verfügung stellen, können wir unsere Gewohnheiten zur Förderung des Gemeinwohls gemeinsam umgestalten. Aber das erfordert vor allem, dass wir Bibliothekar*innen und Informationsspezialist*innen bei uns selbst anfangen.

Organisation der Bibliothek

Innerhalb unserer Teams können wir uns das Commoning als Entscheidungsfindungs-Logik vorstellen, die unsere tägliche Arbeit, wo immer möglich, maßgeblich beeinflusst. Wir können vermehrt kollektive Entscheidungen treffen, Aufgaben untereinander aufteilen – anstatt sie zu delegieren  –, sodass wir uns alle in gleichem Maße an dem gemeinsamen Ziel der Förderung der Commons beteiligt fühlen (wenn wir uns tatsächlich darauf einigen).

Wir können rücksichtsvoller mit unseren Einkäufen und den von uns bezogenen Dienstleistungen umgehen. Gibt es Open-Source-Alternativen zu unseren Bibliotheksinformationssystemen (ja, es gibt sie! Man denke nur an: Koha oder VuFind)? Wenn wir diese für unsere Bibliotheken nutzbar machen können, dann bestände ein Commoning-Ansatz für die Nutzung dieser Systeme darin, dass wir sie nicht nur nutzen, sondern die Entwickler*innen durch Feedback über Bugs unterstützen und in ständigem Austausch über die Entwicklung dieser Systeme stehen (Berichterstattung und Dokumentation). Dies würde es im Idealfall ermöglichen, genau die Instrumente gemeinsam zu nutzen, die wir in unserer täglichen Arbeit benötigen.

Wir müssen nicht alles selber leisten. Wir können strategische Partnerschaften z.B. mit Open-Source oder Open-Access-Organisationen eingehen. Wir sollten zudem ernsthaft ergründen, mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, um deren Aktivitäten im Bereich der Commons zu unterstützen. Manchmal reicht schon die Bereitstellung von Serverkapazität oder eines Raumes aus. Es gibt eine Fülle potenzieller Initiativen, die mehr über die Commons wissen als wir. Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist der beste Weg Bibliotheken als Räume offenem Wissens zu re-imaginieren.

Wenn wir mit Ihnen gemeinsam Bibliotheken als Räume des praktischen, kollektiven Lernens der Werte und Ideen des Commonings begreifen, hat dies Konsequenzen für unsere Nutzer*innen. Diese Praktiken erlauben ein Umdenken unserer Alltagsgewohnheiten und Ideen über Wissen—und zwar so, dass Wissen als Commons gedacht wird.

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