Ausgesprochen … gesellig  So geht es zu, da draußen

Ein älterer Mann in gelber Regenjacke mit verärgertem Gesichtsausdruck
Wenn man älter wird, findet man oft schlecht, was sich in der Welt verändert Foto (Detail): Roman Samborskyi; © mauritius images /Alamy Stock Photos

Mit zunehmendem Alter verändert sich der Blick auf die Welt – so  empfindet es Maximilian Buddenbohm. Die Frage ist: Hat sich die Welt verändert oder hat er selbst sich verändert? Und doch: Eine Sache ist wirklich viel schlimmer geworden.

Es gibt Themen, die sind etwas heikel für mich, weil ich schon ein gewisses Alter habe, ich bin 56. Das ist noch nicht das Greisenalter, ich weiß, aber als junger Mensch gehe ich auch nicht mehr durch, und das hat Folgen für meine Wahrnehmung. Wenn man allmählich älter wird, findet man oft tendenziell schlecht, was sich in der Welt verändert. Die Welt soll gefälligst so bleiben, wie sie aus der eigenen Sicht immer schon war, auch wenn man dunkel ahnt, dass schon die eigenen Eltern das ganz anders gesehen hätten, und deren Eltern erst recht, von deren Eltern zu schweigen und immer so weiter. Die Welt ist Wandel, so einfach, so banal. Man muss gut aufpassen, was man schlecht findet, es ist vielleicht einfach nur etwas anders geworden und man selbst also unversehens zum krückstockfuchtelnden Rentner mutiert, der junge Menschen anpöbelt und die Moden um sich herum in peinlicher Weise nicht mehr versteht. Man ist dann unbemerkt zu diesem Cartoon geworden, über den man als Jugendlicher noch gelacht hat. Nie hätte man es für möglich gehalten, auch einmal so zu werden. Und doch.

Weitere Möglichkeiten

Bis dahin ist es simpel. Kompliziert wird es dadurch, dass weitere Möglichkeiten dazu kommen können. Zum einen kann es sein, dass sich gar nicht da draußen etwas ändert, sondern man sich nur selbst, und man bekommt es dummerweise nicht mit. Das kommt nicht selten vor. Einfaches Beispiel: Die Welt wird gar nicht immer schneller, ich werde nur im Laufe der Jahrzehnte immer langsamer und hinke also allem hinterher. Das kann sein, und es ist eher schwer zu bemerken. Damit macht man sich dann auch lächerlich. Zum anderen kann manches auch tatsächlich schlechter werden. Im Ernst und sogar objektiv. Es gibt eben Themen, mit denen geht es bergab, und nur, weil man älter wird, muss man noch lange nicht konsequent im Unrecht sein. Es gibt echte Rückschritte, Fehlentwicklungen, Irrtümer der Geschichte. Es gibt Trends, die man auch nach besonders gründlicher Überlegung nicht gut finden muss, etwa weil man gewisse ethische Maßstäbe hat. Doch, das kann wirklich sein, und man dürfte sich dann wohl, aber eben nur dann, vollkommen zu Recht über etwas aufregen, ja, man muss es vielleicht sogar.

Das Problem besteht selbstverständlich darin, treffgenau unterscheiden zu können, welcher Sachverhalt gerade vorliegt. Es liest sich vermutlich kolumnistisch heiter, tatsächlich aber halte ich es für eine der größeren Aufgaben des alternden Menschen. Warum finde ich neuerdings etwas schlecht? Es gehört Denkleistung dazu, sich das möglichst korrekt zu beantworten. Was passiert da, wie ist es wirklich, erkenne ich die Realität, falle ich wieder auf mich oder etwas anderes herein, falle ich vielleicht einfach nur aus der Zeit?

Wie arbeiten die Generationen?

Nehmen wir die Arbeitshaltung von Generationen. Gerade wird das wieder mit Vehemenz diskutiert, in den Medien, auch in den Timelines und in den Büros et cetera. Wie arbeiten die Boomer, wie die Generationen X oder Z, die ich gar nicht souverän unterscheiden kann, wie arbeiten die angeblich so entsetzlich unmotivierten und überhaupt mehr als seltsamen Millennials, die das Y in der Generationenfolge sind. Ich habe dummerweise nie die Buchstaben, Daten und Zugehörigkeiten der Jahrgänge parat, wer da eigentlich in genau welche Schublade gehört, bei anderen scheint das schon Allgemeinbildung zu sein. Meine Söhne sind noch knapp Generation Z, danach kommt dann die Generation Alpha, das musste ich jetzt allerdings erst in der Wikipedia nachsehen. Sollte ich einmal Enkel haben, werden sie dann wohl Beta-Versionen, ich bin sicher nicht der Erste mit diesem Scherz. Die Generation Alpha arbeitet noch nicht, die spielt also bei dem Thema Verhalten im Beruf bisher keine Rolle.

