Yacoub Abu Ghosh

Journey


‘Journey’ war ein Versuch, mich unterbewusst von der Musik durch verschiedene emotionale Ausdrucksformen führen zu lassen, wobei ich das verwendet habe, was ich als mein musikalisches Erbe begreife. Aufbauend auf dem Konzept eines musikalischen Dialekts gebrauche ich die musikalischen Epistemologien unserer Region, die ich mir im Laufe der Jahre angeeignet habe, um zeitgenössische Musik zu produzieren.“ (Yacoub Abu Ghosh)

Für den Künstler fängt Klang Gefühle ein, die nur schwer in Worten auszudrücken sind. Er adressiert dabei die oralen Traditionen maqamatischer Musik, die oft über lebendige Interaktion anstelle von schriftlicher Notation von Lehrer zu Schüler weitergegeben werden. 

„Journey“ führt den Hörer auf eine zweiteilige Reise. Dabei wird er erst von der Bassgitarre, dem treuen Gefährten des Künstlers, begleitet. Dann trifft er auf das Keyboard, ein Instrument, durch welches Abu Gosh neue musikalische Phrasen in dem von ihm bereiteten emotionalen Horizont aufziehen lässt.
Obwohl er mit Bassgitarre und Keyboard moderne Instrumente benutzt, arbeitet Abu Gosh mit antiken Maqamat, deren geografische und zeitliche Ursprünge tief im klassisch-modalen System verwurzelt sind. Seinem Ansatz entsprechend, einen persönlichen musikalischen Dialekt zu entwickeln, der in Zeit, Erinnerung und Praxis verwurzelt ist, fügt der Künstler seine persönliche Note zu diesen Melodien hinzu und erneuert sie als moderne Hörerfahrung.

Ausgehend von den Moll-Tonleitern des Maqam Nahawand erzeugt das Stück eine absichtliche Spannung, die mit wiederholten musikalischen Passagen verwoben wird. Der Maqam Ajam fügt der Reise einen Hauch von Freude hinzu und wechselt dann schnell in den Maqam Hijaz, um die Gefühlswelt des Hörers aufzurütteln. Die akustische „Reise“ durchläuft anschließend den Wandel zu einem Maqam Bayati und erzeugt einen Ausdruck der Sehnsucht, nur, um schließlich eine erneute Wendung zu nehmen und den Hörer mit dem Maqam Kurd melancholischer zurückzulassen. 

Das Umherschweifen zwischen melodischen Stimmungen und verschiedenen emotionalen Zuständen betont, dass Musik in der Lage ist, die Verfassung ihrer Zuhörer zu verändern und zu beeinflussen. Das Stück kombiniert eine zeitgenössische Instrumentierung mit den zeitreisenden Maqamat und lädt dazu ein, Erbe neu zu definieren und infrage zu stellen. Dadurch erschafft “Journey” etwas, das als Zeitkapsel eines potenziellen zukünftigen Erbes verstanden werden kann.


Komposition: Yacoub Abu Ghosh
Arrangement: Yacoub Abu Ghosh
Instrumentierung: Bassgitarre, Synthesizer
Aufnahme: August 2021
Text: keine Angabe



 

Suleimah’s Picnic


„Suleimah’s Picnic“ ist ein Musikstück, das zwei levantinische Folklorestücke verbindet: „How Do I Sleep at Night, Suleimah? - شلون أنام الليل يا سليمى” und „What a Beautiful Picnic - يا محلا الفسحة “. Weil die Suche nach Originalaufnahmen in den Archiven keine Ergebnisse lieferte, hat der Künstler schließlich den Weg gewählt, der für die modale/maqamatische Musik am bekanntesten ist: den der Praxis durch Erinnerung. 

Erst mit dem Kairoer Kongress der Arabischen Musik von 1932 und der zunehmenden Ausbreitung der westlicher Musikindustrie setzte sich die Auseinandersetzung mit notierter Musik vollständig durch. Bis dahin bildeten und bilden bis heute Erinnerung und gelebte Praxis integrale Bestandteile kulturellen Wissens in Westasien und Nordafrika. 

