Märchen der Romantik

„Das kalte Herz“ – wenn Geld unglücklich macht

Typischer Fichtenwald im Schwarzwald, Blick bei St. Georgen, Quelle: selbst fotografiert, Fotograf: Siegfried Wessler, Datum: 11. April 2006Der Mittlere Schwarzwald bei Haslach im Kinzigtal, 03.04.2004, Eigenes Werk, Arminia, CC BY-SA 3.0Wilhelm Hauff verarbeitete orientalische und deutsche Sagenstoffe und wurde damit zum bekanntesten Autor von Kunstmärchen in Deutschland. Den „kleinen Muck“ zum Beispiel kennt fast jedes Kind – dabei sind die sagenhaften Geschichten oft eher etwas für Erwachsene.

Kunstmärchen sind die jüngste Gattung der Märchen. Der Begriff kam erst im 19. Jahrhundert auf. Anders als bei den mündlich überlieferten Volksmärchen waren ihre Verfasser bekannt. Der erfolgreichste Autor dieser sagenhaften Erzählungen war in Deutschland der Stuttgarter Wilhelm Hauff (1802–1827). In Das kalte Herz vermengt er – typisch für ein Kunstmärchen – die im Schwarzwald verbreiteten Legenden des „Glasmännleins“ und des „Holländer-Michels“ zu einer neuen Geschichte.

Vor allem zwischen 1815 und 1848 entstanden in Deutschland viele Kunstmärchen: Auch Novalis, Ludwig Tieck oder E.T.A. Hoffmann bedienten sich dieser Ausdrucksform. Die Zeit ist von technischen Entwicklungen und politischen Spannungen geprägt, Hauffs künstlerische Zeitgenossen aber feiern die Fantasie – der Alltag nimmt bei ihnen traumhafte oder bedrohliche Züge an. Die Grenze zwischen Realität und Illusion verschwimmt.

Wie auch beim Volksmärchen befindet sich der Held anfangs in Not und bei der Suche nach einer Lösung trifft er dann auf wundersame Personen. Allerdings ist die Sprache der Kunstmärchen komplizierter, ihr Aufbau verschachtelter und die Botschaft nicht unbedingt nur für Kinder gedacht. Das kalte Herz erzählt beispielsweise von Raffgier und Rücksichtslosigkeit und ist damit auch eine Kritik an der Industrialisierung.

Der unzufriedene Arbeiter

Wilhelm Hauff, Public Domain Im Schwarzwald lebt der Köhler Peter Munk und er ist neidisch: Er möchte reicher sein als Ezechiel und besser tanzen können als der Tanzbodenkönig. Als Peter hört, dass es in der Nähe ein Glasmännlein geben soll, das jedem drei Wünsche erfüllt, macht er sich auf die Suche. Zweifel hat er allerdings: „Noch vor kurzer Zeit glaubten die Bewohner dieses Waldes an Waldgeister, und erst in neuerer Zeit hat man ihnen diesen törichten Aberglauben nehmen können“, heißt es bei Hauff.

Zunächst trifft Peter auf seiner Suche den Holländer-Michel. Wo Gut und Böse im Märchen sonst scharf getrennt sind, lassen sich die Figuren bei Hauff nicht so leicht zuordnen. Michel hat teuflische Züge, lebt jedoch – anders als ein Dämon – unter den Menschen. Das Glasmännlein dagegen ist für einen Geist sehr menschlich: Es befriedigt seine Nikotinsucht mit Pfeifentabak und versucht zunächst, dem Köhler ganz ohne Magie zu helfen. Doch bei der typischen Märchenaufgabe („Sei einfach klug und fleißig“) versagt Peter: Er verlangt vom Glasmännlein als erstes Geld und Tanzkünste und als zweites eine Glashütte mit zugehörigem Pferdegespann. „Pferde? Wägelchen? Verstand, sag’ ich dir, Verstand, gesunden Menschenverstand und Einsicht hättest du wünschen sollen“, schimpft der Geist. Frustriert verweigert er Peter den dritten Wunsch.

