Volksaufstand in der DDR  Der 17. Juni 1953

Bundesarchiv Bild 175-14676, Leipzig, Reichsgericht, russischer Panzer Bundesarchiv Bild 175-14676

Straßennamen verraten viel über das Selbstbildnis einer Gesellschaft. Die Straße des 17. Juni erstreckt sich imposant in Deutschlands Hauptstadt Berlin, vor dem Brandenburger Tor und umgeben vom Tiergarten, unterbrochen nur von der Siegessäule. Woher hat diese wichtige Ost-West-Achse Berlins ihren Namen – was geschah am 17. Juni?

Ostdeutsche Gegenwehr

Um dem auf den Grund zu gehen, muss man einen Blick zurück in die Geschichte wagen. In den früher 1950er Jahren manifestierte sich, was schon seit dem Kriegsende in Europa zu spüren war: die Teilung Deutschlands und damit auch die Teilung Europas. Während die drei westlichen Besatzungsmächte sich langsam aus der Kontrolle der Bundesrepublik Deutschlands zurückzogen, baute die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) unter stalinistischem Vorbild in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone ihre Macht aus. Der 17. Juni 1953 kann in dieser Geschichte als Scheidepunkt gedeutet werden.

Mangel, Repressionen, Flucht


Die Lebensbedingungen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) waren für viele Bürgerinnen und Bürger unerträglich. Seit Jahren schon waren Lebensmittel durch die Regierung rationiert und nur über Lebensmittelmarken erhältlich – eine Maßnahme des Mangels nach dem Krieg, die im Westen schon im Jahre 1950 geendet hatte. Dort wurden Kriegsschäden in rasantem Tempo beseitigt, die Industrie florierte, Grundsteine für das moderne Europa wurden gelegt. Der Kontrast zum direkten Nachbarn, dem wirtschaftlich erstarkten Westdeutschland, machte den Mangel an allem, selbst an der Grundversorgung, noch eklatanter. Schuld an dieser Situation hatte die SED-Führung, die nicht nur die zentrale Wirtschaft lenkte, sondern auch Andersdenkende unter den eigenen Bürger*innen in Kirchen, Universitäten, Parteien und Betrieben verfolgen ließ. Massenhaft setzten diese sich in die BRD ab und bedrohten so die Vision der sozialistischen DDR.

Diese Umstände schadeten allmählich auch der ostdeutschen Regierung. Da die SED unter der Kontrolle der Sowjetunion stand und zunehmend das ideologische Ziel des "planmäßigen Aufbaus des Sozialismus" verfehlte, diktierte man einen „Neuen Kurs“. Repressionen und anderen Zwangsmaßnahmen sollten zurückgenommen werden, um die Flucht in den Westen zu stoppen. Für die kränkelnde Wirtschaft jedoch hatte man scheinbar die richtige sowie simple Lösung parat: Die Arbeiterinnen und Arbeiter müssten einfach nur produktiver werden. „Normenerhöhung“ nannte die SED diesen Plan, der in der gleichen Arbeitszeit und für den gleichen Lohn zehn Prozent mehr Leistung verlangte: tiefer baggern, schneller Produkte prüfen, mehr mauern. Auch wenn die staatlichen Verfolgungen enden sollten – die Forderung der Produktivitätssteigerung reichte zur Entzündung erster Streiks.

Die Macht der Medien

Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich Aufrufe zur Arbeitsniederlegung in Ost-Berlin. Mehrere Tausend Menschen kamen am 16. Juni vor dem Sitz des Politbüros in der Hauptstadt zusammen, um gegen die Normerhöhung zu demonstrieren. Unter dem Druck des Protests entschieden die SED-Politiker die Rücknahme dieser Entscheidung – doch sie kam zu spät. Die erbosten Arbeiter*innen forderten den Rücktritt der Regierung und kündigten einen Generalstreik für den nächsten Tag an. Das Radio spielte am Vorabend der Ereignisse eine zentrale Rolle: Der Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) informierte am 16. Juni 1953 aus West-Berlin über die Proteste im östlichen Teil der Stadt und die Forderungen der Streikenden. So erreichte man auch die entlegensten Winkel des Landes. Von Rostock bis Karl-Marx-Stadt tönte der Aufruf zum Widerstand durch die DDR. Aber auch die SED-Führung wappnete sich und informierte den ‚großen Bruder‘ in Moskau von den Plänen der Protestierenden.

So trafen am Morgen des 17. Juni 1953 aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger in Ost-Berlin und hunderten weiteren Orten der DDR auf die sowjetische Armee. Mit Panzern und Soldaten versuchte man, die Menschen einzuschüchtern. Die Situation auf der Straße eskalierte schnell, Maschinenpistolen wurden gegen die Demonstrierenden eingesetzt. Es gab Tote und Verletzte, mehrere Tausende wurden festgenommen. Die Wut über die SED-Führung kanalisierten Einige in Plünderungen oder die Zerstörung von Polizeiautos. Im Nachgang der Ereignisse wurden manche der Inhaftierten sogar zur Todesstrafe verurteilt. Mehrere Jahre noch verfolgte das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) Menschen, die an dem Aufstand des 17. Juni teilgenommen hatten.
 

East German Uprising on June 17, 1953 ©picture alliance / akg-images | akg-images

Erhoffte Einheit

Was in staatssozialistischen Medien als „faschistische Provokation“ feindlicher Mächte bezeichnet wurde, erhob man in der BRD zum „Tag der deutschen Einheit“. In den frühen 1950er Jahren hatte sich die Debatte um eine Wiedervereinigung Deutschlands intensiviert: Josef Stalin unterbreitete den Westmächten Vorschläge zur Gründung eines einzigen deutschen Staates, die man aber ablehnte. Sein Tod im März 1953 und der Volksaufstand in der DDR wenige Wochen später entfachten neue Hoffnung auf ein baldiges Ende der deutsch-deutschen Teilung. In Westdeutschland ernannte man unter diesem Eindruck schon wenige Tage nach den Vorkommnissen den 17. Juni zum nationalen Feiertag. Er sollte noch fast vierzig Jahre bis zur tatsächlichen Wiedervereinigung Bestand haben. Bis heute ist er im geeinten Deutschland ein Gedenktag – und der Name einer der größten Straßen der Hauptstadt.


Das Bundesarchiv stellt eine Rekonstruktion der Ereignisse und Quellensammlung zur Verfügung.