Ghassan Sahhab

Conversation With Mohammad Al-‘Aqqad


Cover Ghassan Sahhab - Conversation © Ghassan Sahhab
Irgendwann zwischen 1841 und 1851 im ägyptischen Damiette geboren, gilt Mohammad Al-‘Aqqad als einer der versiertesten Zitherspieler des späten 19. und 20. Jahrhunderts. Obwohl Al-‘Aqqad schon um 1930 in Kairo starb, hatten seine Kompositionen großen Einfluss auf Ghassan Sahhab. In seine Arbeit für dieses Projekt ließ Ghassan Al-‘Aqqads Musikalität, Kreativität und Virtuosität einfließen, die sein eigenes Zitherspiel wesentlich angeleitet und motiviert hat. Anders als andere gegenwärtige Zitherspieler, arbeitete Al-‘Aqqad mit Zithern, die noch nicht zum Modulieren geeignet waren. Die dafür notwendigen Hebel (Mandal) revolutionierten die Musikszene erst ab dem späten 19. Jahrhundert. Al-‘Aqqad weigerte sich jedoch, diese Entwicklung auch in seinem eigenen Spiel einzusetzen.  

Ghassan entschied sich mit dem großen Improvisationskünstler des 19. Jahrhunderts in einen Dialog zu treten und wählte dafür ein vor genau einhundert Jahren, nämlich 1921, aufgenommenes Musikstück mit dem Titel „Taqasim Saba ‘ala Al-Wahda“ (Taqsim zum Maqam Saba im Wahda-Zyklus). Die Aufnahme wurde von der libanesischen Stiftung für die Archivierung und Erforschung arabischer Musik (AMAR) aufbewahrt und digitalisiert. 

Ghassan Sahhab spielt im Studio auf seiner eigenen Zither zur Originalaufnahme von „Taqasim Saba ‘ala Al-Wahda“ und tritt durch eine Art Frage-und-Antwort-Spiel in ein musikalisches Gespräch mit Al-‘Aqqad. Dadurch knüpft er auch selbst an den Taqsim als klassische instrumentale Improvisationsform des Mittelmeerraums an. Der zeitgenössische Klang von Ghassans Zither kommuniziert frei mit der nichtmodulierbaren Zither vergangener Zeiten. Die ganze Komposition basiert auf dem Verständnis, dass Erbe kein feststehendes, unbewegliches Material ist, sondern eine lebendige Reflektion kultureller Identität.

Trotz der unterschiedlichen zeitlichen Epochen, geschichtlichen Ereignisse und technischen Innovationen treffen sich beide Künstler in einem Stück und teilen eine Sprache: die der Maqamat. 


Länge: 3:30
Instrumentation: Zither
Originalaufnahme: 1921
Genutztes Archiv: Foundation for Arabic Music and Research (AMAR)
Komposition: Improvisation
Aufnahme: August 2021
Sound Engineer: Fadi Tabbal
Studio: Tunefork Studios




 

Unrevealed


Cover Ghassan Sahhab - Unrevealed © Ghassan Sahhab “Authentizität” und “Tradition” sind zwei Konzepte, die oft verwendet werden, wenn es um Musik geht. Dabei werden sie sowohl sprachlich als auch philosophisch häufig missbraucht. Um den Unterschied zwischen beiden musikalisch auszuloten, wählte Ghassan Sahhab verschiedene Musikstücke aus, mischte sie und komponierte auf diese Weise ein Stück mit dem Titel “Unrevealed.” 

“Unrevealed” lädt den Hörer dazu ein, eine aktive Rolle im Prozess des Zuhörens und Nachdenkens einzunehmen, um die unterschiedlichen historischen und zeitlichen Kontexte zu erfahren, in die jede Melodie eingebettet ist. Das Stück fordert den Hörer dazu heraus, einzelne musikalische Elemente zu identifizieren, die dadurch zusammengehalten werden, dass sie die gleiche kulturelle Identität teilen. 