Die beiden Musikstücke, die dieser Track kombiniert, sind prägen Yacoub Abu Goshs musikalisches Gedächtnis. Starke emotionale Verbindungen zu beiden Stücken regten ihn dazu an, sie durch seine ganz persönliche Interpretation in innovativer Instrumentierung neu zu erfinden und dafür die gegenwärtige folkloristische Stimmung in moderne elektronische Synthesizer zu übersetzen. 

Das Stück beginnt mit „How Do I Sleep at Night, Suleimah? - شلون أنام الليل يا سليمى”, einer melodischen Serenade aus dem frühen 20. Jahrhundert, die wahrscheinlich in Südsyrien oder im Norden des Iran entstanden ist. Sie wird im Maqam Kurd gespielt und erzählt von einem Mann, der sich in schlaflosen Nächten nach seiner geliebten Suleimah sehnt. Über Bassgitarre und eine improvisierte Erforschung des Maqams auf dem Synthesizer gelangt Abu Gosh schließlich zu „What a Beautiful Picnic - يا محلا الفسحة “, einem weiteren Stück aus dem nordwestlichen Mittelmeerraum. Es wird im Maqam Nahawand gespielt und berichtet von einem Picknick am Meer im schimmernden Mondlicht. 

„Suleimah’s Picnic“ führt den Hörer durch das ineinanderfließende Erbe und den fluiden Charakter westasiatischer kultureller Identitäten:

Nicht nur wir als menschliche Wesen passen uns ständig an und verändern uns. Auch unsere Kultur, unsere Musik durchläuft diese Prozesse. Die Fähigkeit dazu ist ein integraler Bestandteil unseres Überlebens und der Kontinuität unserer Kultur.“ 
(Yacoub Abu Ghosh)

Komposition: aus folkloristischem Erbe
Arrangement: Yacoub Abu Ghosh
Instrumentierung: Synthesizer, Bassgitarre
Originalkomposition/Datum: wahrscheinlich frühes 20. Jahrhundert
Aufnahme: August 2021
Text: keine Angabe

Das Warum hinter der Musik

Yacoub Abu Ghosh


Ich bin seit fast 25 Jahren Musiker. In dieser Zeit habe ich in unterschiedlichen Positionen und Rollen gearbeitet, war Bassgitarrist, Komponist und Arrangeur, sowohl alleine wie auch in Kollaboration mit anderen. Dabei habe ich meine eigene Stimme geschärft und einen eigenen, erkennbaren Stil entwickelt.

Für mich ist Musik ein ähnliches Ausdrucksmittel wie Sprache. Es erlaubt mir meine Gefühle ausdrücken und die Entwicklung meiner Identität zu reflektieren. Als lebendige Organismen passen sich Musik und Sprache fortwährend an Zeiten und Ereignisse an. Während meiner Kindheit und Jugend in Amman habe ich die Einflüsse aufgesogen, die an diesem Ort widerhallten. Gleichzeitig war ich auch Teil einer breiteren musikalischen Bewegung die vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten zeigte, dass wir als Individuen und Gemeinschaften unser ewig wandelbares Erbe prägen. 

Dieses Erbe reicht tiefer, als musikalische oder mündliche Dokumentationen und Quellen. Es ist mit unserem Unterbewusstsein verbunden. Mein eigener Dialekt oder Idiolekt wird so innerhalb meiner natürlichen Umgebung geprägt, während er geografische Grenzen und Institutionalisierungen durchbricht. Die ganze musikalische Vielfalt Ammans, von beduinischer Musik bis zu Jazz oder Rock, mag auf unterschiedliche Weise entstanden sein und bleibt dennoch Teil desselben Ortes. 

Während meines Arbeitsprozesses für Mirath:Music habe ich versucht, die Spannbreite der musikalischen Dialekte, die meine und unsere Region geprägt haben, darzustellen, ohne Grenzen zu ziehen oder Definitionen auszubuchstabieren. Musik zeigt ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen uns und dem, was uns umgibt. Dieses Gefühl formt uns. Ich glaube, dass in Zukunft die ganze Welt diese Zugehörigkeit zu einem universellen Ort ohne Vorurteile oder Diskriminierung spüren kann. Die Arbeit an diesem Projekt hat es mir ermöglicht, ein tieferes Verständnis meines eigenen Erbes zu entwickeln und mich gleichzeitig zu den Erfahrungen anderer Musiker in Beziehung zu setzen.
 

Interview mit Yacoub Abu Ghosh