Gespräch mit Cathy Milliken und Lucia Duchoňová
Begegnung auf Augenhöhe

Am Sonntagmorgen den 24. November 2019 haben sich Cathy Milliken, Lucia Duchoňová und der Amalgamation Choir im Goethe-Institut Nikosia getroffen und an der „Ode for All“ gearbeitet. Im Gespräch mit Elli Michael erzählen Cathy Milliken und Lucia Duchoňová wie es zu der Idee für dieses länderübergreifende Projekt kam und auf was wir uns bei diesem Projekt freuen dürfen.
Ihr Projekt heißt „Ode for All“ und ist angelehnt an Friedrich Schillers Gedicht “Ode an die Freude”. Woher kam die Inspiration für dieses Projekt?
Cathy Milliken: Das Goethe-Institut Istanbul gab mir die Möglichkeit, an einem Workshop und Brainstorming zu kreativen Ideen für die Feier des Beethoven-Jahres teilzunehmen. Chöre und Stimmen mochte ich schon immer. Ein Bestandteil meiner Arbeit ist die kreative Zusammenarbeit mit Menschen, die für mich wie ein gemeinsamer Kompositionsprozess ist. In diesem Projekt fügt sich nun beides zusammen: die Arbeit mit Chören und das kreative Arbeiten. Für einen Chor geht es hauptsächlich darum, die Stücke anderer Komponisten zu interpretieren – in unserer westlichen Tradition gibt es kaum Raum für Improvisation. In diesem Projekt bot sich mir jedoch eine besondere kulturelle Vielfalt an Chören aus den verschiedensten Traditionen. Deswegen war mein erster Impuls mir vorzustellen, wie alle diese Chöre ihre eigenen Lieder zur Freude und Menschlichkeit interpretieren - ein Bild von Freude und Frieden.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Chöre, die am Projekt teilnehmen, ausgewählt?
Cathy Milliken: Wir wählten ein unterschiedliches Portfolio an Chören: einige mit sehr traditionellem Hintergrund, aber auch einige eher westliche, klassischen Chöre. Die Auswahl trafen wir unter der Fragestellung: Wie können wir unterschiedliche Traditionen in Südosteuropa zusammenbringen, die von ihren Stimmen her sehr interessant sind.
Was genau passiert in den einzelnen Phasen des Projekts?
Cathy Milliken: Zunächst treffen wir jeden Chor einzeln in seiner Stadt. Gemeinsam suchen wir Worte, die mit Freude zu tun haben, aber auch mit Gemeinsamkeit. Zu diesen Worten kreieren wir dann Musik. Wir konnten schon aus den unterschiedlichsten Perspektiven sehen, wie Freude empfunden wird, was sie bedeutet und wann wir Freude empfinden. Dabei haben wir auch erfahren, welche Bedeutung das Zusammensein hat – denn ein Chor ist natürlich eine sehr einheitliche Gruppe. Später wird es einen zweiten Workshop geben, bei dem alle zusammen treffen.

Welche Erwartungen haben Sie an das Treffen in Istanbul, bei dem alle Chöre zusammen kommen?
Lucia Duchoňová: Ich denke es wird allen eine große Freude sein! Wenn wir die Chöre zusammen bringen, müssen wir alle Lieder lernen, die jeder Chor in seiner Landessprache erschaffen hat. Die Musik wird tatsächlich viel reicher, wenn sie in verschiedenen Sprachen gesungen wird. Cathy wird auch noch ein Stück komponieren, das wir alle zusammen singen werden. Und jeder Chor soll ein Stück selbst vortragen, um sich vorzustellen. Die Performance wird 2020 im Radialsystem in Berlin stattfinden.
Inwieweit war Beethovens Arbeit und seine Ideen eine Inspiration für Ihr Projekt?
Cathy Milliken: Das Gedicht von Schiller wurde in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts geschrieben, und Beethoven komponierte dann 1884 seine 9. Symphonie. Diese hat die Befreiung der unteren Klassen von der Tyrannei der herrschenden Klasse zum Thema und steht im Geiste der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Beethoven war also ein Erneuerer, ein Befürworter von Demokratie und Gleichheit, der diese gesamte Idee mit in sein Werk aufnahm. Deswegen sind unsere Workshops auch sehr demokratisch und gleichberechtigt. Die Gedanken sollen frei sein, jeder kann in der Gemeinschaft Ideen frei und offen diskutieren. Darüber hinaus werde ich die musikalische Idee von Beethovens Ode an die Freude aufnehmen, um eine Art Refrain zu schaffen, der sich durch den ganzen Konzertabend ziehen wird. In jedem Workshop singen wir die Ode an die Freude, schauen uns dazu nicht nur das Gedicht von Schiller im Detail an, sondern auch seine Vorstellungen von einer Revolution für mehr Gleichheit. Nach dieser gemeinsamen Einführung können im Anschluss alle diese Impulse in die individuellen Kompositionen einfließen. Somit ist das Resultat ein sehr vielschichtiger Bezug zu Beethoven.
Denken Sie wirklich, dass man durch Musik diese Vorstellung von Einheit und Brüderlichkeit vermitteln kann?
Lucia Duchoňová: Ich glaube fest daran. Als Musiker müssen wir unsere Musik nutzen, um diese Werte zu verbreiten. Ich arbeite auch mit einem internationalen Chor zusammen, in dem die verschiedensten Nationalitäten und Religionen zusammen kommen. Es ist sehr interessant zu sehen, dass nicht nur gemeinsam gesungen wird, sondern dass alle auch nach der Probe zusammen sitzen und diskutieren, wie man verschiedene Dinge verbessern kann. Sie möchten zusammen sein und Grenzen überwinden, die in unseren Köpfen existieren. Es wäre schön, wenn wir so etwas auch bei unserem Projekt sehen können, wenn wir dann in Istanbul zusammen kommen. Wir werden die Workshops machen, aber die Frauen werden nicht in ihrer ursprünglichen Gruppe bleiben, sondern sie werden sich auch mit den anderen mischen und gemeinsam diskutieren.
Cathy Milliken: Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, dass ein Zusammentreffen über die Musik einen Raum schaffen kann, in dem wir uns auf Augenhöhe begegnen, wo keiner auf den anderen herabschaut, wo Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit herrscht. Wir hoffen sehr, dass die Nationalität nicht von Bedeutung sein wird. Die Mitglieder der Chöre scheinen sehr unabhängig und nicht von nationalen Denkweisen beeinflusst. Es geht hier um viel mehr, nämlich um die persönliche Identität als Frau, als Mutter oder als Wissenschaftlerin, Ingenieurin oder Soziologin. Ich denke, dass es ein sehr fortschrittliches Projekt ist, das im Geiste Beethovens steht.