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September 2021
Was sind unsere „Commons“?

 Was sind unsere „Commons“?
©Emmanouela Kyriakopoulou

Von der Theorie zur Praxis.
Ein COMMONS-Aktionstag in der Fußgängerzone der Fokionos-Negri-Straße.
Das Common, das Gemeingut ist zunächst einmal nichts weiter als eine ideelle Dynamik, eine Absicht, ein Wille zur Schaffung eines Lebens-in-Gemeinsamkeit. Können wir uns eine andere Stadt als die uns bisher bekannte vorstellen, eine Stadt, die von ihren Bewohnern selbst konstituiert wird? Können wir ein „Wir“ denken, welches das „Ich“ überlagert? Möchten Sie mehr über den Aktionstag erfahren und  Projekte und Gruppen kennenlernen? Wie kann man sich neue Formen sozialer Umbrüche und der Aneignung öffentlichen Raums vorstellen?

Von Mary Adamopoulou

Am Nachmittag des 10. Juli kletterte das Thermometer in Athen immer höher und man hätte kaum erwartet, mitten im Stadtviertel Kypseli in der Fußgängerzone der Fokionos Negri-Straße auf Athener zu treffen, die nicht an einen nahegelegenen Strand geflüchtet waren. Und ganz sicher hätte man nicht erwartet, dass sich unter den Bäumen eine Gruppe von Menschen rund um einen Tisch anschickte, ein Brettspiel zu spielen. ​​​​​​​
 
Vier Zweierteams in "Kampfposition": Fünf Mädchen und drei Jungen lachten und hörten aufmerksam zu, als einer von ihnen, Jannis, die Regeln erklärte. Sie schienen sich schon lange zu kennen. Doch nein. Georgia und Elias, Jannis und Marisa, Eleni und Manos sowie Melina und Maria saßen zufällig am selben Tisch. Sie hatten hauptsächlich über das Internet von dem Rollenspiel erfahren, das Infrastrukturen in ihrer Gemeinde, urbane Freiräume und den Dialog in der Stadt thematisiert und sie wollten dabei sein.
 
Verteilt wurden Spielfiguren, Würfel, Rollen. Mit von der Partie waren einige Vertreter der Lokalverwaltung, Geschäftsleute, einfache Bürger und Mitglieder von NGOs. Das Spiel konnte beginnen. Wem wird es gelingen,  die leerstehenden Gebäude in der Nachbarschaft auf die beste und eine für alle akzeptablen Weise zu nutzen? Ein Argument jagte das andere und die Gemüter erhitzten sich, alles bei viel Humor und immer mehr Passanten blieben stehen, um zuzusehen, zuzuhören und zu fragen, worum es bei diesem Spiel geht. Es war das zweite Mal, dass es in der Öffentlichkeit gespielt wurde, nachdem es im Sport- und Gemeindezentrum Serafio der Stadt Athen als Pilotprojekt vorgestellt worden war. "Es handelt sich um ein partizipatives Spiel, das ein völlig anderes Modell zur Verwaltung urbaner Freiräume vorschlägt, bei dem die Meinung des Bürgers zählt und die Bedürfnisse der einzelnen Stadtteile berücksichtigt werden", erklärte sein Schöpfer, der Architekt und Forscher Yannis Zgeras von Open Lab Athen.
 
Während die vier Gruppen um die vorteilhafteste Nutzung des öffentlichen Raums für die örtliche Gemeinde "kämpften", standen ein paar Meter weiter drei Mädchen geduldig vor einer Kabine an, die - wenn sie anderswo und nicht mitten auf der Fokionos Negri gestanden hätte - eine Toilette hätte sein können. Als wir näherkamen, stellten wir fest, dass der erste Eindruck gar nicht so weit von der Realität entfernt war. Es handelte sich um das "Public Lavatory of Thought", ein Projekt, an dem drei Institutionen partnerschaftlich beteiligt sind: die Abteilung für Kulturtechnologie und Kommunikation der Ägäis- Universität, Open Lab Athens und Ludd. Auf dem Boden der Holzkabine stand ein Miniatur-Toilettenbecken aus Spiegelglas. Und weiter oben war ein Tablet angebracht, auf dem der Besucher spontan auf Fragen antworten und seine Antworten aufzeichnen oder sich einfach nur bereits gegebene Antworten anderer anhören konnte. Thematisch ging es dabei hauptsächlich um die Frage, wie sehr sich unser Leben durch die Isolation während der Pandemie verändert hat.
 
Sowohl das Brettspiel wie auch die "Latrine" gehören zum Projekt "Was sind unsere Commons?", durchgeführt vom Goethe-Institut Athen und dem LUDD Makerspace sowie einer Reihe von Kollektiven, Gruppen und Künstlern wie Open Lab Athen, Commonspace Co-op, Participatory LAB, "Ap'Ousia'' („abwesend- wesentlich“), Inter Alia, Question Answering Machine, Wikimedia Community Griechenland und CLOUDS FOR COMMONS.
 