Der musikalische Gehalt dieses Stückes stammt aus zwei Manuskripten und einer alten Aufnahme. Diese Ausgangsmaterialien gehören drei verschiedenen Epochen an. Bewusst ausgewählt, nehmen sie die persönliche Erfahrung des Künstlers mit Noten, Manuskripten und Archiven zur Grundlage. Das erste Stück ist eine Melodie aus der Abbasidenzeit (etwa 13. Jahrhundert) und wurde von Safi ed-Din el-Urmawi in seinem Buch „Kitab al-Adwar“ überliefert. Das zweite ist einer Melodie aus dem 19. Jahrhundert entlehnt, die in „Al-Risala Al-Shahabiyya“ von Mikha’il Mashaqa festgehalten wurde. Ein bekanntes Instrumentalstück mit dem Namen „Sama’i Darej Bayati“, aufgenommen zwischen 1903 und 1932, bildet das dritte Puzzelstück. 

Der Künstler Ghassan Sahhab nutzt sein musikalisches Erinnerungsvermögen und Wissen dazu, sich ein Zusammentreffen der drei Melodien vorzustellen, die alle auf dem gleichen Maqam aufbauen. Auf der Grundlage ihrer musikalischen Grammatik interpretiert Sahhab ihren Inhalt neu, improvisiert und fügt ihn in einem einzigen Stück zusammen. Sorgfältig wählt er diejenigen Elemente aus, die er im Rahmen seiner zeitgenössischen Herangehensweise an jahrhundertealte Melodien vorstellen will.

Länge: 3:40
Instrumentation: Zither
Originaldokumentation: 13., 19. und 20. Jahrhundert
Genutztes Archiv: Foundation for Arabic Music and Research (AMAR)
Komposition: Improvisation
Aufnahme: August 2021
Sound engineer: Fadi Tabbal
Recording studio: Tunefork Studios

 

Das Warum hinter der Musik

Ghassan Sahhab


Meine Erfahrungen im Bereich der Musik sind das Resultat einer langen Reise des musikalischen Lernens, der Fortbildung, Forschung, Komposition und Performance. Zunächst verfeinerte ich meine Fähigkeiten an der Zither, einem der wichtigsten Instrumente der modalen Musik im Mittelmeerraum. Als ich jedoch begann, Nachforschungen anzustellen und meine Erkenntnisse mit anderen zu teilen, stellte das für mich einen ganz besonderen Wendepunkt dar.

Mein Beitrag zu Mirath:Music versteht sich als Fortsetzung meiner Arbeit bei me’azaf, (meiner eigenen musikalischen und kulturellen Initiative) und meines weiteren musikalischen Schaffens. Für Mirath:Music bin ich zu den Quellen zurückgekehrt, die mir am vertrautesten sind: Audioarchive, Manuskripte, Aufnahmen, schriftliche und mündliche Überlieferungen. Ebenfalls bin ich dem Ansatz derer gefolgt, die die Musik innerhalb klassischer modaler Traditionen erneuern wollen. 

Im Zuge der Arbeit an meinem Projekt wollte ich auch die Bedeutung unserer regional fest verankerten levantinischen Musiksprache hervorheben und ihre Komplexität, Anpassungsfähigkeit und Vielfältigkeit aufzeigen. Das Spiel und die Komposition auf der Zither ermöglichten mir das und ließen mich meine Erkenntnisse über Kompositionen direkt in die musikalische Praxis übersetzen. Meine Arbeit betont das reiche Potenzial modaler und maqamischer Musik im Gegensatz zum klassischen westlichen Harmonieverständnis, das zunehmend auch die musikalische Praxis im Mittelmeerraum dominiert.

Durch Bildung, die Musikindustrie und oft auch durch Musikproduktionen und Musikvertriebe, die sich am globalen Norden ausrichten, etablieren sich westliche Einflüsse in der musikalischen Praxis der Region. Diese Entwicklung zeigt sich vor allem in der Verdrängung der familiären Takhat durch die Form des Orchesters und in der Institutionalisierung musikalischen Lernens in religiösen und schulischen Strukturen. Bis zu diesem Zeitpunkt basierten unsere lokalen musikalischen Praktiken auf den tiefen Beziehungen zwischen Lehrer oder Murshid (dem, der anleitet) und Schüler oder Mureed (dem, der auf der Suche ist). Zu dieser Praxis zurückkehrend, sind meine Kompositionen ein Gegenentwurf, der auf das zurückgreift, was ich durch praktische Erfahrung gelernt habe. 

Interview mit Ghassan Sahhab