Auch in Deutschland befindet sich die Demokratie im Stresstest. Mit zunehmendem Erfolg wird sie von innen angezweifelt und attackiert. Ist in diesen Zeiten der Gedanke an humorvollen Protest sinnlos und ignorant? Weder noch! Das zeigen nicht nur Massendemonstrationen auf der Straße, es sind vor allem migrantische Comedians, die mit ihrem Humor Raum für ernsthaften Protest schaffen.
Als die Anfrage zu diesem Text kam, war ich skeptisch. Demokratien befänden sich in der Sinnkrise, hieß es, bei Wahlen würden ausgerechnet Kräfte gestärkt, die demokratische Prinzipien abschaffen wollten. So weit, so gut. Aber: Um gegen solche Entwicklungen zu protestieren, griffen Menschen in Krisenzeiten vor allem zu einem Mittel - dem Humor. Hm...In einem Film von Woody Allen heißt es: „Humor ist Tragödie plus Zeit“. Doch was, wenn die Zeit gar nicht vergeht? Wie in einem Fiebertraum kommen wir heute aus dem Reigen politischer Hiobsbotschaften gar nicht mehr raus: überall Kriege und Krisen, die wachsenden Erfolge der Demokratiefeinde, mein anstehendes Zahnimplantat, you name it.
Kann Humor als Mittel des Protests überhaupt noch jemanden erreichen? Natürlich kann er das! Schnell wurde mir klar, dass Humor zuallererst ein wirkmächtiges Mittel nach innen ist, selbst wenn die Tragödie noch anhält. Das weiß ich aus eigener Erfahrung: Es empowert Protestierende und animiert im besten Fall Sympathisanten, sich einzureihen. Lachen befreit und nimmt der Angst die Macht – besonders zum Ärger jener, die mit ihr Politik machen. Psychologen sind sich einig, Humor stärkt die seelischen Widerstandskräfte! Ich behaupte, er kann noch mehr: Humor ist eine Solidarisierungsmaschine.
Ein Beispiel: Anfang dieses Jahres gab es in Deutschland Massenkundgebungen gegen rechts. Auslöser waren gemeinsame parlamentarische Abstimmungen einiger demokratischer Parteien mit den Rechtsextremen – für viele ein Tabubruch. In jenen Wochen machte eine lustige Idee wiederholt die Runde. Eltern hatten ihrem Kleinkind ein doppelseitiges Schild um den Hals gehängt, auf seiner Brust und seinem Rücken mit folgendem Spruch: „Der Widerstand wächst“. Selten passte die Bezeichnung running gag besser. Vor Ort sorgte es für Lacher, Gespräche entstanden, Fotos gingen viral. Die Geschichte wurde online gefeiert und vielfach nachgemacht. Et Voilà!
In der Tat ist das Internet eine weitere große Bühne des humorvollen Protests. Weniger als Shitstorm, sondern auch hier als Empowerment. Und an dieser Stelle kommt eine Gruppe ins Spiel, die die Schwächung der Demokratie besonders hart trifft.
Sie ist nicht-weiß und daher Teil einer Minderheit. Ihre Angehörigen sind prominent, reichweitenstark und halten der Mehrheitsgesellschaft den Spiegel vor. Neben ihrer Lust auf Punchlines und gutes Storytelling pflegen sie einen empathischen Aktivismus auf Social Media.
Die Rede ist von Künstlern mit einem sogenannten orientalischen Migrationshintergrund. Sie stehen stellvertretend für Millionen von Menschen, die durch Herkunft und Aussehen oft anders behandelt werden. Sie sind die Hauptadressierten der meisten innenpolitischen Debatten. In Deutschland zuhause, immer öfter aber unwillkommen.
Drei von ihnen seien hier beispielhaft vorgestellt. Nicht immer teile ich ihre Meinung, aber den Schmerz, mit dem sie auf die Gegenwart schauen:
Enissa Amani, 1981 in Teheran geboren, Comedian und Aktivistin. Ihre Eltern wurden als Linke politisch verfolgt und flohen nach Deutschland. 2018 war sie die erste deutsche Stand Up Comedian mit einem eigenen Solo-Programm auf Netflix. In einem Interview sagte sie damals über sich: „Ich bin gerne eine feminine Frau. Bei mir zu Hause steht das Rap-Album neben Büchern von Voltaire im Regal und daneben die Make-up-Anleitung von Bobbi Brown“. Mehrmals äußerte sie sich unüberhörbar in Talkshows zu Themen wie Rechtsextremismus, Rassismus und Frauenhass. Was sie ausmacht: Feministischer Humor mit intellektuellem Unterbau, der marginalisierte Communities stärken soll. Gerne auch mal polemisch-provokant, fast immer in High Heels.
Tahsim Durgun, Jahrgang 1995, Content Creator aus Niedersachsen, mit jesidisch-kurdischem Hintergrund und Eltern aus der Türkei. Als Lehramtsstudent schrieb er jüngst sein erstes Buch: „Mama, bitte lern Deutsch“. Es stand wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerlisten und hat den Untertitel „Unser Eingliederungsversuch in eine geschlossene Gesellschaft“. Er zeigt, dass viele Kinder von Migranten früher als ihre nicht-migrantischen Freunde Verantwortung übernehmen müssen – und was das mit ihnen anstellt. Was ihn ausmacht: Ein Humor, der strukturelle Missstände im Alltag aufdeckt und sich zwischen Sozialkritik, Selbstironie und liebevollem Vorführen seiner Familie bewegt. Alles aus dem endlosen Rabbit Hole der deutschen Grammatik.
Und last but not least Abdul Kader Chahin, Jahrgang 1993, als Sohn palästinensischer Eltern in Nordrhein-Westfalen zur Welt gekommen. Sein Sound ist der sympathisch-raue Slang des Ruhrpotts, einer alten Bergbauregion im Westen Deutschlands. Der Comedian und Poetry-Slammer thematisiert in Videos, Podcasts und auf der Bühne seine Kindheit in der Plattenbausiedlung, rassistische Erfahrungen und Banalitäten des Alltags. Seit dem 7. Oktober 2023 ist er zu Gast in Talkshows, wo er als einer von wenigen das Leid der Palästinenser anspricht, ohne das der Israelis zu verschweigen. Was ihn ausmacht: Rauer Humor mit Herz und Haltung, tief verwurzelt in der Lebensrealität migrantischer Familien des Ruhrpotts.
In den sozialen Medien bringen sie es zusammen auf die Wucht von über zwei Millionen Followern. Neben Hatespeech von den üblichen Verdächtigen in den Kommentarspalten bringen viele ihre Dankbarkeit zum Ausdruck, diskutieren und geben sich gegenseitig Kraft.
Amani, Durgun und Chahin zeigen, wie heute Protest gegen Missstände klingen kann: humorvoll, aber nie harmlos. Ihre Punchlines sind keine Ablenkung vom Wesentlichen, sondern Einladung zur Auseinandersetzung. Ihr Humor schafft Räume, in denen Themen auch ernsthaft verhandelt und Protest formuliert werden kann. Sie machen sichtbar, was oft ignoriert wird. Was sie tun, ist politisch – im besten Sinne. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Gags.
Tja, von meiner Skepsis am Anfang bleibt am Ende in doppelter Hinsicht nichts übrig. Ob mit Impact nach innen oder außen, selbst in unseren dystopisch anmutenden Zeiten sind Humor und Protest ein wirkungsvolles Match. Das gilt hoffentlich auch für mich und mein Zahnimplantat.