Es gibt jedenfalls Hohn, Spott, und Ärger von allen Seiten, teils deutlich beleidigend. Die Menschen verteidigen neuerdings ihre jeweiligen Alterskohorten wie Fußballklubs, es fehlen nur noch Schals, Fahnen und Fangesänge: So sehen Boomer aus, schalalala. Ihr seid so, wir sind aber so, und das ist natürlich besser, so geht das Standarddenken. Auf Tiktok und Instagram laufen zahllose Filmchen nach immer gleichem Muster, die das stereotype Verhalten der Generationen in etlichen Situationen darstellen. Wie gehen Boomer ans Telefon, wie gehen Millennials zur Arbeit, wie geht die Generation Z ins Bett, es scheint unendlich zu amüsieren, ein Klischee nach dem anderen.  Die jungen Menschen arbeiten deutlich anders als wir es getan haben, so viel scheint für alle festzustehen, darauf kann man sich mühelos einigen. Bis dahin nicken alle Generationen in seltener Eintracht. Die Jüngeren haben mit anderen Worten die Stirn, uns Ältere nicht in allem nachzumachen und uns nicht einmal die höchste Weisheit zuzubilligen, die uns doch einwandfrei zusteht. Wenn ich mich mit Menschen in meinem Alter unterhalte, kann mittlerweile jeder eine erheiternde Anekdote zum Arbeiten mit merkwürdigen Berufsanfängern beitragen. Es ist ein beliebtes, sehr lustiges Thema, da lacht die Runde zuverlässig.

Nicht zuständig

Ich bin mir sicher, das ganze Thema und die damit verbundene Aufregung können mir komplett egal sein. Ich kann die abweichende Arbeitshaltung der Nachkommenden gut oder auch schlecht finden, es hat einfach keine Relevanz. Oder höchstens soziologische Relevanz. Ja, es ist auf eine Art interessant, das gebe ich gerne zu. Man kann es erforschen und auch in Sachbuchlänge ausdeuten, okay, meinetwegen. Vielleicht würde ich es sogar lesen. Aber bewerten? Ich denke, das muss nicht sein. Ich falle da nämlich mit jedem Jahr mehr aus der Zuständigkeit, und das muss man auch ausgiebig genießen können, glaube ich. Es gehört für mich zu den eindeutigen Vorteilen des Alterns, nicht mehr für alles zuständig zu sein.

Sicherheitshalber kann ich aber auch bei diesem Thema noch eben die ethischen Maßstäbe checken, ich bilde mir immerhin so gerne ein, welche zu haben. Ist es also böse, schlecht und verwerflich, was die jungen Leute da im Beruf machen? Nein, sie werden keine Nazis und marschieren durch die Institutionen, sie ziehen auch nicht im Nebenerwerb plündernd durch die Vororte, sie überfallen hauptberuflich keine Nachbarländer, sie gewichten nur ihre Work-Life-Balance etwas anders. Ja, meine Güte, was geht mich das denn an? Das ist also ein gutes Beispiel für ein Thema, zu dem ich lieber nichts mehr sage oder meine.

Etwas anderes

Davon abgesehen wollte ich heute allerdings etwas anderes schreiben. Ich musste diesmal nur etwas weiter ausholen, nein, ich musste sogar enorm weit ausholen, die ganze Kolumne besteht im Grunde nur aus einem eher schnörkelhaft zum Ziel führenden Schlenker. Denn auch eingedenk all dieser oben angerissenen Möglichkeiten - finden Sie nicht ebenfalls, dass sich immer mehr Menschen aus allen möglichen Generationen kaum noch an Verkehrsregeln halten? Und ist das nicht eine Entwicklung, die objektiv stattfindet, die auch statistisch schon länger belegbar ist, wie ich mehrfach gelesen zu haben meine, die tatsächlich und objektiv schlecht ist, wie auch immer man es betrachtet? Und ist dieser Trend nicht sogar ethisch bedenklich, ist es nicht geradezu eine teilweise Kündigung des nur gedachten Gesellschaftsvertrags und ein wirklich schlechtes, alarmierendes Zeichen für das soziale Klima im Land, und warum denn bloß, ich verstehe es ernsthaft nicht, warum denn bloß wird das nicht viel intensiver diskutiert, wo es doch ein so offensichtlicher und auch signifikanter zivilisatorischer Rückschritt ist?

Pardon. Ich wollte mich gar nicht so rentnerhaft aufregen, und es geht auch gleich wieder. Ich bin nur gerade schon wieder fast von einem Autofahrer umgebracht worden, der bei Rotlicht ungebremst über eine Kreuzung fuhr, über die ich ging. Es war der vierte Vorfall dieser Art in den letzten sechs Monaten. Denn so geht es jetzt zu, da draußen. Und ich glaube mittlerweile ernsthaft und einigermaßen durchdacht, es liegt nicht an meinem Alter, dass ich das so wahrnehme.

 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Maximilian Buddenbohm, Susi Bumms und Sineb El Masrar. Maximilian Buddenbohm berichtet in „Ausgesprochen … gesellig“ über das große Ganze, die Gesellschaft, und ihre kleinsten Einheiten: Familie, Freundschaften, Beziehungen.