Ausgesprochen … gesellig  Eine zeitgemäße Komödie

Ein Mann mit Mütze und Schal arbeitet am Schreibtisch
Frierend am Schreibtisch Foto (Detail): Mark Dyball; © mauritius images / Alamy Stock Photos

Was tun, wenn in der oberen Etage nicht genug Wärme ankommt? Maximilian Buddenbohm denkt nach – über Ratschläge des Hausmeisters und Gespräche mit Nachbarn.

Ich schreibe dies mit kalten Fingern, denn wir kommen in der Wohnung nur noch auf bescheidene 18 Grad. Und das nur mit Glück, wenn die bemühte Wintersonne die Südseite des Hauses doch noch etwas wärmt. Manchmal sind es nur knappe 17 Grad, an den grauen, an den verregneten oder vernebelten Tagen des Winters. Ich weiß, die Wohlfühltemperatur variiert von Mensch zu Mensch, sogar erheblich, aber ich finde 17 oder 18 Grad etwas frisch, wenn man nur vor einem Bildschirm sitzend arbeitet. Selbst mit Thermounterwäsche und heißem Tee fühlt sich das noch frisch an. Wenn man stundenlang nur tippt, das erwärmt den Körper nicht recht und ja, selbstverständlich könnte ich zwischendurch ein paar Kniebeugen oder dergleichen machen … aber das macht man dann doch nicht. Ich jedenfalls nicht. Und es würde ohnehin nur kurz helfen, denke ich.

Die letzte Wohnung im Heizungsstrang

Die bescheidene Raumtemperatur in unserer Wohnung liegt allerdings nicht an unserer Haltung der verbissenen Sparsamkeit, die wir aus politischen Gründen, wegen der Weltlage, der Inflation und wegen der Energiepreise wildentschlossen im frühen Herbst schon eingenommen haben. Sie liegt vor allem an eher profanen und technischen Gründen, wie uns der Hausmeister gerade erklärt hat. Der Hausmeister, den wir doch einmal angerufen haben, weil die Heizung uns nur noch so wärmt, wie es eine Tasse Tee tut, die seit einer halben Stunde auf dem Schreibtisch steht und längst nicht mehr dampft. Es wird draußen immer kälter, es geht auf Weihnachten zu, auf tiefen Winter, auf Schnee und Eis vielleicht, wir müssen das jetzt klären, haben wir uns gedacht.

Unsere Wohnung ist die letzte im Heizungsstrang, so erklärte uns der Hausmeister, nachdem er kundig eine Hand auf einen nur lauwarmen Heizkörper gelegt hatte. Und da die Anlage insgesamt schon vor Wochen deutlich heruntergeregelt wurde, wegen der Energiekrise, versteht sich … Der Hausmeister guckte an dieser Stelle fragend, als ob er prüfen wollte, ob wir von der überhaupt etwas mitbekommen hätten. Ja, haben wir, doch, doch.

Also wegen der neu eingestellten Heizung jedenfalls, so sagte der Hausmeister weiter, kommt bei uns hier oben einfach nicht mehr genug Wärme an. Er sagte das mit diesem „Das ist so“-Gesichtsausdruck, mit dem Menschen, die technische Berufe haben, nichtsahnenden Laien gerne Dinge erklären, die sie selbst pappeinfach und einladend logisch finden. 

Die ganze Wärme bleibt unten

Je mehr die Nachbarn unter uns heizen, so hat er weiter erklärt, desto weniger warm wird es bei uns. Sie verbrauchen in den anderen Wohnungen die ganze Wärme, bevor sie uns erreichen kann. Die Heizungsanlage ist alt, viel zu alt, und sie kann das nicht leisten, was sie in diesen Zeiten können müsste. Ich wiederum muss dem Hausmeister alles glauben, was er sagt, denn ich verstehe rein gar nichts von Technik. Würden die Nachbarn etwas weniger heizen, so sagte er jedenfalls noch, wir hätten es wärmer bei uns. Man könnte doch im Haus mal reden, und ich verstand an dieser Stelle nicht gleich, war das jetzt ein Scherz oder nicht.