Der Held muss in sich hineinhorchen

Der jedoch ist mit seinem neuen Status vollauf zufrieden und ergeht sich in Müßiggang. Das hat Folgen. Wegen seiner Spielsucht muss Peter seine Glashütte pfänden und wird verjagt. An Stellen wie diesen ist Hauff eigentlich kein Märchenerzähler, sondern berichtet in nüchterner Weise von gesellschaftlichen Prozessen. Streckenweise liest sich Das kalte Herz sogar wie ein Reisebericht: Bis ins Detail schildert Hauff zum Beispiel die verschiedenen Trachten des Schwarzwalds.

„Das kalte Herz“ gelesen von Dieter Eppler von der CD „Das kalte Herz“, veröffentlicht
von BOB-MEDIA GmbH & Co.KG. Bildmaterial der DVD/Blu Ray von J.A.Nossem. Schnitt
und Produktion: BOB-MEDIA

Aus Verzweiflung sucht der verarmte Peter den Holländer-Michel auf. Der hilft ihm mit noch mehr Geld aus, fordert im Gegenzug aber Peters Herz und pflanzt ihm stattdessen einen Stein in die Brust. Am nächsten Tag beginnt Peter eine Weltreise. Dabei bemerkt er, dass er weder zum Lachen, Weinen oder sonst einem Gefühl fähig ist. Er kehrt in den Schwarzwald zurück und fordert vom Holländer-Michel sein Herz zurück. Aber der Deal erlaubt das nicht. Stattdessen zeigt der Mensch-Dämon ihm eine ganze Sammlung an gepfändeten Herzen – es stellt sich heraus, dass auch der von Peter beneidete Ezechiel seine Gefühle gegen Geld eingetauscht hat.

So komplex wie das echte Leben

Zu den derart enttarnten Idolen gesellen sich noch weitere Geizkrägen – die zweideutigen Gestalten sind in Das kalte Herz eindeutig in der Überzahl. Herzensgut ist nur Peters Braut Lisbeth, doch die Ehe endet für sie in der Katastrophe: Peter verbietet ihr aus Geiz jede noch so kleine Freue. Als sie dem als Bettler getarnten Glasmännlein heimlich Brot und Wein schenkt, erschlägt Peter sie. Damit ist die Situation eskaliert. Das Glasmännlein gibt Peter acht Tage Zeit, sein Leben zu überdenken. Dieser will nicht hören, doch er wälzt sich nachts unruhig im Bett und vernimmt Stimmen in seinem Kopf.

Typischer Fichtenwald im Schwarzwald, Blick bei St. Georgen, Quelle: selbst fotografiert, Fotograf: Siegfried Wessler, Datum: 11. April 2006, CC-BY-SA-2.0-DE Schließlich besinnt er sich. Die Verwandlung des Helden findet nicht äußerlich durch Zauber statt, sondern weil er in sich geht – auch das ist untypisch für ein Volksmärchen. Als dritten und letzten Wunsch an das Glasmännlein fordert Peter also sein Herz zurück und muss erfahren, dass Magie hier nicht hilft. Er muss den Holländer-Michel aus eigener Kraft überlisten.

Kunstmärchen nehmen keinesfalls immer ein gutes Ende. Das kalte Herz allerdings schon, aber eines mit Ironie: Peter erkämpft sich sein Herz eigenständig zurück, bereut seine Missetaten ehrlich und als Belohnung setzt das Glasmännlein nun doch überirdische Kräfte ein – es erweckt Lisbeth kurzerhand wieder zum Leben.

Hauffs vielschichtige Kunstmärchen wirken heute noch modern und können es sicher mit Bestsellern wie der Twilight-Sage oder Harry Potter aufnehmen.

Franziska Schwarz

Copyright: Goethe-Institut e. V., Internet-Redaktion
März 2012

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