Darstellende Künste
Prinzessin Yennenga erscheint in Gambidi

Am 26. und 27. Oktober 2022 wurde im Éspace Gambidi in Ouagadougou und im Untergeschoss eines Münchner Museums gleichzeitig Les Statues rêvent aussi aufgeführt, ein Schauspiel über die Rückkehr afrikanischer Kunstwerke, das von dem burkinischen Choreografen Serge Aimé Coulibaly und dem deutschen Regisseur Jan-Christoph Gockel kreiert und inszeniert wurde.  Es ist eine Aufführung, die Theater, Choreografie, Puppenspiel, traditionellen Gesang, Video und visuelles Spektakel vermischt und die Grenzen der darstellenden Kunst erweitert.
 

  • Yennenga Faap International
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Lange Zeit wurde die darstellende Kunst als eine Aufführung definiert, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort stattfindet und aus einem Bühnenraum und einem Publikumsraum besteht. Les Statues rêvent aussi macht diese Definition zunichte, denn die Aufführung findet gleichzeitig auf verschiedenen Bühnen statt, in Ouaga und in München, und für zwei Publika, die durch Tausende von Kilometern und einen Zeitunterschied von zwei Stunden voneinander getrennt sind!
Sowohl in Ouaga als auch in München folgen die Zuschauer den leibhaftigen Schauspielern auf der Bühne und auf der Leinwand, die Bühne endet also nicht einfach am Bühnenrand. In München werden im Keller des Museums afrikanische Masken, Statuen und Artefakte gelagert, darunter auch die Figur der Prinzessin Yennenga.  Diese träumt davon, in ihr Königreich nach Ouagadougou zurückzukehren. Ihre Flucht inszeniert sie mithilfe des Mädchens mit Zöpfen, das sich die Aufführung in München angesehen hat. Dieses wird zu einer Art Medium, ihr besessener und in Trance versetzter Körper verwickelt den Zuschauer in einen wirbelnden Derwisch-Tanz voller Energie und Kraft.
In Ouaga spielt eine andere Amazone, eine Art Zwilling oder Doppelgängerin, die gleiche Rolle. Sie hilft dem Hengst, sich der Prinzessin anzuschließen, um sie in ihr Königreich zurückzubringen. Zwischen diesem Kampf um den glorreichen Ritt nach Hause weben die Schauspieler die Geschichte der Begegnung zwischen Afrika und dem Westen durch die Kolonialisierung, die Plünderung von Kultgegenständen und kulturellen Artefakten, ihre Konstituierung als Kunstobjekte, ihren Einfluss auf die moderne Kunst sowie die Problematik der Rückkehr ihrer Objekte durch ihre Rückgabe.
Indem sich die Autoren weigern, Partei zu ergreifen, und auf der Bühne alle Diskurse zu Wort kommen lassen, sowohl die der Rückgabe-Gegner als auch die der Befürworter, haben sie die Wahl getroffen, objektive Äußerungen, aber auch Worte voller Subjektivität gleichberechtigt darzustellen. Das wird nicht jedem gefallen. Es ist klar, dass diese Aufführung nicht die Polemik des Dokumentarfilms Les statues meurent aussi von Chris Marker und Alain Resnais hervorrufen wird. Der Kontext ist ein anderer und zudem setzen die Autoren mehr auf die Kunst als auf den Aktivismus.
Am Ende der Aufführung findet die Prinzessin Yennenga ihr Pferd wieder und nach einem fantastischen Ritt über Land und Meer, durch Blitze und Donnerschläge, trifft sie in Ouagadougou ein, aufrecht, heiter, im Abendlicht des Éspace Gambidi, unter dem Applaus des Publikums.
Serge Aimé Coulibaly und Jan-Christoph Gockel gelang mit dieser Aufführung eine technische Leistung – die Kopräsenz zweier Publika und zweier Bühnen in derselben Aufführung; aber auch ein Theater, das die Kunst des Tanzes, des Puppenspiels, der Party und des traditionellen Gesangs mit der großen Sängerin Marie Gayéri vereint, deren scharfe Stimme wie der Speer von Yennenga die Nacht durchschneidet, indem sie mit einer triumphalen Hymne die Rückkehr der Prinzessin feiert.
Die Rückkehr afrikanischer Kunstwerke ist bei dieser Aufführung auch der Anlass, eine persönliche Mythologie von Serge Aimé Coulibaly zu präsentieren: die Mythologie eines eingeengten Künstlers, der von der frischen Luft Afrikas träumt. Die Idee zu dieser Aufführung entstand im Lockdown während der Covid-19-Pandemie, und man könnte den Traum von Yennenga durchaus auch als Metapher für die Rückkehr der afrikanischen Diaspora nach Afrika sehen, die in der Covid-19-Falle gefangen und in den vier Wänden des Westens eingesperrt ist. Les Statues rêvent aussi ist mehr als ein militantes Werk für die Rückkehr afrikanischer Kunstwerke auf den Kontinent, es ist eine künstlerische und technologische Meisterleistung: lebendige Kunst, die dank digitaler Technik über sich selbst hinauswächst!

Saïdou Alcény Barry