Job

Stell dir vor, es brennt…

Foto: © Janika Rehak

…und keiner geht hin!

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Christian Görse, Ortsbrandmeister in Hiddingen, Foto: © Janika Rehak

„Was willst du mal werden, wenn du groß bist?“ Mit dieser Frage werden Kinder in jeder Generation gefühlte hundert Mal konfrontiert. Und besonders bei kleinen Jungen steht ein Beruf immer noch ganz oben auf der Wunschliste: „Ich werde Feuerwehrmann!“

Christian Görse weiß heute gar nicht mehr, ob er schon im zarten Grundschulalter von einer Karriere als Brandbekämpfer geträumt hat. Sein Geld verdient der 30-Jährige jedenfalls anderweitig, nämlich als Angestellter. Dennoch spielt die Feuerwehr eine große Rolle in seinem Leben: In seinem Heimatort Hiddingen (Norddeutschland) versieht er das Amt des Ortsbrandmeisters. Damit ist er der ranghöchste Feuerwehrmann seiner Wehr – und steht in der Pflicht, wenn es mal brennt.

Christian, du bist mit 30 Jahren, zwar kein Anfänger mehr in Sachen Feuerwehr, aber für einen Ortsbrandmeister noch recht jung. Wie sah dein Werdegang aus?

Das lief eigentlich ziemlich klassisch. Mein Vater war auch schon in der Wehr. Ich habe damit sozusagen eine Art Familientradition fortgeführt. Vereine spielen in kleineren Orten allgemein eine große Rolle, sie sind ein verbindendes Element. Man kennt irgendjemanden, der in einer solchen Gruppe aktiv ist und wird dann gefragt, ob man nicht auch Lust hätte, mal vorbeizuschauen. Das habe ich getan – und weil es mir gefallen hat, bin ich geblieben. Daraufhin folgen diverse Ausbildungen: Grundausbildung, Maschinist, Funker, Truppenführer. Als dann vor einiger Zeit klar wurde, das unser Brandmeister für keine weitere Amtsperiode mehr zur Verfügung stehen würde, hat sich die Wehr auf die Suche nach einem Nachfolger gemacht und ist dabei – unter anderem – auch an mich herangetreten. Tja. Und da bin ich nun. (lacht)

Wie muss man sich deine Tätigkeit als Feuerwehrmann denn genau vorstellen? Die Sirene schrillt, und du lässt alles stehen und liegen?

Auf’s Einfachste heruntergebrochen: Ja, so ungefähr. Heutzutage läuft das aber nicht nur über die Sirene, da haben Feuerwehrleute zusätzlich einen digitalen Funkmeldeempfänger, kurz „Pieper“ genannt. Das ist natürlich besonders wichtig für alle, die auswärts arbeiten. Wenn dieser Pieper sich bemerkbar macht, dann sollte sich jeder so schnell wie möglich zur Sammelstelle begeben und dann geht’s los in den Einsatz.

Und der Chef ist damit einverstanden…?

Der hat ja keine Wahl. (lacht) Nein, mal im Ernst, das ist auch immer eine Sache des Ermessens: Wenn man gerade in einer Präsentation steckt, von der ein wichtigen Auftrag für die Firma abhängt, dann schmeißt man natürlich nicht den Laserpointer hin und sagt: „Sorry, Leute, ich muss weg!“ Trotzdem muss einem klar sein, dass mit einem Posten bei der Feuerwehr – auch bei der Freiwilligen – eine wichtige Verantwortung einhergeht. Das bedeutet: Man muss durchaus auch mal seinen Arbeitsplatz verlassen. Die Feuerwehr ist kein Hobby, dem man nur nach Feierabend oder am Wochenende nachgehen kann, brennen kann es immer und überall. Natürlich sollte man das im Vorfeld mit seinem Arbeitgeber klären. Bei mir ist das zum Beispiel überhaupt kein Problem. Wenn ich plötzlich aufspringe, weil mein Pieper losheult, dann wissen alle, wohin ich unterwegs bin. Und besonders im dörflichen Umfeld versteht das eigentlich auch jeder. Vor allem, weil die meisten da ohnehin selbst in der Feuerwehr sind. In der Stadt sieht das möglicherweise anders aus. Übrigens bin ich als Ortsbrandmeister nicht bloß ständig im Löscheinsatz. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht aus Papierkram. Jeder Menge Papierkram sogar. (lacht)

Als Ortsbrandmeister obliegt dir die höchste Entscheidungsgewalt in Einsatz. Das heißt, du hast das Kommando über Feuerwehrleute, die teilweise doppelt so alt sind wie du. Ist es manchmal ein Problem, sich Respekt zu verschaffen?