  • Was sind unsere „Commons“?
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"Wir haben uns für die Teilnahme an diesem Projekt entschieden, weil eine Bibliothek wie die des Goethe-Instituts nicht nur eine Ansammlung von Wissen ist, sondern vielmehr ein sozialer Raum, der eine wichtige Aufgabe erfüllt. Er sorgt für den Zusammenhalt des sozialen Gefüges und fördert dabei die Verbreitung von Ideen und Werten wie der Demokratie, der Solidarität, der Kollektivität und der Chancengleichheit im öffentlichen Raum, insbesondere in diesen Zeiten nach der Pandemie", erklärte Nikoletta Stathopoulou, Leiterin des Bereichs Information und Bibliothek des Goethe-Instituts Athen.
 
Die Initiative war Teil des internationalen Projekts der Goethe-Institute unter dem Titel "Die Praxis der Commons", das Antworten sucht auf Fragen wie "Was sind die Commons?",  "Was ist Commoning?" und einen Leitfaden zu entwickeln versucht, wie das Goethe-Institut die Bewegung der Commons unterstützen kann. Es bemüht sich unter anderem darum, offene und inklusive Projekte zu konzipieren und demokratische und kollaborative Entscheidungsprozesse zu fördern.
 
Auf dem Weg zum Kypseli-Platz legten wir noch einen Halt ein. Dort, wo wir auf die pädagogische Aktionsgruppe „Ap'Ousia" („abwesend-wesentlich“) trafen, die Bildungs- und Kulturprogramme für Jung und Alt konzipiert und durchführt. Sie machte sich gerade bereit, die Kinder zu empfangen, die sich angemeldet hatten, um ihr Viertel gemäß ihren Bedürfnissen und ihrer Fantasie neu zu konzipieren und ihr eigenes kollektives Modell der Fokionos Negri-Fußgängerzone aus recycelbaren und natürlichen Werkstoffen zu bauen.
 
Und ein Stückchen weiter „lüftete“ die beliebteste online-Enzyklopädie Wikipedia ihre Geheimnisse in einem Workshop, bei dem die Teilnehmer lernen konnten, wie man selbst einen neuen Eintrag schreibt oder einen bestehenden bearbeitet. Und dann konnten sie ihren ersten eigenen Artikel über Urbane Commons erstellen.
 
Auf dem Platz mussten wir ein wenig suchen, bis wir eine weitere Installation des Aktionstages entdeckten, noch eine Kabine, diesmal eine Telefonzelle: die Question Answering Machine. Sie ist einem öffentlichen Fernsprecher nachempfunden, über den man von Erfahrungen und Geschichten hören kann, die mit dem Viertel und seinen Bewohnern verknüpft sind. Diese Installation trägt die Handschrift des amerikanischen Künstlers Jonah Senzel und der Architektin und Multimediakünstlerin Katerina Magarini und war den Besuchern schon seit dem frühen Morgen des Aktionstages „Was sind unsere Commons“ zugänglich gewesen. Zu diesem Aktionstag gehörte auch der Workshop "Mein Viertel in der Hitzewelle", bei dem das Unbehagen im öffentlichen urbanen Raum kollektiv kartographiert wurde – ein Workshop organisiert von Commonspace und Participatory LAB in Zusammenarbeit mit CLOUDS. Weiterhin gehörte zu dem Aktionstag das von der gemeinnützigen Organisation Interalia präsentierte Rollenspiel, das Position und Rolle der direkt von Umweltproblemen betroffenen Bürgern reflektiert, Probleme, die aus der exzessiven Ausbeutung der Natur resultieren.
 
Als wir zu unserem Ausgangspunkt zurückkehrten, ging das Brettspiel seinem Ende entgegen und die Leute versammelten sich bereits, um an der geplanten Diskussionsrunde teilzunehmen. Geladen waren der Architekt, Aktivist und Professor an der Nationalen Technischen Universität Athen Stavros Stavridis, die emeritierte Professorin für Geographie und Europäische Kultur an der Offenen Universität Griechenlands Lila Leontidou, die Assistenzprofessorin an der Fakultät für Architektur der Universität Thessalien Iris Lykourgiotis und der Journalist Yannis Orestis Papadimitriou als Moderator.
 
In der Zwischenzeit bauten die Organisatoren Pop-up Installationen/Konstruktionen von CLOUDS FOR COMMONS auf, wie die modularen, partizipatorischen Systeme des Kollektivs LUDD genannt werden, die eine polymorphe Wabe rund um den Rednertisch schaffen sollten. „Es handelt sich um ein partizipatorisches und polymorphes Werk, das auf einem völlig anderen Verwaltungsmodell beruht“, erklärte Manolis Levadianos, Maschinenbauingenieur und Mitbegründer von Ludd, die Vorgehensweise des Kollektivs, die sich mit dem vorrangigen Ziel, Menschen und Gemeinden zu verbinden, an einem Open Source Prinzip orientiert.
 
In der mehr als zweistündigen Diskussion, die zahlreiche Passanten anzog, wurde anhand von Beispielen aus Madrid und São Paulo ausgiebig auf die radikalen Transformationen hingewiesen, die der öffentliche urbane Raum durchläuft, wie auch auf die Tatsache, dass wegen der Pandemie Bürgerbewegungen und Initiativen unterbunden worden sind, die sich für die Rechte von Bewohnern in urbanen Freiräumen einsetzen.

Der Abend ging im Nachklang der interessanten Debatte in kleinen Gesprächsgruppen zu Ende – da war es schon fast 22 Uhr.
 

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