Ein interessanter Gedanke war es aber, das auf jeden Fall. Ich könnte im Haus herumgehen und die anderen elf Parteien bitten, etwas weniger zu heizen, mit Verweis auf unser dauerndes Frieren. Ob das wohl tatsächlich etwas nützen würde? Ich stellte mir die Gespräche für einen Moment ernsthaft vor – wie dann die Nachbarinnen oder Nachbarn da in den Türen ihrer gut geheizten Wohnungen stehen, mich prüfend ansehen und überlegen, ob ich jetzt komplett irre geworden sei. Und ob ein Grad weniger als Nachbarschaftshilfe für sie ernsthaft zumutbar sei. Ich stellte mir vor, wie mich einige nach dem Klingeln freundlich hineinbitten, und wie ich dann sofort sage: „Oh, Sie haben es aber schön warm!“ Mit der Tür ins Haus fallen, so nennt man das wohl.

„Mein Name ist Buddenbohm, mir ist kalt“

Die Nachbarn haben sich gewiss auch schon Gedanken über ihre Finanzen, ihren Sparwillen und ihre Wohlfühltemperatur gemacht, nehme ich an, Die haben auch längst irgendetwas beschlossen, was die Wärme in ihren Wohnungen betrifft. Nahezu alle Menschen in diesem Land, wenn nicht in ganz Europa, werden über das Thema mittlerweile ausführlich nachgedacht haben: Wieviel Wärme können und wollen wir uns in diesem Winter leisten, in welchem Raum und zu welchen Uhrzeiten? Und dann kommt also dieser Nachbar von oben, und er will ein, zwei Grad Raumtemperatur abhaben.

Ich muss noch dazu sagen, dass ich die meisten Nachbarn in diesem Haus nicht kenne, wie es in Großstädten eben vorkommt, besonders in Norddeutschland. Wir reden hier nicht dauernd mit anderen, auch nicht im Treppenhaus. Wir nehmen es eher schweigend hin, dass es auch andere Menschen gibt. Ich müsste mich erst einmal vorstellen: „Mein Name ist Buddenbohm, mir ist kalt.“ Mir kamen theaterhafte Szenen in den Sinn. Eine Komödie könnte man vielleicht aus der Lage machen, eine zeitgemäße sogar. Gleich um die Ecke hier ist das Ohnsorg-Theater, das führt Stücke in niederdeutscher Sprache auf, die sind häufig heiter, es würde passen. Ich dachte etwas länger darüber nach. Sind Theater heutzutage noch beheizt? Hat man es da wohlig warm?

Ich stellte mir weiter vor, wie meine Nachbarn nach ein paar erklärenden Sätzen von mir alle erst einmal beruhigend „Ja, ja“ sagen – und dann aber hinterher doch nichts machen. Natürlich machen die nichts! Ich stellte mir vor, wie sie abends ihren Partnerinnen oder Partnern erzählen, dass der Nachbar von oben dagewesen sei, mit einem wirklich merkwürdigen Anliegen. Ein komischer Typ.

Lieber nicht mit Nachbarn reden

Also nein, ich möchte bestimmt nicht mit unseren Nachbarn über ihre Wärme und unser Frieren reden. Ich möchte, dass der Hausmeister etwas für mich regelt. Ich möchte, dass er technisch irgendetwas macht, dass er am Heizsystem etwas ändert. Ich weiß nicht, was er genau machen soll, ich möchte davon gar nichts verstehen, es interessiert mich überhaupt nicht. Was Hausmeister eben machen. Meinetwegen kann auch die Hausverwaltung oder der Hausbesitzer etwas machen, vielleicht sind die zuständig. Vielleicht müssen die erst etwas anweisen oder beschließen oder kaufen. Wie auch immer, wer auch immer. Irgendeine andere Instanz soll jedenfalls etwas regeln. Ich doch nicht.

Stehen mir denn nicht mindestens 19 Grad zu, vielleicht sogar mehr? Ich könnte das natürlich nachsehen, wie es gesetzlich genau ist, aber wozu, ich wäre mit ein, zwei Grad mehr vollkommen zufrieden. Muss die Wärme denn nicht einfach gerechter im Haus verteilt werden, und muss nicht also jemand dafür sorgen, dass das so ist? Weil das ein Sachverhalt ist, über den man nicht lange nachdenken muss, der sich komplett von selbst versteht? Und wieso kommt mir eigentlich neuerdings alles so gleichnishaft vor?

Ich werde noch weiter darüber nachdenken. Bei einem sehr heißen Tee vielleicht.

 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Maximilian Buddenbohm, Susi Bumms und Sineb El Masrar. Maximilian Buddenbohm berichtet in „Ausgesprochen … gesellig“ über das große Ganze, die Gesellschaft, und ihre kleinsten Einheiten: Familie, Freundschaften, Beziehungen.