Überhaupt nicht. Eine Ortswehr wählt den Brandmeister ja vor allem, weil sie ihm den Job zutraut, sonst hätte das Ganze wenig Sinn. Ich würde mich bei einem Einsatz aber auch nie als der Chef im Ring aufspielen, so frei nach dem Motto: „Ich bin der Boss, ich habe den totalen Durchblick!“. Genau das ist nämlich der Punkt: Ältere Feuerwehrleute haben schon eine Menge Einsätze mitgemacht und können die Lage daher oft sehr gut einschätzen. Sie haben aber auch viel eher die nötige Ruhe und bremsen die Jüngeren schon mal ein bisschen, wenn die zu übereifrig an die Sache herangehen. So wichtig junge Feuerwehrleute sind, so sind die älteren mindestens genauso unverzichtbar, denn von ihrer Erfahrung kann der Nachwuchs profitieren. Klar hätte ich in einem Streitfall das letzte Wort und könnte meinen Willen durchsetzen. Aber Streitereien oder, schlimmer noch, Machtspielchen wären im Einsatz absolut fehl am Platz.

A propos Nachwuchs: In einigen Ortschaften, besonders im dünner besiedelten Ostdeutschland, mussten wieder Berufsfeuerwehren eingeführt werden, weil sich nicht mehr genug Leute für eine Freiwillige Feuerwehr gefunden haben. Was sagst du zu diesem Trend?

Zunächst einmal, dass ich ihn hier in meinem Umfeld so nicht beobachten kann – bis jetzt jedenfalls nicht. Wir haben immer noch genügend Leute, so dass der Fortbestand unserer Wehr für die nächsten Jahre gesichert ist. Gleichzeitig ist es für uns auch schwieriger geworden. Nachwuchs in die Wehren zu holen, ist gar nicht das größte Problem. Viel schwieriger ist es, die jungen Leute auch zu halten. Das hat aber nichts damit zu tun, dass plötzlich alle keine Lust mehr haben oder das Partyleben auf einmal interessanter wird. Aber viele fähige Feuerwehrleute ziehen nach der Schule weg, um anderswo eine Ausbildung zu machen, oder um zu studieren. Und die fehlen dann natürlich.

Davon zeugt ja auch, wenn auch in überspitzer Form, der Werbeslogan: Stell dir vor, es brennt – und keiner geht hin.

Genau! Und das muss man sich mal in aller Deutlichkeit vor Augen führen: Ein Brandfall kann jeden treffen. Und dann hofft natürlich jeder darauf, dass dann irgendjemand zum Löschen kommt. Wenn aber jeder immer nur auf irgendjemand anderen hofft – dann kommt am Ende vielleicht gar keiner mehr. Viel besser wäre es doch, wenn sich alle verantwortlich fühlen und damit gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn es – sowohl im sprichwörtlichen als auch im buchstäblichen Sinne – mal irgendwo brennt. Das ist doch auch eine gelebte Form von Gemeinschaft.


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Dezember 2013

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    Eine Freiwillige Feuerwehr ist eine öffentliche Feuerwehr, die zum größten Teil aus ehrenamtlichen Mitgliedern besteht. Diese üben die Arbeit als Brandbekämpfer neben ihrem eigentlichen Beruf aus und erhalten, abgesehen von gewissen Aufwandsentschädigungen, keine finanzielle Entlohnung.

    Eine Berufsfeuerwehr setzt sich im Gegenzug dazu aus hauptamtlichen Kräften zusammen, die für ihre Tätigkeit bezahlt werden. In den meisten deutschen Städten wird der Brandschutz – entgegen der weit verbreiteten Annahme – überwiegend von Ehrenamtlichen geleistet.

    Bei über 2000 Städten in Deutschland existieren nur etwa 100 Berufsfeuerwehren.

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