Immer mehr Musiker*innen schreiben Romane – mal poetisch, mal schnoddrig, mal komisch. Jan Göthlich nimmt uns mit auf einen Streifzug durch die musikalische Literatur und fragt, warum Lyrik dabei oft nur eine Nebenrolle spielt.
Quereinstiege sind in der deutschsprachigen Literaturlandschaft keine Seltenheit. Erfolgreiche belletristische Titel von Buchhändler*innen, Journalist*innen und Lehrkräften zeigen: Hierzulande werden keineswegs nur Absolvent*innen der Literaturinstitute verlegt. Popmusiker*innen, die sich an der Schriftstellerei versuchen, erfahren besonders viel Aufmerksamkeit – wenn auch nicht immer die verdiente Wertschätzung, werden ihre Werke doch schnell dem leichteren Fach zugeordnet, obwohl es sich mitunter um hervorragende Texte handelt. Einige davon wollen wir hier vorstellen.Jüngst machte Sophie Hunger von sich reden. Die Schweizer Sängerin und Multiinstrumentalistin mit Wohnsitz in Berlin hat im Frühjahr 2025 den Roman Walzer für Niemand veröffentlicht. Die Geschichte um eine angehende Musikerin und ihren besten Freund, „Niemand“ genannt, mutet auf den ersten Blick wie eine klassische Coming-of-Age-Erzählung an. Allerdings hebt der Roman sich durch seine düstere Atmosphäre und seine formalen Stärken von ähnlich gelagerten Genrebeiträgen ab. Die einprägsamen Sprachbilder, die fragmentarische Erzählweise und die überragende Rolle der Musik lassen die Songwriterin Sophie Hunger hinter der Prosa erkennen. Stilistisch besticht dieses Debüt durch erstaunliche Reife und Eleganz.
Kurt Prödel darf mindestens als Teilzeit-Musiker gelten. Der Drummer der Punk-Band c dürfte vielen eher als Internet-Humorist bekannt sein. Sein Prosadebüt Klapper erschien wie Fischtage 2024 bei park x ullstein und wurde 2025 mit dem Debütpreis der lit.COLOGNE ausgezeichnet. Ähnlich wie bei Hunger und Brandi geht es um adoleszente Selbstfindung. Der 16-jährige Protagonist, wegen seiner knackenden Gelenke von allen Klapper genannt, ist in der Schule ein Außenseiter. Mit der Neuen in der Klasse, der Hip-Hop-affinen Bär, freundet er sich aber schnell an. Es folgen tiefere Gefühle, eine misslungene Party und ein tragischer Vorfall. Prödel, der angibt, selbst selten Bücher zu lesen, überzeugt mit vielschichtigen Figuren und lebendigem 2010er-Zeitkolorit, wenn auch stilistisch noch Luft nach oben bleibt (viele, zu viele Adjektive). Anerkennenswert ist hingegen die Leistung, poetische Momente in den Texten des Gangsterrappers Kollegah zu finden.
Noch eine ganze Ecke bekannter als alle bisher genannten Autor*innen sind Sven Regener und Heinz Strunk. Ersterer ist weiterhin als Sänger der Band Element of Crime aktiv, während Strunks musikalisches Wirken schon länger zurückliegt. Die zahlreichen Bücher der beiden eint, neben dem präzisen Blick auf Menschen und Milieus, der enorme Sprachwitz. Wo Strunk allerdings meist böse-zynisch unser aller Floskelhaftigkeit auseinandernimmt, bleiben Regeners absurd-komische Dialoge immer von einer warmen Menschenfreundlichkeit grundiert. Sein Berliner Herr-Lehmann-Kosmos hat viele Fans und jeder neue Roman einen Platz auf der Bestsellerliste sicher (zuletzt Glitterschnitter). Heinz Strunk hat 2024 mit dem Zauberberg 2 eine kleine Hommage auf Thomas Manns Original herausgebracht. Seinem schnoddrigen Stil ist er dabei weitgehend treu geblieben.
Heinz Strunks Wohnsitz Hamburg scheint überhaupt eine gute Brutstätte für schreibende Musiker zu sein. Auch sein früherer Partner Rocko Schamoni (in der Spaß-Band Studio Braun, später Fraktus) hat schon mehrere Buchpublikationen vorzuweisen. Zuletzt schickte er seine Leser*innen im autofiktionalen Roman Pudels Kern in die Hamburger Punkszene der 1980er Jahre. Ein paar Jahre später machte der sogenannte Diskursrock in Hamburg Schule. Bands wie Blumfeld, Die Sterne und Tocotronic erregten nicht zuletzt mit intelligenten deutschen Texten Aufmerksamkeit. Kein Wunder, dass sich einige Songtexter aus diesem Umfeld später auch an der Langform versuchten, etwa die Sänger der genannten Bands: Jochen Distelmeyer (Otis), Frank Spilker (Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen) und Dirk von Lowtzow (Aus dem Dachsbau; Ich tauche auf).
Dass auch der deutsche Hip Hop Schriftsteller hervorbringt, beweist Andrej Murašov alias Partizan mit Der Himmel ist so laut, seinem 2025 erschienenen zweiten Roman. Unter dem fiktiven Künstlernamen AK602 liefert der Autor den Soundtrack zum Buch gleich mit. 2022 hat Hendrik Bolz, auch bekannt als Rapper Testo und Teil des Duos Zugezogen Maskulin, seine vielbeachteten Nullerjahre bei Kiepenheuer & Witsch vorgelegt. Bolz erzählt in autofiktionaler Manier eine, so der Untertitel, „Jugend in blühenden Landschaften“. Dass die Nachwende- und Nullerjahre in Ostdeutschland vor allem eine Blütezeit der Gewalt waren, schildert der Autor eindrücklich. Jungs und Jugendliche mussten früh lernen, Härte zu zeigen, denn es galt: Fressen oder gefressen werden. Für die Taschenbuchausgabe (2023) hat Manja Präkels ein lesenswertes Nachwort geschrieben. Präkels selbst wurde 2017 mit ihrem Jugendroman Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß bekannt, hat 2022 den Essayband Welt im Widerhall oder war das eine Plastiktüte? (beide im Verbrecher Verlag) veröffentlicht – und ist übrigens Sängerin der Band Der Singende Tresen.
Juli 2025